Die Staatsregierung lässt sich nicht lumpen – und tritt gleich mit zwei Ministerien an. Kein Wunder – denn die Pharmaindustrie hinterlässt in Bayern tiefe Spuren: Über 25.000 überwiegend hochqualifizierte und entsprechend entlohnte Jobs, Investitionen für Forschung von über einer Milliarde Euro und eine Bruttowertschöpfung von 124.000 Euro pro Beschäftigten. Zum Vergleich: Für die Gesamtwirtschaft in Deutschland liegt der Wert bei unter der Hälfte (57.000 Euro).
Pharmabranche starker Wirtschaftsfaktor
Das sind Kennzahlen, wie sie Wirtschaftsminister lieben. Die Pharmabranche sei ein starker Wirtschaftsfaktor, den man ausbauen möchte: „Gesundheit ist ja auch ein Exportschlager“, so Staatsministerin Ilse Aigner. Und die Kollegin aus dem Gesundheitsressort sekundierte: „Wir verfolgen alle ein gemeinsames Ziel“, so Melanie Huml. „Auch in Zukunft sollen den Menschen in Bayern die besten Therapieoptionen zur Verfügung stehen.“ Allerdings müsse auch die Balance zwischen Innovation auf der einen und Bezahlbarkeit auf der anderen Seite gewahrt werden.
Huml forderte die Industrie auf, die Möglichkeit der freien Preisfestsetzung im ersten Jahr der Einführung eines neuen Produktes nicht für „Mondpreise“ zu missbrauchen. Sie ging damit auch direkt auf die Diskussion über die Preise der neuesten Generation von Hepatitis C-Medikamenten ein: Plötzlich könne hier von Heilung gesprochen werden, weshalb die Kosten von 60.000 Euro für eine zwölfwöchige Therapie „durchaus sinnvoll investiertes Geld“ sein könnten.
Höhere Lebenserwartung durch Medikamente
Hans-Peter Quodt, Deutschland-Chef von MSD Sharp & Dohme, warb für die „Krisenfestigkeit“ der pharmazeutischen Industrie: „In den letzten fünf Jahren gab es in den unterschiedlichsten Branchen Krisen – die Pharmaindustrie aber hat gut bezahlte Arbeitsplätze erhalten.“ Und er ging auf den Nutzen ein, den innovative Arzneimittel leisten: „Im letzten Jahrzehnt stieg die Lebenserwartung um 1,4 Jahre an – davon geht ein Jahr auf der Konto neuer und besserer Arzneimitteltherapien.“ Gleichzeitig würden die Menschen nicht nur älter, sondern auch gesünder: „Wir fügen nicht nur dem Leben Jahre hinzu, sondern den Jahren Leben.“
Quodt stellte die Verbindung her zwischen Marktzugangschancen und Investitionen: „Meine Konkurrenten sind nicht nur meine Mitbewerber. Es sind auch die Schwesterfirmen innerhalb des Konzerns. Sinken die Marktzugangschancen in Deutschland, führt dies zwangsläufig zu einem Rückgang der Forschung.“ Sein Fazit: „Wir können mehr – wenn man uns lässt.“
Die „Jesus-Kategorie“
Kein Pharmagipfel ohne AMNOG-Diskussion – es war die Rolle des Wissenschaftlers Prof. Volker Ulrich, eine gesundheitsökonomische Bewertung der Nutzenbewertung abzugeben. Aus Fehlern lernen, nennt er das. Nicht in einem einzigen Fall sei bisher die höchste Kategorie „erheblicher Zusatznutzen“ vergeben worden – sie wird deshalb intern schon als „Jesus-Kategorie“ bezeichnet.
Ulrich bezweifelt, dass innovative Unternehmen zu auskömmlichen Preisen kommen, wenn in über 70 Prozent der AMNOG-Verfahren ein Generikum zur Vergleichstherapie herangezogen wird. Seine Auswertung zeigt, wohin die Reise geht: „Das Erstattungsniveau liegt inzwischen unter dem europäischen Durchschnitt.“ Legt man den europäischen Minimalpreis an, liegt Deutschland in fast 60 Prozent der Fälle darunter. Und er stellt fest, dass das Ausmaß des Zusatznutzens keine Auswirkungen auf den Erstattungspreis hat: „Warum machen wir das dann?“ Ulrich fordert eine Entkopplung von Nutzenbetrachtung und Preisverhandlung.
Rabattverträge fressen Umsätze auf
Wie sehr preisliche Eingriffe mittlerweile gehen, zeigt der Bayreuther Professor am Beispiel der Generika-Industrie: Der Umsatz dieser Unternehmen werde mittlerweile zu über der Hälfte von den Rabattverträgen wieder aufgefressen. Mit Blick auf die Abwanderung der deutschen Textilindustrie sagt der Ökonom dazu: „Davor kann ich nur warnen“.
Unter Themenmangel leidet der Bayerische Pharmagipfel also nicht. Es sind komplexe Fragestellungen. Denn im Spannungsfeld zwischen Geld und solidarischer Finanzierung, zwischen hohen Investitionen und noch höherem unternehmerischen Risiko, zwischen Grundversorgung und Spitzenmedizin, sowie nicht zuletzt in einem Umfeld, in dem sich demografischer Wandel bei gleichzeitigem technologischen Fortschritt zu einem Problem hochschaukeln – da diskutiert es sich nicht leicht.
Foto: Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie