In einer Publikation hat ein deutsches Wissenschaftler-Team dargelegt  wie sich Impfverhalten psychologisch erklären  messen und verändern lässt. ©iStock.com/Rallef
In einer Publikation hat ein deutsches Wissenschaftler-Team dargelegt wie sich Impfverhalten psychologisch erklären messen und verändern lässt. ©iStock.com/Rallef

Warum entscheiden sich Menschen für oder gegen eine Impfung?

Im Sommer meldete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Kampf gegen Masern ernüchternde Zahlen: In den ersten sechs Monaten von 2019 wurden in der europäischen Region etwa 90.000 Fälle gemeldet – mehr als im Gesamtjahr 2018. Für ein Wissenschaftler-Team der Universität Erfurt und der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen ist klar: Es gilt, „sich mit den Gründen zu beschäftigen, warum Menschen sich und ihre Kinder nicht impfen lassen.“ In einer Publikation im Bundesgesundheitsblatt haben sie dargelegt, wie sich Impfverhalten psychologisch erklären, messen und verändern lässt.
Niedrige Impfraten liegen nicht nur an Impfgegnern. CC0 (Stencil)
Niedrige Impfraten liegen nicht nur an Impfgegnern. CC0 (Stencil)

„Alltagsstress hält mich davon ab, mich impfen zu lassen.“ Oder: „Impfungen sind überflüssig, da die Krankheiten, gegen die sie schützen sollen, kaum noch auftreten.“ Und: „Wenn alle geimpft sind, brauche ich mich nicht auch noch impfen lassen.“ Bei der Impfentscheidung geht es nicht nur um das Vertrauen in die Impfungen an sich. Genauso wenig sind niedrige Impfraten ausschließlich echten Impfgegnern zuzuschreiben. Tatsächlich sind es viele Faktoren, von denen das Impfverhalten eines Einzelnen abhängen kann.

Impfverhalten verstehen: das 5C-Modell

In der Veröffentlichung „Impfverhalten psychologisch erklären, messen und verändern“ im Bundesgesundheitsblatt hat ein Wissenschaftlerteam rund um Psychologin Cornelia Betsch daher dargelegt, welche (messbaren) Gründe es für (Nicht-)Impfen gibt – und wie man diese gezielt im Kampf gegen zu niedrige Impfraten adressieren kann. Sie berufen sich dazu auf das sogenannte „5C-Modell“, das fünf wesentliche psychologische Aspekte nennt, die in der Impfentscheidung eine Rolle spielen:

  • Confidence (Vertrauen): Laut der Forscher ist hiermit „das individuelle Ausmaß an Vertrauen in die Effektivität und Sicherheit von Impfungen, das Gesundheitssystem und die Motive der Entscheidungsträger, die darüber entscheiden, welche Impfungen empfohlen werden“, gemeint. Höhere Confidence-Werte sind mit einer höheren Impfbereitschaft verbunden.
  • Complacency „beschreibt das individuell wahrgenommene Krankheitsrisiko, d.h. inwieweit man sich verwundbar fühlt und Impfungen als notwendig ansieht“, heißt es in der Publikation weiter. Höhere Werte sprechen für ein geringes Risikobewusstsein und sind mit einer niedrigeren Impfbereitschaft assoziiert.
  • Viele Nichtgeimpfte sind nicht Impfgegner per se. Sie schaffen es lediglich nicht das Impfen in ihren Alltag, der von Stress und Zeitnot geprägt sein kann, zu integrieren. Constraints (Barrieren) meint dementsprechend „die individuell wahrgenommenen strukturellen Hürden im Alltag […] und ob Impfen als wichtig genug angesehen wird, um diese Barrieren zu überwinden“.
  • Der Begriff Calculation „drückt den individuellen Grad der aktiven Informationssuche aus.“ Menschen mit hohen Calculation-Werten haben das Bedürfnis, sich möglichst umfassend zu informieren und abzuwägen. Dabei ist interessant: Sie „haben mehr Falschwissen und eine geringere Impfbereitschaft.“ Denn: Mythen und Fehlinformationen können nicht immer richtig eingeordnet werden.
  • Impfen ist immer auch eine „Collective Responsibility“ (Verantwortungsgefühl für die Gemeinschaft). Säuglinge, die noch zu jung sind, um geimpft zu werden, sind auf die sog. „Herdenimmunität“ angewiesen – je mehr Menschen geschützt sind, desto weniger hat das jeweilige Virus eine Chance. Betsch und ihre Kollegen schreiben: „Eine hoch ausgeprägte Collective Responsibility geht mit höherer Empathie und tendenziell höheren Kollektivismuswerten einher […]“ – die Impfbereitschaft ist besser.

Schon auf dem Hauptstadtkongress Gesundheit und Medizin im vergangenen Mai betonte Prof. Dr. Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI): „Die sogenannten Impfgegner, […] das sind knapp zwei Prozent […]: Die sind nicht der entscheidende Punkt. Wir müssen diejenigen erreichen, die sich aus anderen Gründen nicht impfen lassen“ (s. Pharma Fakten).

Gründe des Nicht-Impfens gezielt angehen

Betsch und ihre Kollegen sehen das wohl ähnlich. Sie wissen: „Theoriebasierte und zielgruppenorientierte Interventionen haben in der Vergangenheit zu besseren Ergebnissen geführt als Kampagnen, die nicht auf die entsprechende Zielgruppe zugeschnitten waren“. Soll heißen: Möchte man sich dem Kampf gegen zu niedrige Impfraten stellen, gilt es im ersten Schritt eine Zielgruppe zu identifizieren – und hier die Gründe des Nicht-Impfens zu erfassen. 

Ein Projekt des BMBG hat die Kampagne „impfen60+“ ins Leben gerufen. CC0 (Stencil)
Ein Projekt des BMBG hat die Kampagne „impfen60+“ ins Leben gerufen. CC0 (Stencil)

Ein Verbundprojekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBG) hat das getan und in Thüringen die Kampagne „impfen60+“ ins Leben gerufen. Hintergrund: Man hatte festgestellt, dass zu wenige Senioren gegen Influenza (Grippe) und Pneumokokken geimpft sind. Dabei ist gerade diese Altersgruppe besonders gefährdet. Über eine Vorbefragung mit 700 Thüringerinnen und Thüringern im Alter von über 60 hatte man die Gründe für das Nicht-Impfen auf Basis des 5C-Modells untersucht – und die Kampagne genau darauf ausgerichtet. Mit Erfolg: „Erste Daten einer wiederholten Repräsentativbefragung zeigen, dass die selbstberichtete Impfbereitschaft bei Personen, die die Kampagne wahrgenommen hatten, anstieg“.

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