Deutschland gibt viel für Gesundheit aus  hat aber im EU-Vergleich nur bescheidene Gesundheitsergebnisse vorzuweisen. Die Gründe finden sich in einem Bericht der EU. Foto: ©istock.com/Krisamorn
Deutschland gibt viel für Gesundheit aus hat aber im EU-Vergleich nur bescheidene Gesundheitsergebnisse vorzuweisen. Die Gründe finden sich in einem Bericht der EU. Foto: ©istock.com/Krisamorn

State of Health: Deutschland, Du lebst ungesund

Wir sind stolz auf unser Gesundheitssystem: Ein umfassender Leistungskatalog, ein hohes Niveau an Gesundheitsleistungen und ein guter Zugang zur Gesundheitsversorgung gelten weltweit als ein Zeichen von Qualität. Das kostet: Pro Person sind die Gesundheitsausgaben höher als in anderen EU-Ländern. Da verwundert, dass das, was hinten rauskommt, oft nur Durchschnitt ist: Beim Thema Lebenserwartung etwa ist Deutschland lediglich Mittelmaß; Menschen in Italien und Spanien können mit zwei Jahren mehr rechnen. Das liegt zum einen am System und zum anderen am Verhalten des Einzelnen: Denn Deutschland lebt (zu) ungesund.

Es ist eine Art TÜV-Bericht: Mit dem State of Health in the EU will die EU-Kommission die Mitgliedsstaaten dabei unterstützen, ihre Gesundheitssysteme zu verbessern (Dieses Video erklärt den Prozess). Im Zwei-Jahres-Rhythmus werden Länderberichte vorgelegt: Auf rund 20 Seiten kann man im Länderprofil Deutschland nachlesen was gut ist – und was weniger.

Die gute Nachricht zuerst: Wer im Jahr 2017 in Deutschland auf die Welt kam, kann mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 81,1 Jahren rechnen – fast drei Jahre mehr als der Jahrgang 2000. Allerdings – das zeigt die Grafik – liegt Deutschland nur knapp zwei Lebensmonate über dem EU-Schnitt, in dem auch Länder wie Bulgarien, Lettland oder Rumänien berücksichtigt sind, wo die Menschen im Schnitt nur rund 75 Jahre alt werden. Soll heißen: Verglichen mit anderen westeuropäischen Ländern ist die Bundesrepublik eher Schlusslicht. An der Spitze liegen Spanien, Italien, Frankreich und Norwegen. Dort haben die 2017er-Jahrgänge eine rund zwei Jahre höhere Lebenserwartung. 

Anders sieht das Bild aus, wenn man die Gesundheitsausgaben pro Kopf vergleicht, denn da ist Deutschland vorne: 4.300 Euro pro Kopf oder 11,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden hierzulande für Gesundheit ausgegeben. Das sind 1.400 Euro mehr als der EU-Durchschnitt (2.884 €). Die Autoren des Reports stellen fest: „Die Kosten des deutschen Gesundheitssystems entsprechen […] nicht den oft durchschnittlichen Gesundheitsergebnissen für die Bevölkerung und lassen Raum für weitere Effizienzsteigerungen.“

Schlechte Ernährung, Alkohol und Tabak senken die Lebenserwartung

Das klingt nicht toll – aber woran liegts? Die einfache Antwort wäre: Es liegt am System. Das ist nicht per se falsch, aber das ist es nicht allein: „Fast jeder fünfte Todesfall in Deutschland kann insbesondere auf schlechte Ernährung zurückgeführt werden“, heißt es in dem Bericht. Gemüse steht nicht gerade ganz oben auf dem deutschen Speisezettel – tatsächlich wird in den meisten anderen EU-Ländern mehr Gemüse gegessen. Und etwa 40 Prozent der Erwachsenen in Deutschland geben an, nicht jeden Tag Obst oder Gemüse zu essen. Jeder sechste Erwachsene gilt als fettleibig (Zahlen von 2017). Die Raucher werden zwar weniger, aber die Quote liegt immer noch über der vieler anderer EU-Länder. Es gibt zu viele Alkoholexzesse – nur in Dänemark, Rumänien, Luxemburg und Finnland ist der prozentuale Anteil von Erwachsenen, die von Rauschtrinken berichten, höher.

Fazit: Die vier Faktoren Ernährung, Rauchen, Alkohol und zu wenig Bewegung dürften ihren Anteil haben, warum Deutschland in Sachen Lebenserwartung hinterherhinkt.

Schlechte Ernährung, Alkohol und Tabak senken die Lebenserwartung. Foto: ©istock.com/Krisamorn
Schlechte Ernährung, Alkohol und Tabak senken die Lebenserwartung. Foto: ©istock.com/Krisamorn

Auch der sozioökonomische Status spielt eine Rolle und schlägt sich in der Lebenserwartung nieder. Daten zeigen, „dass das vermehrte Auftreten von Risikofaktoren unter sozial benachteiligten Gruppen zu einer erhöhten vorzeitigen Sterblichkeit beiträgt, was sich in den Unterschieden in der Lebenserwartung zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Einkommensquintil widerspiegelt: 8,4 Jahre bei Frauen und 10,8 Jahre bei Männern.“ Weniger Geld zu haben kann teuer sein: Männern in Deutschland, so die Statistik, kostet es im Schnitt fast elf Jahre ihrer Lebenszeit.

Eine Herausforderung: Todesfälle, die sich vermeiden lassen

Aber auch, wenn man die Leistungsfähigkeit des Systems betrachtet, könnte man in Deutschland noch einiges besser machen, so der State of Health-Bericht: Durch „wirksame Maßnahmen der öffentlichen Gesundheitsversorgung und durch eine koordinierte Grundversorgung“ hätten im Jahr 2016 158 Todesfälle auf 100.000 Einwohner vermieden werden können. Klingt wenig? Auf rund 83 Millionen hochgerechnet sind es rund 130.000 Menschen. Deutschland liegt auch bei durch Prävention vermeidbare Todesursachen damit nur im EU-Mittelfeld.

Deutschland: schlechte Überlebensraten bei Herzinfarkt. Foto: CC0 (Stencil)
Deutschland: schlechte Überlebensraten bei Herzinfarkt. Foto: CC0 (Stencil)

Immerhin: Mit dem Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention von 2015 habe die Politik die Bedeutung einer präventiven Gesundheitspolitik erkannt. Allerdings fragt man sich in Brüssel, warum Deutschland das einzige EU-Land ist, das noch Tabakwerbung auf Plakaten und im Kino erlaubt – und das „trotz der Tatsache, dass Lungenkrebs für ein Viertel der durch öffentliche Gesundheitsmaßnahmen vermeidbaren Sterblichkeit verantwortlich ist.“ Und auch bei den behandelbaren Todesfällen, die durch rechtzeitige und wirksame Maßnahmen hätten vermieden werden können, ist Deutschland mit 87 auf 100.000 Einwohner nur Mittelmaß (EU-Durchschnitt: 93).

Schlechte Überlebensraten bei Herzinfarkt

Hauptursache waren hier übrigens die Folgen von Erkrankungen der Herzkranzgefäße (ischämische Herzkrankheit). Zwar ist es in den vergangenen Jahren gelungen, die 30-Tages-Sterberate nach Krankenhauseinlieferung wegen Herzinfarkt deutlich zu senken (sie lag 2017 bei 8,5 Prozent). Tatsache ist aber: In den allermeisten Ländern der EU sind die Chancen der Patienten besser. Laut EU-Bericht ist ein Problem, „dass viele kleine Krankenhäuser weiterhin stationäre Leistungen ohne ausreichend Personal […] oder technische Geräte (z. B. Computertomografen, Intensivstationen) erbringen, die für eine hohe Versorgungsqualität notwendig sind.“ Zumindest hier gilt: Dass Deutschland mit der höchsten Quote von Krankenhausbetten aufwarten kann, ist zumindest für Herzinfarktpatienten offenbar kein Vorteil.

Das es hierzulande auch anders geht, zeigt das Beispiel Schlaganfall. Dort ist die 30-Tages-Sterberate unter der der meisten EU-Länder: „Dies liegt zum Teil daran, dass durch höhere Vergütungen der Behandlung auf spezialisierten Schlaganfallstationen ein Anreiz für die Verdopplung der Anzahl dieser Stationen zwischen 2005 und 2010 geschaffen wurde. Infolgedessen wird nun jeder zweite Schlaganfallpatient auf einer spezialisierten Schlaganfallstation behandelt.“ So kann es gehen: Eine Weichenstellung im System, die zu Erfolgen führt, welche sich sehen lassen können – und Leben retten.

Zugang zu Gesundheitsleistungen: deutsches System an der Spitze. Foto: ©iStock.com/Lilkin
Zugang zu Gesundheitsleistungen: deutsches System an der Spitze. Foto: ©iStock.com/Lilkin

State of Health in Deutschland: Licht und Schatten

Spitze ist das deutsche System, wenn es um den Zugang zu Gesundheitsleistungen geht. Versicherungsschutz? „De facto flächendeckend.“ Anteil der Menschen mit einem ungedeckten medizinischen Behandlungsbedarf? „Nahezu null.“ Auch dass die Deutschen im EU-Vergleich für Gesundheit relativ wenig aus der eigenen Tasche ausgeben, spiegelt wider, dass das System mit seiner umfassenden Abdeckung eben (fast) alles bezahlt. Das deutsche Gesundheitssystem ist gut darin, seine Bürger vor den finanziellen Folgen einer gesundheitlichen Katastrophe zu schützen.

Licht und Schatten wirft der State-of-Health-Bericht auf das deutsche Gesundheitssystem. Er konstatiert nicht nur einen „erheblichen Nachholbedarf“, wenn es um den Stand der Digitalisierung geht.

Die Autoren beklagen, dass es in dem stark fragmentierten System keine systematische und integrierte Bewertung innerhalb der verschiedenen Sektoren und dementsprechend auch keine regelmäßige Leistungsbewertung gibt, um Prozesse und Ergebnisse besser zu verstehen. Denn dadurch „würde sich der Spielraum für Verbesserungen im Gesundheitssystem erhöhen und ließen sich möglicherweise die Ausgaben senken.“ Es gibt viel zu tun – Bundesgesundheitsminister Jens Spahn dürfte selbst bei seinem Gesetzgebungstempo so schnell nicht langweilig werden.

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