Laut den US-amerikanischen Wissenschaftlerinnen Luisa Socio Flor und Emmanuela Gakidou ist es eine „psychoaktive Substanz mit giftigen und Abhängigkeit erzeugenden Eigenschaften“. Klingt das nach etwas, was Sie in Ihre Nähe lassen, geschweige denn trinken sollten? Eher nicht. Und doch tun es die Menschen weltweit. Die Rede ist von Alkohol. In vielen Ländern und Regionen gehört Alkohol zum Teil der Kultur – man denke nur an die Liebe der Bayern zu ihrem Bier. Doch Fakt ist: „Immer mehr Evidenz deutet darauf hin, dass die gesündeste Menge an Alkohol, die konsumiert werden darf, gleich null ist“, schreiben Flor und Gakidou vom „Institute for Health Metrics and Evaluation“ – ein Forschungsinstitut an der University of Washington in Seattle.
Der kanadische Drogenexperte Dr. Kevin Shield hat mit einem Team in einer im Fachmagazin „The Lancet Public Health“ erschienenen Studie untersucht, welchen Schaden Alkohol tatsächlich in Bezug auf die globale Krankheitslast anrichtet. Das Ergebnis: „Wir schätzten, dass es 2016 weltweit drei Millionen Todesfälle gab, die auf Alkohol zurückzuführen waren“. Außerdem gehen sie davon aus, dass über 131 Millionen gesunde Lebensjahre durch Alkohol aufgrund von frühzeitigem Tod, Krankheit oder Behinderung verloren gingen (sog. „disability-adjusted life-years“, kurz: DALYs).
Alkohol: ein Risikofaktor für zahlreiche Krankheiten
So gab es 2016 u.a.…
- …0,4 Millionen Todesfälle durch Infektionskrankheiten sowie Erkrankungen schwangerer Frauen oder ihrer Babys um die Geburt herum und ernährungsbedingte Leiden, die durch Alkohol hervorgerufen worden waren.
- 1,7 Millionen Todesfälle entstanden durch alkoholbedingte nichtübertragbare Erkrankungen; 65,4 Millionen gesunde Lebensjahre (DALYs) gingen verloren.
- 0,9 Millionen Tote und über 52 Millionen DALYs gingen auf Verletzungen zurück. Eingerechnet sind hier noch nicht die Schäden, die beispielsweise betrunkene Autofahrer verursachten, wenn sie Mitmenschen in einen Unfall verwickelten.
Je nach Region variierte, welche Leiden am meisten zur alkoholbedingten Krankheitslast beitrugen. In Osteuropa war 2016 etwa die ischämische Herzkrankheit für fast die Hälfte aller alkoholbedingten Todesfälle verantwortlich. Im westlichen Subsahara-Afrika hingegen stand die Leberzirrhose im Vordergrund.
Alkoholkonsum: v.a. eine Gefahr für ärmere Regionen und junge Menschen
Wie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erklärt, erfasst der sogenannte „Human Development Index“ (HDI) „die durchschnittlichen Werte eines Landes in grundlegenden Bereichen der menschlichen Entwicklung.“ Also etwa das Bildungsniveau, das Pro-Kopf-Einkommen sowie die Lebenserwartung bei der Geburt. Wie nun aus der Studie hervorgeht, leiden v.a. Länder mit einem niedrigen HDI unter den negativen Auswirkungen von Alkoholkonsum. Sie wiesen die höchste altersstandardisierte Rate an Todesfällen sowie DALYs auf. Insgesamt gesehen waren Osteuropa und das westliche Subsahara-Afrika die Regionen, die die höchste alkoholbedingte Krankheitslast zeigten.
Und: Gerade jüngere Menschen scheinen anfällig für gesundheitliche Folgen durch Alkoholkonsum zu sein.
So traf über die Hälfte der drei Millionen Todesfälle Menschen in einem Alter von unter 60 Jahren. Männer waren davon stärker betroffen als Frauen.
Alkoholbedingte Krankheitslast: größer als gedacht
Die Studie aus „The Lancet Public Health“ ist nicht die erste ihrer Art: So nahm sich z.B. bereits die „2017 Global Burden of Disease Study (GBD)“ dem Thema an. Doch laut Shield und Co. wies diese einige Limitationen auf. So wurde hier u.a. das erhöhte Risiko für Erkrankungen bei ehemaligen Alkoholkonsumenten nicht einbezogen. Insgesamt kommen die Wissenschaftler um Shield zu der Auffassung, dass in Anbetracht der DALYs die weltweite alkoholbedingte Krankheitslast größer sein könnte, als zuvor angenommen worden war. „Alkohol ist ein Hauptrisikofaktor für Infektionskrankheiten, nichtübertragbare Erkrankungen und Verletzungen“.
Tatsächlich haben Experten – etwa seitens der Weltgesundheitsorganisation (WHO) – in der Vergangenheit bereits einige weltweite Initiativen auf den Weg gebracht, um den Gebrauch von Alkohol zu reduzieren. Auch in die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030, die 2015 von 193 Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfeltreffen der Vereinten Nationen verabschiedet worden war, wurde der Kampf gegen den schädlichen Alkoholkonsum aufgenommen. Doch wie Shields und seine Kollegen schreiben, hat weltweit gesehen der Konsum in den letzten drei Jahrzehnten nicht abgenommen. Im Gegenteil: Bis mindestens 2030 könnte er weiter ansteigen.
Im Kampf gegen den Alkohol: Die Politik ist gefragt
„Kosteneffektive, lokale und nationale politische Maßnahmen, die den Konsum von Alkohol und die daraus resultierende Krankheitslast reduzieren können, werden gebraucht“, heißt es in der Studie. Das gilt v.a. für ärmere Länder. Doch gerade in Subsahara-Afrika beispielsweise haben nur 16 von 46 Ländern nationale oder subnationale Strategien im Kampf gegen Alkohol implementiert.
In vielen europäischen Ländern geht der Konsum inzwischen zurück. Trotzdem ist noch viel Luft nach oben – auch in Deutschland: Wie in dem Bericht „State of Health in the EU“ der EU-Kommission nachzulesen ist, ist die Bundesrepublik bezüglich der Lebenserwartung (81,1 Jahre) im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern eher Schlusslicht (s. Pharma Fakten). Das hat viele Gründe – einer davon ist: Die Menschen schauen zu oft zu tief ins Glas. Der prozentuale Anteil an Erwachsenen, die von Rauschtrinken berichten, ist in der EU nur in Dänemark, Rumänien, Luxemburg und Finnland höher.