Das Thema lautet: publication bias; zu Deutsch: Publikationsbias. Der Begriff bezeichnet eine statistisch verzerrte Darstellung von Daten, die entsteht, weil die Publikation von positiven oder signifikanten – sprich: bedeutenden – Ergebnissen einfacher ist als das Gegenteil. Auf die medizinische Forschung übertragen hat es die Nachricht „Medikament x hilft gegen Krankheit y“ leichter, sich im Informationsdschungel zu behaupten als die Nachricht: „Medikament x hilft gegen Krankheit y nicht“.
FDAAA: Die Meldepflicht für klinische Studien
Das aber kann in der Medizin – und für die Patienten und ihre behandelnden Ärzte – erhebliche Folgen haben: „Das Versäumnis, die Ergebnisse von Studien zu veröffentlichen, kann die Faktenlage in der klinischen Praxis verzerren“, schreiben die Autoren der im Fachblatt The Lancet veröffentlichten Studie. Das kann man sich an diesem Beispiel ausmalen: Die Information über die Behandlung mit einem bestimmten Medikament, bei dem im Zuge einer Studie herausgekommen ist, dass es bei Patienten unter bestimmten Voraussetzungen nicht wirkt oder sogar schädlich ist, sollte allgemein zugänglich sein.
Deshalb hat die US-Zulassungsbehörde FDA im Jahr 2007 eine Meldepflicht für klinische Studien eingeführt.
Laut „Food and Drug Administration Amendments Act of 2007“ (FDAAA) muss spätestens innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Studie das Ergebnis für die Öffentlichkeit nachvollziehbar sein. Dafür wurde u.a. die Seite clinicaltrails.gov geschaffen. Mit dem Gesetz hatte man in erster Linie Arzneimittelentwickler im Auge, weil man für das Nicht-Veröffentlichen ungünstiger Daten wirtschaftliche Motivation unterstellen könnte. Bei Nichtbeachtung drohen hohe Geldstrafen.
Der „FDAAA Trails Tracker“ zählt mit
Das allerdings interessiert niemanden so richtig, so scheint es. Das zumindest suggeriert die Webseite FDAAA Trails Tracker – eine von der Universität Oxford entwickelte Seite. Auf 19 Seiten kann man dort scrollend erfahren, wie es um die Disziplin in Sachen Meldepflicht bestellt ist. Demnach hätte die US-Regierung rund sieben Milliarden Dollar an Strafgeldern kassieren können. Denn von 5.323 meldepflichtigen Studien wurden nur 3.658 als veröffentlicht registriert – knapp 69 Prozent.
Die Studienautoren der Lancet-Veröffentlichung kommen sogar auf noch schlechtere Werte: Ein Jahr nach Ende der Studien lag die Meldequote bei 41 Prozent – über den gesamte Zeitraum betrachtet liegt sie bei rund 64 Prozent. Dabei fällt auf: Wenn es um die Compliance geht, geht die pharmazeutische Industrie voran – die Werte der großen Forschenden liegen im Korridor oberhalb der 90 Prozent. Die meisten Unternehmen, die Mitglied bei Pharma Fakten sind, veröffentlichen alle ihre Studien (100 Prozent). Die Faustregel ist: Je mehr Studien eine Einrichtung oder eine Firma durchführt, desto höher ist die Melde-Compliance.
Die Kritik der Lancet-Autoren ist deutlich: Die lang erwartete Regelung der FDA werde weitgehend ignoriert und es gebe auch keine Anzeichen für eine Besserung. Gerade Studien, die von der US-Regierung unterstützt würden, werden nur in einem Drittel der Fälle gemeldet: „Der Fakt, dass die US-Regierung ihren eigenen Gesetzen nicht nachkommt, ist besonders besorgniserregend.“
Meldepflicht in Europa: auch nicht besser
Bereits im Jahr 2018 war im medizinisch-wissenschaftlichen Fachblatt BMJ eine ähnliche Studie mit Zahlen zu Europa veröffentlicht worden. Auch hier verlangt das Gesetz die Veröffentlichung von Studienergebnissen auf EU Clinical Trials Register (EUCTR) binnen Jahresfrist. Aber die Autoren stellten fest: Dorthin schaffte es nur jede zweite Studie. Und: Auch hier sind die forschenden Pharmaunternehmen an der Spitze der Bewegung. Die BMJ-Autoren sehen deshalb „die extrem hohe Compliance-Rate unter den kommerziellen Studiensponsoren, die viele Studien durchführen“ positiv: „Das zeigt, dass durch die eindeutige Forderung, dass alle Studienergebnisse gemeldet werden müssen, fast perfekte Compliance umgesetzt werden kann.“