Das System der Arzneimittelregulierung muss sich an neue Technologien anpassen. Denn Big Data birgt für die Bewertung von Medikamenten großes Potenzial. Foto: © iStock.com/metamorworks
Das System der Arzneimittelregulierung muss sich an neue Technologien anpassen. Denn Big Data birgt für die Bewertung von Medikamenten großes Potenzial. Foto: © iStock.com/metamorworks

Arzneimittelbehörden in Europa setzen auf Big Data

„Gewaltige Mengen an Daten werden jeden Tag generiert – sei es durch Wearables, elektronische Gesundheitsakten, Social Media, klinische Studien oder Nebenwirkungsmeldungen“, schreibt die Europäische Arzneimittelagentur EMA auf ihrer Webseite. Für sie ist klar: Diese Daten werden in der Bewertung von Medikamenten eine immer größere Rolle spielen. Das zeigt auch ein Blick auf einen Bericht der europäischen „Big Data Task Force“.

Damit „Spitzenforschung auch in Zukunft hierzulande möglich ist“, brauchen die Arzneimittelhersteller in Deutschland „den Zugang zu anonymisierten Patientendaten“, fordert der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa). Der Hintergrund: Die Daten von möglichst vielen Menschen – seien sie aus Gesundheitsakten oder Fitnesstrackern – „liefern ein umfassenderes Bild der Vor- und Nachteile einer Therapie als dies heute oft möglich ist.“

Davon profitiert letztlich auch der Patient. Ein Beispiel: In randomisierten klinischen Studien wird normalerweise die Einnahme des zu untersuchenden Arzneimittelkandidaten mit einer Kontrollgruppe verglichen. Sie erhält eine andere Behandlung oder ein Scheinmedikament. Doch künftig könnten womöglich vermehrt „virtuelle Kontrollarme“ zum Einsatz kommen. Die Kontrollgruppe wird dann mit Daten, die bereits existieren, simuliert – zum Beispiel mit Hilfe von Menschen, die bei ihrem Arzt die übliche Behandlung verschrieben bekommen haben. „Das ermöglicht kleinere Studien, bei denen Patienten nur die neue und womöglich bessere Therapie erhalten. Außerdem spart das sowohl Zeit und Kosten“, erklärt der vfa.

„Big Data“: Auch bei den Zulassungsbehörden ein Thema

Bei den Pharmaunternehmen spielen die Themen Digitalisierung und Big Data eine immer größere Rolle. Um dieser Entwicklung auch in der Bewertung von Medikamenten gerecht zu werden, haben 2017 die EMA und die „Heads of Medicines Agencies” (HMA) die „Big Data Task Force” (BDTF) ins Leben gerufen. HMA ist ein Zusammenschluss der nationalen Zulassungsbehörden für Human- und Tierarzneimittel im Europäischen Wirtschaftsraum.

©istock.com / serezniy / africa-studio.com (Olga Yastremska and Leonid Yastremskiy)
©istock.com / serezniy / africa-studio.com (Olga Yastremska and Leonid Yastremskiy)

Die BDTF hat die Aufgabe, einen Fahrplan samt Empfehlungen für die Nutzung von Big Data in der Arzneimittelbewertung zu entwickeln. Im Zuge ihrer ersten Arbeitsphase hatte sie im Februar 2019 einen Bericht (s. EMA) veröffentlicht, der einen Überblick über den aktuellen Stand in Europa gab. Wichtiger Grundstein: Die Experten legten sich hier auf eine Definition fest. Big Data meint demnach „extrem große Datensätze, die komplex, multi-dimensional, unstrukturiert und heterogen sein können, die sich rapide anhäufen und die sich rechnergestützt analysieren lassen, um Muster, Trends und Verbindungen aufzudecken“.

Big Data in der Arzneimittelbewertung

Der Bericht „Evolving Data-Driven Regulation“, den die Experten nun in ihrer zweiten Arbeitsphase veröffentlicht haben, geht das Ganze pragmatischer an: Hier spricht die Task Force konkrete Empfehlungen aus, die den Behörden auf lange Sicht helfen sollen mit Big Data möglichst gewinnbringend umzugehen.

Zehn davon hat sie priorisiert: Besonders wichtig ist es demnach, eine Plattform zu entwickeln, um Gesundheitsdaten aus der ganze Europäischen Union (EU) zugänglich und analysierbar zu machen. Genannt wird das „Data Analysis and Real World Interrogation Network” (DARWIN). Ziel ist ein Netzwerk, das aus verschiedenen Datenquellen von verifizierter Qualität besteht und höchste Ansprüche an die Datensicherheit erfüllt. So können Behörden im Zuge der Arzneimittelbewertung auf robuste Daten aus der Gesundheitsversorgung zugreifen.

Rahmen für die Datennutzung schaffen

Die anderen Empfehlungen beziehen sich v.a. auf die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um eine umfangreiche Nutzung von Big Data überhaupt erst möglich zu machen. Beispielsweise gilt es, in der EU einen allgemeingültigen Rahmen für die Qualität der Daten zu schaffen. Es geht darum, Richtlinien zu entwickeln und in den Mitgliedsstaaten die vermehrte Nutzung von Daten aus Registern, e-Gesundheitsakten und ähnlichen Quellen zu fördern.

Weiterbildung Big Data: Kompetenzen müssen aufgebaut werden. Foto: CC0 (Stencil)
Weiterbildung Big Data: Kompetenzen müssen aufgebaut werden. Foto: CC0 (Stencil)

Durch Weiterbildungen müssen bei den Behörden außerdem die notwendigen Kompetenzen aufgebaut werden, sodass sie Big Data verarbeiten und analysieren können. Schließlich ist es ihnen nur so möglich, Arzneimittel-Zulassungsanträge zu bewerten, die z.T. auf Evidenz aus Big Data beruhen. Datenwissenschaftler, Biostatistiker, Epidemiologen und andere Experten – z.B. für Künstliche Intelligenz – sollten rekrutiert und die Rechenkapazitäten für den Erhalt, die Speicherung, das Management sowie die Analyse von großen Datensätzen aufgebaut werden. Auch schlägt die Task Force eine „Big Data learnings initiative“ vor, im Rahmen derer Arzneimittelanträge, die Big Data beinhalten, getrackt und ausgewertet werden. „Learning by Doing“ lautet das Motto.

Big Data: Nicht die Lösung für alles

„Big Data ist nicht zwangsläufig die Lösung für alle Herausforderungen“, vor denen Behörden stehen, wenn es darum geht, eine Entscheidung bzgl. eines Medikaments – sei es bei dessen Entwicklung, der Zulassung oder nach der Zulassung – zu treffen. „Während randomisierte, doppelblinde, kontrollierte klinische Studien für die meisten Fälle der Goldstandard bleiben, kann die ergänzende Evidenz, die neue Big Data-Quellen generieren, unsere Entscheidungen erleichtern […] und verbessern“, schreibt die Task Force in ihrem Bericht.

Big Data kann Entscheidungen verbessern und erleichtern. 
Foto: ©iStock.com/shironosov
Big Data kann Entscheidungen verbessern und erleichtern.
Foto: ©iStock.com/shironosov

Das sind sich auch die 22 Organisationen – darunter elf Pharmaunternehmen – bewusst, die sich in dem Projekt EHDEN (2018-2024) der Innovative Medicines Initiative (IMI) zusammengeschlossen haben. Ihr Ziel: die Analyse von Gesundheitsdaten aus der „Real World“ einfacher machen. Dazu wollen sie ein Netzwerk aufbauen, welches die anonymisierten Daten von über hundert Millionen EU-Bürgern zusammenbringt. Das soll letztlich zu einem besseren Verständnis von Krankheiten, neuen Therapien und medizinischen Geräten führen – im Sinne der Patienten, Ärzte, Kostenträger, Behörden, Politiker und der pharmazeutischen Industrie. Die EHDEN-Verantwortlichen reagierten auf den Bericht der Big Data Task Force von EMA und HMA mit einer Pressemitteilung:

Man unterstütze die Ziele und freue sich darauf, in Bereichen von gemeinsamen Interesse zusammenzuarbeiten – etwa bei dem Aufbau von großen Datennetzwerken.

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