Spahn: “Das macht mich wahnsinnig”

Höhere Impfquoten bei Kindern durch eine verpflichtende Impfberatung – das ist eines der Ziele des Präventionsgesetzes, dessen Entwurf vergangene Woche vom Bundeskabinett verabschiedet wurde. So sollen z.B. Masern-Ausbrüche an Schulen oder Kindergärten verhindert werden. Im Interview mit Pharma Fakten fordert Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU Fraktion, deshalb eine enge Kooperation vor Ort: Kassen, Kommunen, Ärzte und Kindergärten müssten enger zusammenarbeiten.

Die Kassen interpretieren das AMNOG als „Erfolgsgeschichte“ – was wohl im Kontext mit den im europäischen Vergleich sehr niedrigen Preisen für AMNOG-Produkte zu sehen ist. Die Industrie hingegen sieht im AMNOG verschiedene Kräfte am Werk, die sich letztlich als Innovationsbremse auswirken, weil neue Arzneimittel nicht mehr ausreichend bezahlt werden. Sorgt Sie das? Schließlich ist doch auch erklärtes Ziel des AMNOG, den Zugang zu modernen Therapien zu verbessern?

Jens Spahn: Der neue Weg zur Preisfindung bei neuen Arzneimitteln, den wir mit dem AMNOG beschritten haben, war absolut richtig. Der Preis muss sich nach den zusätzlichen Nutzen für die Patienten richten. Dass die Hersteller mit den auf dieser Basis zu verhandelnden Preisen teilweise nicht zufrieden sind, kann ich verstehen. Die Hersteller müssen allerdings auch verstehen, dass die Zeiten der Mondpreise, in denen die Kassen während der Patentlaufzeit jeden Preis zahlen mussten, vorbei sind. Wichtig ist, dass Innovationen auch einen ausreichend hohen Zusatznutzen bescheinigt bekommen und ein fairer Preis verhandelt wird. Das müssen wir sicherstellen, auch durch Weiterentwicklung des gesetzlichen Rahmens.

Auswertungen wie zum Beispiel im Arzneimittelatlas zeigen, dass AMNOG-geprüfte Produkte nur sehr langsam bei den Patienten ankommen. Auch hier verfestigt sich der Eindruck, dass mit dem AMNOG vor allem Geld gespart werden soll.

Spahn: Der Zugang der Patienten zu Innovationen ist sehr wichtig. Für uns steht außer Frage, dass Menschen die krank sind, schnellstmöglich die Medikamente erhalten, die sie brauchen. Daher können die Hersteller auch nach dem AMNOG Innovationen zunächst zu einem von ihnen festgesetzten Preis einführen. Erst nach einem Jahr gilt der vereinbarte AMNOG-Preis. Dadurch bleibt der Zugang zu Innovationen bestehen und nach einem Jahr ist sichergestellt, dass langfristig angemessene Preise gezahlt werden.

In diesem Jahr heiß diskutiert: Die Preise für Hepatitis-C-Medikamente. Von der Fachwelt als Durchbruchsinnovation gefeiert, stellt das AMNOG solchen Präparten eher ein maues Zeugnis aus. Welchen Wert hat eine Kostendiskussion, in der der Nutzen solcher Arzneimittel gar nicht ausreichend anerkannt wird?

Spahn: Wieso maues Zeugnis? Das Medikament hat einen hohen Zusatznutzen zugesprochen bekommen, was auch gerechtfertigt ist, da es sich um eine wirkliche Innovation handelt.

Einen „beträchtlichen Zusatznutzen“ gab es laut Gemeinsamem Bundesauschuss (G-BA) nur für 4,6 Prozent der Patienten. Die höchste AMNOG-Kategorie „erheblicher Zusatznutzen“ wurde gar nicht erst in Betracht gezogen. Deshalb noch mal die Frage: Ist der Nutzen wirklich ausreichend anerkannt worden?

Spahn: Ob der Nutzen nun beträchtlich oder erheblich ist, ist ja erst mal im Vergleich zu sehen. Und da wir meines Wissens noch keinen Wirkstoff mit erheblichem Zusatznutzen haben und nur wenige, denen ein beträchtlicher Zusatznutzen zugesprochen wurde, ist Sovaldi unumstritten eine Innovation, die vielen Patienten besser hilft als die bisher bestehenden Therapiealternativen bei Hepatitis C. Das ist auch weitestgehend unumstritten. Wichtig ist jetzt, dass bei den Preisverhandlungen ein fairer Preis rauskommt, der dem Zusatznutzen des Wirkstoffes gerecht wird aber gleichzeitig auch die Bezahlbarkeit durch die Krankenkassen berücksichtigt.

Nach Recherchen von Pharma Fakten waren rund ein Fünftel (19 Prozent) der im AMNOG-Verfahren behandelten Produkte entweder gar nicht oder zumindest zeitweise nicht verfügbar; z.B. weil der Hersteller beschlossen hatte, es in Deutschland generell nicht einzuführen (Opt-out). Ist das nicht alarmierend?

Spahn: Ja. Kein Zweifel, ein Opt-out ist alarmierend. Aber letztendlich können wir niemanden zwingen ein Produkt anzubieten, wenn er das nicht möchte. Wichtig ist für uns, dass die Preise die gezahlt werden, fair sind.

Die Kassen fordern, dass die im Rahmen des AMNOG ausgehandelten Preise rückwirkend zum 1. Verkaufstag gelten sollen. Wie stehen Sie dazu? Wird es eine solche Änderung im AMNOG-Verfahren geben?

Spahn: Wir stehen zu den Grundzügen des AMNOG wie vereinbart. Allerdings erwarte ich auch, dass die Hersteller im ersten Jahr, in dem sie den Preis frei festsetzen dürfen, dies auch verantwortungsbewusst tun.

Das Präventionsgesetz im vierten Anlauf: Im Koalitionsvertrag hat sich die Regierung verpflichtet, die Impfraten erhöhen zu wollen. Tun wir genug, um das Thema Impfen voranzubringen?

Spahn: Es stimmt, wir brauchen eine höhere Impfquote bei Kindern. Es kann nicht sein, dass es etwa immer wieder zu Masern-Ausbrüchen in Schulen oder Kindergärten kommt. Eine konkrete Impfberatung, bevor ein Kind eine Kindertagesstätte besucht, ist dringend nötig. Da müssen alle vor Ort kooperieren, Kassen, Kommunen, Ärzte und Kindergärten. Verbindliche Aufklärung ist das A und O, Masern sind nicht immer harmlos. Es macht mich wahnsinnig, wenn eigentlich gebildete Eltern die Parolen von Impfgegnern nachbeten. Deshalb werden wir das im Präventionsgesetz regeln.

Seit Jahrzehnten ist die Rede von der Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Die findet aber gar nicht statt – wir geben gemessen am Bruttoinlandsprodukt seit Jahren ungefähr denselben Betrag aus. Aber ist das überhaupt sinnvoll? Müssten wir nicht eigentlich vor dem Hintergrund von Demografie und medizinischem Fortschritt mehr investieren?

Spahn: Wir waren in den letzten Jahren erfolgreich, durch gesetzliche Maßnahmen bevorstehende Kostenexplosionen zu verhindern. Auf der anderen Seite hat uns die gute wirtschaftliche Entwicklung auf der Einnahmenseite geholfen. Aber wie Sie sagen, die Kosten werden steigen. Von daher müssen wir alles dafür tun, dass die begrenzten Mittel zukünftig so effizient und effektiv wie möglich eingesetzt werden, damit die Ausgaben nicht aus dem Ruder laufen. Denn wir wollen auch weiterhin, dass Innovationen zeitnah allen Menschen zur Verfügung stehen.

Foto: Laurence Chaperon

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