Bestmögliche Gesundheit für alle Menschen – auf diesen kurzen Nenner lässt sich das Ziel der Weltgesundheitsorganisation bringen, die 1948 als Sonderorganisation der Vereinten Nationen gegründet wurde. Mehr als 7.000 Mitarbeiter setzen auf der ganzen Welt Gesundheitsprogramme um, die aktuell vor allem dazu dienen, bis 2023 eine „dreifache Milliarden-Zielmarke“ zu erreichen: Eine Milliarde Menschen mehr sollen bis dahin Zugang zur Gesundheitsversorgung haben; eine Milliarde soll besser vor gesundheitlichen Notlagen geschützt sein; und bei einer Milliarde Menschen sollen sich bis dahin Gesundheit und Wohlbefinden verbessern.
Eine lange Liste mit Erfolgen
WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus blickt jeden Tag in seinem Büro in der Genfer WHO-Zentrale auf die Statue eines Kindes, das gegen Pocken geimpft wird. Das erinnert ihn an einen der frühesten und größten Erfolge seiner Organisation – dank weltweiter Impfprogramme konnte die WHO im Mai 1980 verkünden, die Pocken seien ausgerottet. Und auch die übrigen Erfolge können sich sehen lassen: So stieg die Lebenserwartung seit 1950 weltweit um 25 Jahre an. Zwischen den Jahren 2000 und 2015 gab es weltweit bei den Malaria-Todesfällen einen Rückgang von rund 60 Prozent, die Todesfälle durch Tuberkulose sanken um 37 Prozent. Im Jahr 2016 starben 6 Millionen Kinder weniger vor ihrem fünften Geburtstag als noch 1990. Heute steht die Kinderlähmung kurz vor der Ausrottung, ebenso die lymphatische Filariose, also die so genannte Elefantenkrankheit, die furchtbare Entstellungen verursacht. Auch die Mutter-Kind-Übertragung von HIV kommt so gut wie nicht mehr vor und in vielen Ländern konnten in den letzten Jahren Malaria und Masern deutlich zurückgedrängt werden. All diese Erfolge sind nicht allein der WHO zu verdanken – aber sie wären ohne die WHO nicht möglich gewesen.
„Unsere Gründer hatten sich nicht zum Ziel gesetzt, moderate gesundheitliche Verbesserungen zu erreichen“, erklärte Tedros einmal, „stattdessen träumten sie von einer Welt, in der alle Menschen das für sie erreichbare Höchstmaß an Gesundheit genießen können – als ein grundlegendes Menschenrecht.“ Er wolle sich nicht mit einer Welt zufriedengeben, in der auch heute noch ein Unterschied von bis zu 33 Jahren in der Lebenserwartung klaffe. Zu den wichtigsten Aufgaben der WHO gehört es, weltweit Aktivitäten im Kampf gegen übertragbare Krankheiten zu koordinieren – wie HIV, Malaria, Ebola und aktuell COVID-19. Die Zusammensetzung der jeweils aktuellen Grippe-Impfstoffe basiert ebenso auf WHO-Empfehlungen wie globale Impfprogramme oder Initiativen gegen Rauchen, Übergewicht oder für die Reduzierung von Zucker und Transfetten in Lebensmitteln.
Daneben unterstützt die WHO den Aufbau funktionierender Gesundheitssysteme in Entwicklungsländern und erstellt einmal jährlich einen Weltgesundheitsbericht.
Das Problem mit den Beiträgen
Das alles kostet Geld. Die 194 Mitgliedsstaaten zahlen feste Pflichtbeiträge, deren Höhe sich nach dem Wohlstand eines Landes richtet. Daneben leisten viele Länder – und auch Stiftungen und Unternehmen – freiwillige Zahlungen, die allerdings häufig zweckgebunden sind. Größter Beitragszahler waren bis vor kurzem die USA mit zuletzt 294,4 Millionen US-Dollar für den Zeitraum 2020/21, dicht gefolgt von der Bill & Melinda Gates Foundation mit 280,90 Millionen US-Dollar. Deutschland ist mit 135,7 Millionen US-Dollar fünftgrößter Beitragszahler. Aus dem privaten Sektor engagieren sich neben Gates unter anderem die Ikea Foundation mit 3,2 Millionen US-Dollar, aber auch Pharma-Unternehmen wie Bayer (2,1 Millionen) oder GSK (1,9 Millionen). In der Kritik steht die WHO vor allem wegen der zweckgebundenen Zahlungen – ein Land oder auch ein Unternehmen kann also zum Beispiel bestimmen, für welche Impfungen seine Fördersummen ausgegeben werden. Zu den schärfsten Kritikern dieses Vorgehens zählt Tedros Adhanom Ghebreyesus. „Offen gesagt können wir unsere Mission nicht erfüllen, wenn die Zweckbindung im derzeitigen Umfang beibehalten wird“, erklärte er kürzlich; „wir appellieren an alle Länder, uns mit flexiblen Mitteln aus stabilen Quellen auszustatten.“ Die nicht zweckgebundenen Beiträge an die WHO sind seit 1993 eingefroren. Ohne private Geldgeber hätte viele WHO-Projekte dasselbe Schicksal ereilt.
Im Zuge der Coronakrise wurde die WHO vor allem für zwei angebliche Fehler kritisiert: Der Umgang mit China sei zu freundlich und die Pandemie-Warnung sei zu spät erfolgt. Das Problem dabei: Egal, wie sich die WHO verhalten hätte, sie wäre auf jeden Fall kritisiert worden. Im Jahr 2007 warnte sie frühzeitig vor der Schweinegrippe-Pandemie – und wurde anschließend heftig angegangen, weil die Pandemie letztlich doch ausblieb. Möglicherweise wollte Tedros diesen Fehler seiner Vorgänger diesmal vermeiden. Doch jetzt heißt es die WHO habe viel zu spät reagiert. Tatsächlich dauerte es bis zum 30. Januar, ehe die WHO von einem internationalen Gesundheitsnotstand sprach, von einem Public Health Emergency of International Concern (PHEIC). Und erst am 11. März erklärte Tedros den COVID-19-Ausbruch offiziell zur Pandemie. Zur Wahrheit gehört aber auch: In Deutschland etwa schätzte das Robert Koch-Institut am 6. März die Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung durch COVID-19 noch als „mäßig“ ein. Und es dauerte bis zum 2. April, ehe sich das RKI dazu durchringen konnte, eine Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Raum zu empfehlen, auch für Menschen ohne Krankheitssymptome.
Anders gesagt: Im Nachhinein ist man immer schlauer. Tedros wies im Mai auf der Jahrestagung der WHO Kritik am Umgang mit dem Coronavirus zurück und betonte, die WHO habe „früh Alarm geschlagen“. Zugleich kündigte er eine unabhängige Untersuchung der weltweiten Reaktion auf die Pandemie an.
Wo die Fäden zusammenlaufen
Was den Umgang mit China betrifft, so war Tedros bei seinem Treffen mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping im Januar tatsächlich ausgesprochen freundlich. Nur: Es blieb ihm auch nichts anderes übrig. Denn die WHO hat keine Möglichkeiten, die einzelnen Länder zur Herausgabe von Informationen zu zwingen. Sie ist auf Kooperation angewiesen und dafür kann ein freundlicher Umgangston durchaus hilfreich sein. Viele Experten halten die Kritik am Umgang der WHO mit dem Coronavirus für überzogen, darunter auch Olaf Wientzek, Leiter des Multilateralen Dialogs der Konrad-Adenauer-Stiftung in Genf. Er betonte in einem Gastkommentar für den Focus: „Die WHO setzt auf Diplomatie.“ Und: „Sie hilft, wo sie helfen darf.“
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt den Vorwurf, die WHO sei eine Marionette für internationale Strippenzieher, keinesfalls gelten. Im Gegenteil. Bei ihrer Videobotschaft zur WHO-Jahrestagung sagte sie wörtlich: „Die Weltgesundheitsorganisation ist eine legitimierte globale Institution, bei der die Fäden zusammenlaufen.“