Könnten das Coronavirus und Attila Hildmann die Impfbereitschaft erhöhen? Über diese Frage diskutierte am 1. Juli eine bayerische Expertengruppe. Foto: © iStock.com/Natali_Mis
Könnten das Coronavirus und Attila Hildmann die Impfbereitschaft erhöhen? Über diese Frage diskutierte am 1. Juli eine bayerische Expertengruppe. Foto: © iStock.com/Natali_Mis

Hoffnungsträger Impfen: Coronakrise als Chance

Eigentlich ist Attila Hildmann ein deutscher Autor für vegane Kochbücher. Doch seit der Coronakrise zeigt er sich in der Öffentlichkeit vor allem als Verbreiter von Verschwörungsideologien rund um das Virus und die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Was dieser Mann und SARS-CoV-2 gemeinsam haben? Beide stärken die Impfbereitschaft. Warum das so ist, wurde auf einer digitalen Vortrags- und Diskussionsveranstaltung in München deutlich.

„Es bewegt sich etwas in Europa und in Deutschland: Impfen steht im Bewusstsein vieler Menschen ganz oben“ – so die zentrale Aussage der Ministerialdirektorin Ruth Nowak vom Bayerischen Gesundheitsministerium. Sie eröffnete die Veranstaltung „Hoffnungsträger Impfen: Chancen nutzen“, die am 1. Juli als Online-Event stattfand.

108 Impfstoffe gegen das Coronavirus in Entwicklung. Foto: © iStock.com / Neznamov Sergey
108 Impfstoffe gegen das Coronavirus in Entwicklung. Foto: © iStock.com / Neznamov Sergey

Zum ersten Mal in ihrer Geschichte beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland an einem Unternehmen, das Impfstoffe erforscht, in diesem Fall einen möglichen Corona-Impfstoff. Anders als bei Commerzbank oder Lufthansa werden die 300 Millionen Euro nicht investiert, um ein Unternehmen zu retten, sondern um vorne dabei zu sein, wenn es einen Durchbruch geben sollte. „Wir werden nicht allein China und den USA dieses innovative Feld überlassen“, so Nowak, „man muss den Mut haben, auch mal einen riskanten Weg zu gehen.“ Denn natürlich sei nicht sicher, ob das Tübinger Unternehmen CureVac am Ende tatsächlich Erfolg haben wird. Ebenso wenig wie die Universität Oxford, bei der die Bundesregierung 300 Millionen Dosen eines potenziellen Corona-Impfstoffes geordert hat, der dort gerade erforscht wird.

Insgesamt gibt es momentan 108 Corona-Impfstoffkandidaten. Welche davon sich frühestens ab 2021 durchsetzen werden – unklar.

Neue Politik und größere Impfbereitschaft

Klar ist für Ruth Nowak allerdings: „Corona hat zu einer neuen Art von Industriepolitik geführt“ – und auch zu einer größeren Impfbereitschaft in der Bevölkerung. So habe eine Umfrage Anfang Juni ergeben, dass sich 90 Prozent der Menschen gegen das Coronavirus impfen lassen würden. Und auch bei der etablierten Grippe-Impfung rechnet der Freistaat Bayern im Herbst mit einer deutlich erhöhten Nachfrage: „Wir planen deshalb den Ankauf von 660.000 zusätzlichen Dosen Influenza-Impfstoff“, so Nowak, „aber ob wir sie tatsächlich bekommen, ist noch offen.“ Falls ja, werden die Impfungen mit den Zusatzdosen auch von den Gesundheitsämtern angeboten – auch das wäre ein Novum. Zum Hintergrund: Damit die Impfstoffhersteller planen können, bestellen die Arztpraxen ihre Grippe-Impfstoffe für die neue Saison rund ein Jahr im Voraus – diesmal könnten die Bestellungen zu sparsam ausgefallen sein. Als Gesundheitsminister Jens Spahn im März die Pneumokokken-Impfung empfahl, gab es in den folgenden fünf Tagen genauso viele Impfstoff-Bestellungen wie im ganzen Jahr 2019.

Der Immun- und Tropenmediziner Markus Frühwein beschäftigte sich mit dem Thema „Indikationsimpfungen“. Will heißen: Chronisch kranke und immunsupprimierte Patienten – etwa nach einer Organtransplantation oder mit einer akuten Krebserkrankung – benötigen einen umfassenden und speziellen Impfschutz. „Viele Hausärzte fühlen bei solchen besonders gefährdeten Patienten unsicher und zögern deshalb mit der Impfung“, erklärte Frühwein und gab seinen KollegInnen zwei einfache Merksätze mit auf den Weg: „Totimpfstoffe gehen immer. Lebendimpfstoffe gehen, wenn der Abstand zur Therapie groß genug ist – aber sie gehen nicht während einer immunsuppressiven Therapie.“ Grundsätzlich bemängelte Frühwein: „Die Impfberatung ist bei weitem nicht ausreichend – dabei gibt es eine rechtliche Pflicht des Arztes zur Beratung.“

8 Euro Honorar fürs Impfen 

Coronakrise als große Chance, „den Impfgedanken zu stärken". Foto: © iStock.com/Rallef
Coronakrise als große Chance, „den Impfgedanken zu stärken”. Foto: © iStock.com/Rallef

Dass diese Beratung oftmals sehr kurz ausfällt, kann auf keinen Fall am Geld liegen – meinte jedenfalls Wolfgang Adolf von der AOK Bayern in der anschließenden digitalen Podiumsdiskussion. „Die Ärzte in Bayern erhalten mindestens 8 Euro und bis zu 21,75 Euro fürs Impfen“, so Adolf, „was die Honorierung angeht, haben die Kassen das Nötige getan.“ Brigitte Dietz, Impfbeauftragte des Berufsverbandes Kinder- und Jugendärzte, verwies allerdings darauf, dass mit einer Impfung auch Aufklärungsgespräche verbunden sind, die manchmal durchaus zeitaufwändig sein können. „Man muss auf die Eltern eingehen und ihnen auch Gelegenheit geben, Fragen zu stellen“, so Dietz, „dann lassen sich fast alle von der Notwendigkeit einer Impfung überzeugen.“ Die Coronakrise sei tatsächlich eine große Chance, „den Impfgedanken zu stärken“. 

Zumindest bei den meisten Menschen. Markus Frühwein beziffert den Anteil der entschiedenen Impfgegner auf zwei Prozent. „Bei denen gibt es große Schnittmengen mit Verschwörungstheoretikern. Sie glauben gar nicht, was ich mir von Impfgegnern schon über Chemtrails oder die Rockefellers anhören musste.“ Mit solchen Menschen gebe es keinen gemeinsamen Nenner und deshalb auch keine Grundlage für Diskussionen. Allerdings ist Frühwein auch überzeugt: „Jemand wie Attila Hildmann schreckt die Leute eher ab – insofern sehe ich ihn und die Corona-Demos eher positiv, was die Impfbereitschaft angeht.“ Die Denkweise der Impfgegner illustrierte Frühwein mit dem Bild einer Brücke, die weit übers Wasser führt. In der Bildunterschrift steht: „Diese Brücke ist nur zu 99,997 Prozent sicher – ich schwimme lieber.“ Und zu seinen Lieblingszitaten gehört die angelsächsische Weisheit: „If you don`t like the vaccine – try the disease“. Probiere einfach die Krankheit aus, wenn du den Impfstoff nicht magst.

Mehr Aufklärungsarbeit zur HPV-Impfung

Coronavirus-Pandemie. Foto: CC0 (Stencil)
Coronavirus-Pandemie. Foto: CC0 (Stencil)

Seit Beginn der Coronakrise gab es, nach anfänglichem Zögern, bei einigen Impfungen eine Zunahme. „Allein bei der Pneumokokkenimpfung gab es im ersten Quartal eine Steigerung von 77 Prozent, verglichen mit dem ersten Quartal 2019“, erklärte Larissa Weichenberger von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns. Auch andere Impfungen, wie etwa die jährlichen Grippe-Impfungen, zeigen steigende Tendenz. Deutlichen Verbesserungsbedarf gibt es hingegen in Bayern bei der HPV-Impfung, die vor Gebärmutterhalskrebs schützt. „Da sehen wir wirklich schlecht aus, da haben wir zu wenig getan“, räumte Ministerialdirektorin Nowak ein. Hier sei bessere Öffentlichkeitsarbeit nötig.

„Wir wollten das auch angehen“, so Ruth Nowak weiter, „aber dann kam Corona dazwischen. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Das Thema Impfen ist durch Corona in der Bevölkerung angekommen – das könnte uns helfen.“

Moderator Prof. Eckhard Nagel, Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bayreuth, wollte von Ruth Nowak abschließend wissen, wie sie denn zu regelmäßigen Impfungen an Schulen stehe – denn die meisten Eltern seien keine Impfverweigerer, sondern würden anstehende Impfungen nur vergessen. „Ich stünde dem aufgeschlossen gegenüber“, erwiderte Nowak. „allerdings hätten wir dafür in der Vergangenheit zu wenig Personal bei den Gesundheitsämtern gehabt. Aber es kann gut sein, dass sich hier durch Corona etwas tut“. Im Zuge künftiger Pandemie-Vorbereitung soll das Personal in den Gesundheitsbehörden schließlich deutlich aufgestockt werden. 

Einig waren sich alle Teilnehmer der Diskussionsrunde darüber, dass die Coronakrise auch eine einmalige Chance ist, höhere Impfraten zu erzielen. Bleibt die Hoffnung, dass diese Chance auch genutzt wird.   

  
Veranstalter von „Hoffnungsträger Impfen: Chancen nutzen!“ war die WISO S.E. Consulting GmbH in Kooperation mit Health Care Bayern e.V. 

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