Die Experten aus der Digitalen Gesundheitswirtschaft trafen sich im Herbst 2018 und 2019 in Berlin zu Workshops, in denen sie das Thema „Datenspende“ aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchteten. Schon beim ersten Treffen wurde klar: Wenn möglichst viele Patienten ihre Gesundheits- und Behandlungsdaten für wissenschaftliche Forschungszwecke zur Verfügung stellen, dann könnte das die Gesundheitsversorgung entscheidend verbessern. Allerdings sei auch „eine Regulierung unter Berücksichtigung ethischer Grundsätze notwendig“. Und: Es muss einen gesamtgesellschaftlichen Dialog darüber geben, welche Vorteile und Risiken mit einer Datenspende verbunden sind und wie genau sie umgesetzt werden sollte. Im zweiten Workshop ging es dann weiter ins Detail: Die Akteure arbeiten in sehr unterschiedlichen Bereichen, in Forschung, Krankenhauswesen, Verbänden, Start-Ups oder Ärztevereinigungen – und sie alle brachten fachspezifische Impulse ein, die zu einer klaren, ganzheitlichen Datenspende-Strategie beitragen.
Dr. Attila Wohlbrandt zum Beispiel ist Projektleiter im Forschungskonsortium „Smart4Health“ der Europäischen Union. Er und seine Partner entwickeln gerade eine mobile App, die es allen EU-BürgerInnen ermöglichen soll, ihre Gesundheitsdaten „selbstbestimmt und digital zu verwalten, zu teilen und der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen“. Die Patienten können also über die „Smart4Health-Forschungsdatenplattform“ etwa Daten zu ihrer Medikamenteneinnahme, Krankenhausberichte oder auch Fitnessdaten erfassen, speichern und der Wissenschaft zur Verfügung stellen. „Die Plattform verwaltet diese Daten zuverlässig“, so Attila Wohlbrandt, „und kontrolliert beispielsweise den Zugriff durch Forscher*innen.“
Noch steht nicht fest, wann diese App verfügbar sein wird, zumal gewährleistet sein muss, „dass die einmal zur Verfügung gestellten Daten nicht einfach verändert oder entfernt werden können“ – denn dann wären sie für die Wissenschaft unbrauchbar. Wohlbrandt schlägt deshalb vor, dass Patienten einwilligen, „das Recht auf Löschung ausschließlich auf die identifizierbaren Teile der für die Forschung bereitgestellten Daten zu beziehen“ – also auf personenbezogene (im Gegensatz zu anonymisierten) Daten.
Daten verknüpfen, Versorgungsqualität verbessern
Schon heute arbeitet die Versorgungsforschung mit Daten aus klinischen Studien, aus Patientenbefragungen oder auch mit so genannten „Routinedaten“ aus Behandlungs-Abrechnungen. Der Zugang dazu ist allerdings beschwerlich und es kostet viel Zeit und Geld, „um diese Daten für die Forschung akquirieren und analysieren zu können“ – so Dr. Tonio Schönfelder vom unabhängigen „WIG2“-Forschungsinstitut, das sich auf „datenbasierte Analytik“ spezialisiert hat. Er fordert ein „Linkage“, also eine Verknüpfung unterschiedlicher Daten, zu denen auch Datenspenden gehören können. Das wäre „technisch und unter Datenschutzgesichtspunkten möglich“, so Schönfelder. Es würde doppelten Nutzen bringen – für die Patienten, „deren Versorgungsqualität sich verbessern würde“ und für das Versorgungssystem, „weil sich unnötige Kosten vermeiden ließen.“
Ein Problem bei Datenspenden liegt darin, dass sie meistens nur eingeschränkt repräsentativ sind. „Beispielsweise nutzen gesündere Menschen öfter präventive Maßnahmen und lassen sich eher durch gesundheitsbegleitende Geräte und Apps verfolgen“, erklärt Dr. Anne Schwerk, Projektleiterin KI am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). Gleichwohl bergen Datenspenden von Patienten „einen enormen Nutzen, wenn sie einheitlichen Kriterien entsprechen.“ Hier müssten technische Aspekte optimiert werden, etwa mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz, aber auch, so Schwerk, „die digitale und Datensouveränität der Nutzer*innen, sodass Daten vermehrt gespendet werden und deren Verwendung transparent gestaltet werden kann.“
Software aus den 1980ern
Bevor es überhaupt Datenspenden in größerem Umfang geben kann, muss die Digitalisierung im Gesundheitswesen deutlich voranschreiten. Dr. Bernhard Tenckhoff von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sieht hier einen ersten wichtigen Schritt in der für 2021 geplanten Einführung der elektronischen Patientenakte – die Daten daraus könnten „perspektivisch“ mittels Datenspende der Forschung zur Verfügung gestellt werden. Zunächst einmal müssen allerdings viele Arztpraxen ein besseres technologisches Fundament erhalten. Ein Großteil von ihnen arbeitet „mit Softwareprogrammen aus den späten 1980er und 1990er Jahren“, weiß Anna von Stackelberg, Mitgründerin des Berliner Health-Tech-Unternehmens „doctorly“. Sie plädiert dafür, die Ärzte bei der Einführung technologischer Neuerungen zu unterstützen. Ein erster Schritt sei es immerhin, dass seit 1. Juli die Faxpauschale für das Versenden von Arztbriefen gekürzt worden sei – zugunsten der Erstattung von Versandkosten für elektronische Arztbriefe.
Im Berlin Lab Digitale Gesundheit waren auch Patienten vertreten. Sie stehen einer Datenspende zunehmend positiv gegenüber und sehen durchaus die Chancen auf eine verbesserte Diagnostik und zielgenauere Behandlung. Allerdings brauche es klar definierte Zugriffsregelungen und Vorgaben, die auch im Nachhinein geprüft und von den Spendern nachvollzogen werden können. Um den Datenschutz zu gewährleisten sei es notwendig, sich auf eine gemeinsame zentrale Instanz zu verständigen, bei der die Daten gesammelt werden. Nach Ansicht von Philipp Hoffmann vom Ärzteverband „Hartmannbund“ brauchen Datenspenden einen ethisch-moralischen Rahmen „auf der Grundlage von Vertrauen und Verantwortung“. Er lehnt deshalb Anreizmodelle wie „Geld für Daten“ ab und plädiert dafür, möglichst viele Menschen davon zu überzeugen, mit einer Datenspende etwas Gutes zu tun. Grundsätzlich waren sich alle Teilnehmer darüber einig, dass Datenspenden gesetzliche Rahmenbedingungen brauchen, in denen ethische und rechtliche Fragen geklärt sein müssen – etwa, wer die Daten verwaltet, wer darauf zugreifen darf und wie diese Daten geschützt werden.
Wenn all diese Fragen geklärt sind, dann können Datenspenden erheblich zum medizinischen Fortschritt beitragen. Marie Schild, Market Access Innovations Manager bei Pfizer nannte als Beispiel eine App für Patienten mit Herzrhythmusstörungen, die über die Smartphonekamera elektronische Biomarker erfasst und anschließend den Herzrhythmus in EKG-vergleichbarer Qualität misst. „Die Nutzung solcher Daten in der medizinischen Forschung“, so Marie Schild, „könnte aufwendige klinische Studien zum Teil mit invasiven Methoden ersetzen und damit sowohl den Patienten entlasten als auch zur Kosteneinsparung in der Forschung führen.“
Die Handlungsempfehlungen der Experten
Abschließend geben die „Berlin Lab“-Teilnehmer in ihrem Whitepaper konkrete Handlungsempfehlungen. So müsse es eine gesamtgesellschaftliche Debatte über Chancen und Risiken der Datenspende geben, ebenso eine breite Aufklärung über ihren Nutzen und einen Dialog zwischen Patienten und Ärzten. Die Qualität und Sicherheit der Daten muss garantiert sein und es muss geklärt werden, wie die Datenspenden aufbewahrt und genutzt werden. Eine Grundvoraussetzung dafür ist ein Ausbau der technischen Infrastruktur mittels Breitband, Glasfaser oder 5G, aber auch das Öffnen und Standardisieren von Schnittstellen zur Datenerfassung und nicht zuletzt die „Einführung möglichst simpler Eingabeszenarien auf Seiten der medizinischen Erfasser.“
Link zum Whitepaper: „Datenspende im Gesundheitswesen: Chancen, Herausforderungen, Zukunftspotentiale.“