„Welche Schlüsse ergeben sich aus COVID-19 für unser Gesundheitssystem? Wie muss es gestaltet werden, damit es widerstandsfähiger wird und kommende Pandemien nicht wieder zur Feuerprobe werden? Aber auch: Wie sieht ein zeitgemäßes Gesundheitssystem aus? Welche Bedeutung kommen Prävention, Gesundheitskompetenz und ‚digital health‘ dabei zu?“ Es sind Fragen wie diese, die „Perspektive 2021“ diskutieren will.
Lehren aus der Corona-Pandemie
Ziel ist – wie auch bei allen bisherigen Debatten auf „Land der Gesundheit“ – der Austausch mit und unter Akteuren im Gesundheitssystem und darüber hinaus: Da ist zum Beispiel Kornelia Schmid, Vorstandsvorsitzende des Vereins „Pflegende Angehörige“. Sie erhebt die Stimme für all jene, die sich um kranke Familienmitglieder, Freunde oder Nachbarn kümmern. Für sie bedeutete der Lockdown: „keine Verschnaufpause mehr und rund um die Uhr mit dem zu pflegenden Menschen allein.“ Dazu die Angst vor einer Ansteckung. Laut Schmid ist das Gesundheitssystem „insgesamt zu komplex“, „gleichzeitig fehlt es an transparenter Information“. „Leistungen, auf die Sie Anspruch haben, müssen Sie mühsam aus der Homepage Ihrer Versicherung herauspicken.“ Sie wünscht sich „pragmatische Lösungen“.
Dass die Corona-Pandemie im Gesundheitswesen der „Reset-Knopf für einen Neuanfang, zumindest aber für grundsätzliche System-Änderungen“ ist, möchte auch der Landarzt und Internetmediziner Dr. Michael Gurr: Er hofft auf ein Mehr an Online-Kommunikation zwischen Patient und Behandler.
Die beiden Onkologen Prof. Dr. Dr. Michael von Bergwelt und Prof. Dr. Christof von Kalle sind außerdem der Meinung, dass sich das aus dem Umgang mit COVID-19 „schmerzhaft Erlernte“ auf den Kampf gegen Krebs anwenden lässt: Unter anderem geht es darum, die Prävention und Frühdiagnostik zu stärken; überdies betonen sie den Wert einer transparenten, effektiven und patientenzentrierten Verarbeitung von Gesundheitsdaten.
Laut dem Virologen Prof. Dr. med. Jonas Schmidt-Chanasit gilt es, künftig noch schneller als bei SARS-CoV-2 auf drohende Gesundheitskrisen zu reagieren und „quasi den Übergang von wenigen Infektionen zu einer Epidemie oder gar Pandemie zu verhindern.“ Er fordert daher „viel Forschung und eine viel bessere internationale Kooperation in der Seuchenbekämpfung“. Das sieht Prof. Ilona Kickbusch, eine der weltweit führenden Experten im Bereich Public Health, ähnlich: Globale Zusammenarbeit hält sie gar für „eine Grundbedingung für erfolgreiche Pandemiebekämpfung.“ Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) brauche daher „nicht nur mehr Geld, sondern auch mehr Autorität, um Informationen von den Mitgliedsländern einzufordern. Auch haben wir gelernt, dass unsere Pandemiepläne nicht mehr nur gesundheitspolitisch sein können: Es muss genau vorab durchdacht sein, was bei einem Lockdown wirtschaftlich und sozial passiert – es gibt wahnsinnig viel zu tun.“
Europa „mache dich stärker“
In diesem Sinne plädiert Martin Fensch, Mitglied der Geschäftsführung bei Pfizer in Deutschland, dafür, die Erfahrungen aus der Pandemie für eine steile Lernkurve nutzen. Denn in der Krise wurde teilweise möglich, was vorher kaum denkbar war: Abläufe und Bürokratie im Gesundheitssystem wurden vereinfacht, vieles passierte in nie dagewesener Geschwindigkeit – in einem Klima von Improvisation, Kreativität, Flexibilität und sektorenübergreifender Kooperation. Wenn „es darum geht, Patienten so gut wie möglich zu behandeln, haben ineffiziente und langsame Prozesse keinen Platz“, so Fensch. So sieht er zum Beispiel auch in Sachen Forschung eine stärkere Zusammenarbeit der europäischen Länder für notwendig. Netzwerke sind das A und O. „Europa, schotte dich nicht ab. Aber mache dich stärker“, fordert er.
Die Pandemie als Realitätscheck: Perspektive 2021 will die „ungeahnten Kräfte“, die dazu beigetragen haben, dass Deutschland für sein Pandemiemanagement weltweit (bisher noch) bewundert wird, kanalisieren und fragt: „Wann, wenn nicht jetzt, ist die richtige Zeit dafür?“