„Demenz – Wir müssen reden“, heißt das diesjährige Motto. Denn viele Demenzerkrankte könnten viel besser versorgt werden. Aber noch immer ist die Krankheit ein Tabu, heißt es bei der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft: „Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen sollen sich nicht mehr verstecken müssen“, fordert sie.
Demenzen sind in der Regel nicht umkehrbar (irreversibel) und dauern bis zum Tode an. Sie verkürzen die Lebenserwartung; die Krankheitsdauer lässt sich jedoch im Einzelfall nicht zuverlässig vorhersagen. „Allgemein gilt, dass die Überlebenszeit umso geringer ist, je später im Leben die Erkrankung eintritt, je schwerer die Symptome sind und je mehr körperliche Begleiterkrankungen bestehen“, heißt es im Infoblatt der Alzheimer-Gesellschaft. Als häufigste Ursache einer Demenz gilt in den westlichen Ländern die Alzheimer-Krankheit; sie macht rund zwei Drittel der Krankheitsfälle aus. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Eine Heilung gibt es nicht.
„Alter ist per se keine Krankheit“
Für die Alzheimer Forschung Initiative (AFI) ist die Erkrankung „längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen“. Dennoch würden viele Symptome immer noch als „Altersvergesslichkeit“ eingestuft. Er ernte immer wieder verwunderte Gesichter, wenn er im Sprechzimmer antworte, „dass Alter per se keine Krankheit ist“, sagt Dr. Michael Lorrain, Vorstandsvorsitzender der AFI und seit über 30 Jahren niedergelassener Nervenarzt.
Lorrain fordert regelmäßige Gedächtnis-Check-Ups: „Es werden ab 70 alle möglichen Vorsorgeuntersuchungen zum Beispiel zur Erkennung von Herz-Kreislauf-Problemen gemacht. Warum soll das Gehirn da außen vor bleiben? Eine kleine, wenige Minuten dauernde Testung kann bereits einen Hinweis darauf geben, dass eine ausführlichere Diagnostik sinnvoll ist“, sagt er. „Es ist bemerkenswert, dass Krankheiten wie Krebs, die viel mehr Menschen töten, bezüglich der Diagnostik viel selbstverständlicher hingenommen werden als die Prüfung des Gedächtnisses. Es heißt also: Aufmerksam bleiben und bei Unsicherheit und Verdacht auf Gedächtnisprobleme zum Arzt gehen – am besten zum Nervenarzt.“
Arzneimittel-Forschung bei Alzheimer
Die Pharmaforschung hat sich an der Alzheimer-Erkrankung bisher weitgehend die Zähne ausgebissen – zur Jahrtausendwende ist das letzte Medikament zugelassen worden. An mangelndem Ehrgeiz liegt das nicht – ungezählt sind die initiierten und wieder aufgegebenen klinischen Studien, ungezählt auch die vielen Hunderte von Millionen Euro, die bisher investiert wurden. Die AFI berichtet: „Neue therapeutische Möglichkeiten könnte der Wirkstoff Aducanumab bieten. Der Antikörper gegen die für Alzheimer typischen Eiweißablagerungen aus Beta-Amyloid wurde in den USA zur Zulassung eingereicht und könnte damit als erstes neues Alzheimer-Medikament seit 2002 auf den Markt kommen. Eine Entscheidung der FDA (U.S. Food and Drug Administration) fällt spätestens im März 2021.“ Und auch in Europa laufen bereits Gespräche mit den Zulassungsbehörden.
Auch dieser Antikörper hat bereits eine bewegte Geschichte hinter sich. Das Studienprogramm wurde ausgesetzt, als der Verdacht aufkam, dass der Wirkstoff die Erwartungen an die Wirksamkeit nicht erfüllt. Weitere Analysen katapultierten ihn wieder ins Scheinwerferlicht der Forschung. „Heilen kann Aducanumab die Alzheimer-Krankheit nicht“, schreibt die AFI, „eine leichte Verzögerung des kognitiven Abbaus scheint dagegen möglich.“
In Bezug auf die Alzheimer-Erkrankung gelten bis heute viele Fragen als ungeklärt.
„Viele Ansätze sind gescheitert, weil man die Behandlung in einem zu späten Stadium der Erkrankung begonnen hat”, sagt Prof. Dr. Andreas Schmitt, Neurologe und medizinischer Direktor beim US-Biotechunternehmen Biogen. „Aber die enormen Investitionen in die Forschung waren keineswegs umsonst, denn wir wissen heute deutlich mehr als noch vor ein paar Jahren. Das ist ein wichtiger Lernprozess. Die Erkenntnisse, die wir auch aus vorzeitig beendeten Studien ziehen, sind essenziell für die weitere Erforschung der Erkrankung. Eine wichtige Erkenntnis aus vergangenen Studien war, dass man die Behandlung möglichst in einem frühen Stadium beginnen muss. Daher sind für die aktuellen Studien genau diese Patienten eingeschlossen worden.“
Das bestätigt auch Prof. Dr. Thomas Arendt, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der AFI: „Eine große Herausforderung für die Forschung sind der klinisch stumme Beginn und der langsame Erkrankungsverlauf“. Weiter führt er aus: „Es vergehen wahrscheinlich Jahrzehnte, bevor erste Anzeichen der Neurodegeneration sichtbar werden. Bis dahin ist aber im Gehirn schon ganz viel passiert, was wir nicht mehr umkehren können.“ Deshalb werde es noch einige Zeit dauern, bis man die Krankheit heilen könne, so Prof. Arendt weiter: „Bis dahin arbeiten wir daran, den Ausbruch der Erkrankung hinauszuzögern sowie in verschiedenen Erkrankungsphasen eine weitere Verlangsamung des Krankheitsverlaufs und eine Linderung der Symptome erreichen zu können.“