Prof. Rolf Müller vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung sieht großes Potenzial bei Teixobactin. Den aktuellen Hype hält er jedoch für übertrieben. Foto: Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung
Prof. Rolf Müller vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung sieht großes Potenzial bei Teixobactin. Den aktuellen Hype hält er jedoch für übertrieben. Foto: Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung

“Der Hype ist deutlich übertrieben”

Die Entdeckung des neuen Antibiotikums Teixobactin hat vergangene Woche für große Aufmerksamkeit gesorgt. Über die Bedeutung für die Medizin hat Pharma Fakten mit Prof. Rolf Müller gesprochen. Der Geschäftsführende Direktor des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland hat mit seinem Team selbst vor kurzem eine neue Klasse von Antibiotika entdeckt.

Teilen Sie die Einschätzung, dass die Neuentdeckung von Teixobactin ein Durchbruch ist?

Prof. Rolf Müller: Teixobactin ist ein tolles Molekül und die Publikation dahinter repräsentiert eine hervorragende wissenschaftliche Leistung. Allerdings ist der „Hype“ darum nun durchaus und deutlich übertrieben. Ein echter Durchbruch wäre ein zugelassenes Medikament, Teixobactin hat – zumindest laut der Publikation – noch keine Phase I, II oder III Studie im Menschen und auch keine präklinischen Toxizitätsstudien hinter sich. Folglich kann man über Toxizitätsprobleme, an denen die meisten Medikamentenentwicklungen scheitern, noch überhaupt nichts sagen. Es ist viel zu früh. Eine solche Entwicklung dauert üblicherweise etwa zehn Jahre und muss noch viele Hürden überwinden – was ich dem Projekt ausdrücklich wünsche!

Im Oktober 2015 haben Helmholtz-Wissenschaftler selbst ein neues Antibiotikum gegen MRSA entdeckt. Ist Ihre Entdeckung mit Teixobactin zu vergleichen?

Prof. Müller: Unser Molekül zeigt ebenfalls einen neuen Wirkmechanismus und könnte verglichen werden. Allerdings ist Teixobactin hier deutlich weiter, weil es schon im Tiermodell nachgewiesenermaßen aktiv ist. Es gibt aber – leider – kaum solche neuen Wirkstoffe mit neuen Wirkorten.

Teixobactin wirkt gegen grampositive1 Bakterien. Liegt das größere Problem nicht in der Dürre bei Mitteln gegen gramnegative Bakterien?

Prof. Müller: Definitiv, unser Problem in den Krankenhäusern sind gramnegative ESKAPE-Bakterien2. Diese sind nun aber alle nicht gegen Teixobactin empfindlich. Gegen grampositive Bakterien haben wir eigentlich genügend Substanzen. Trotzdem ist es hier wichtig, ständig neues zu entwickeln, um bei der nächsten Resistenzentwicklung gewappnet zu sein.

Vor diesem Hintergrund sind die von uns im vergangenen Jahr entdecken Cystobactamide etwas anderes, da sie auch gramnegative Bakterien treffen. Diese Verbindungen haben aber auch noch keine Tiermodelle hinter sich, so dass wir mehr dazu erst in Zukunft sagen können. Wir fokussieren wo immer möglich auf Wirkstoffe mit gramnegativen Aktivitäten. Ein Teixobactin gegen gramnegative wäre schon eine kleine Sensation. Soweit sind die Cystobactamide aber nicht. Teixobactine werden nicht dorthin kommen, weil sie die gramnegative Zellhülle nicht überwinden können. Dafür sind sie schlicht zu groß.

Auch bei den Ankündigungen, dass gegen Teixobactin vermutlich keine Resistenzen aufkommen werden, mahne ich zur Vorsicht. Resistenz ist keine Frage des ob, sondern nur des wann. Vancomycin-Resistenz gibt es seit Jahrmillionen in den natürlichen Produzenten. Auch die Mikroorganismen, die Teixobactin produzieren, müssen sich selber schützen, da sie sonst Suizid begehen würde. Folglich rechne ich – entgegen der Annahmen der Autoren der Publikation zu Teixobactin – damit, dass bei breitem Einsatz von Teixobactin sich Resistenz auch schnell einstellen wird.

Quintessenz: Ein tolles Paper aber kein medizinischer Durchbruch. Wir müssen weiterarbeiten und hoffentlich hat bald mal wieder ein Antibiotikaforscher-Konsortium Glück und kann wirklich eine Substanz gegen gramnegative Keime bis zur Marktreife führen.

1 Bei gramnegativen Bakterien befindet sich die Zellwand zwischen zwei Membranen. Die äußere Membran ist eine effiziente Barriere gegen Antibiotika. Ein Eindringen der Antibiotika ist nur durch Transmembramproteine, die sogenannten Porine, möglich. Hierfür sind die Moleküle der meisten Antibiotika aber zu groß.

2 ESKAPE steht für: Enterokokken (Vancomycin-resistent), Staphylokokkus aureus (Methicillin-resistent), Klebsiella pneumoniae (Carbapenem-resistent), Acinetobacter baumanii, Pseudomonas aeruginosa, Enterobacteriacae

Foto: Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung

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