Im Rahmen der Initiative change4RARE sprachen sieben Fachleute über Herausforderungen in der Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen. Foto: ©iStock.com/alphaspirit
Im Rahmen der Initiative change4RARE sprachen sieben Fachleute über Herausforderungen in der Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen. Foto: ©iStock.com/alphaspirit

Daten sammeln, Wissen teilen – Hilft das Krebspatienten wirklich?

Forschung benötigt Daten, je detaillierter und umfangreicher, desto besser. Aber wofür werden unsere Daten eigentlich gebraucht? Und was hat es mit der im kommenden Jahr geplanten elektronischen Patientenakte auf sich? Über solche Fragen diskutierte auf der „YES!CON“, der ersten digitalen Krebs-Convention, eine Runde aus Patientinnen und Gesundheitsexperten. Ein Gespräch mit klaren Ansagen.

Ulla Ohlms erkrankte im Jahr 2000 an Brustkrebs. Sie überstand die Erkrankung und rief in der Folge gemeinsam mit anderen Brustkrebspatientinnen PATH (Patients` Tumor Bank of Hope) ins Leben, eine Stiftung, die Brustkrebsgewebe in einer Biobank sammelt und es der Krebsforschung zur Verfügung stellt. Sie erklärte: „Wenn jemand lebensbedrohlich erkrankt ist, dann ist sie oder er auch bereit, der Forschung etwas zu geben“ – Gewebeproben, Daten, alles was hilft, die Heilungschancen zu erhöhen.

Mit dieser Aussage setzte sie den Grundton für die folgende Podiumsdiskussion. „Den größten Nutzen hat der Patient selbst“, sagte David Matusiewicz, Professor für Medizinmanagement und bezog sich damit auf die Elektronische Patientenakte, deren Einführung zum 1. Januar 2021 geplant ist. Den Einwand, dass vor allem ältere Menschen mit der elektronischen Akte und mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen überfordert sein könnten, lässt er nicht gelten: „Es gibt eine Studie, die belegt, dass es hier keinen Altersunterschied gibt“. Wer Online-Banking betreibe, komme auch mit digitalen Gesundheitsangeboten zurecht. „Für den Endverbraucher zählt der Nutzen“, so Matusiewicz.

Schub durch Corona

Für Celin Allmann, die seit fünf Jahren wegen Gebärmutterhalskrebs in Behandlung ist und sich im digitalen Selbsthilfe-Projekt NetzwerkStatt Krebs engagiert, liegt dieser Nutzen klar auf der Hand: „Ich hatte in der Klinik mit drei verschiedenen Abteilungen zu tun“, erzählt sie, „und es war ein Graus, zu sehen, wie schlecht sie kommunizieren.“ Sie müsse als Patientin selbst darauf achten, dass Informationen weitergegeben werden. „Das finde ich krass“, meinte Celin Allmann und gab sich schon deswegen als „klare Befürworterin“ der elektronischen Patientenakte zu erkennen. „Ich hoffe in Sachen Digitalisierung auf einen Schub durch Corona“, ergänzte Ulla Ohlms, die ebenfalls von einem Krankenhausaufenthalt berichtete, bei dem die Ärzte ihre Notizen immer noch handschriftlich in die Akte eintrugen. Auch sie plädiert für die elektronische Version, betont allerdings auch: „Die Patienten müssen entscheiden können, was in die elektronische Akte hineinkommt“. Wer vor 15 Jahren einen Schwangerschaftsabbruch hatte, wolle diese Information vielleicht nicht allen Behandlern zugänglich machen.

„Vernetzung ist das Wort der Stunde. Daten sind Wissen und Wissen muss geteilt werden.“ Mit diesen Worten plädierte Timo Frank, Studierender der Gesundheitsökonomie, dafür, Patientendaten der Forschung zur Verfügung zu stellen. Aber: „Wir müssen in der Gesellschaft auch Akzeptanz schaffen für das Teilen von Daten“. Für dieses Ziel engagiert er sich als Vorstandsmitglied im Verein Hashtag Gesundheit. Nach seiner Überzeugung stehen jüngere Menschen dem Teilen von Daten viel offener gegenüber als die ältere Generation. Aber: „Es geht bei der Digitalisierung auch um Vertrauen“, findet Frank und dieses Vertrauen müssten sich die beteiligten Akteure erarbeiten.

„Vernetzung ist das Wort der Stunde. Daten sind Wissen und Wissen muss geteilt werden.“
Foto: ©iStock.com/alphaspirit
„Vernetzung ist das Wort der Stunde. Daten sind Wissen und Wissen muss geteilt werden.“
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Potenzial für die Forschung

Claus Lattrich, Head of Personalized Healthcare bei Roche, gab einen Überblick darüber, welches Potenzial für Forschungszwecke in Daten steckt: „Man kann mit Hilfe von großen Datenmengen Muster erkennen, die zeigen, wie Krebserkrankungen entstehen.“ Dadurch lasse sich „gezielter therapieren. Man kann aus jedem Datensatz etwas für den nächsten Patienten lernen.“ Dies gelte insbesondere für seltene Erkrankungen. Außerdem helfe der Austausch von Daten den Ärzten bei der „richtigen Therapiewahl“ und den Pharma-Unternehmen bei der Entwicklung neuer und besserer Therapien.

Anke Diehl, Digital Change Managerin der Universitätsmedizin Essen, betonte: „Wir haben in Deutschland eigentlich tolle Daten – aber wir haben auch Silos und teilen diese Daten nicht.“ Das müsse sich ändern. Wie nützlich ein offener Umgang mit Patienteninformationen sein kann, hat Celin Allmann am eigenen Leibe erlebt. Für ihre Behandlung wurden auch HeLa-Zellen genutzt – der Name geht auf Henrietta Lacks zurück, eine Gebärmutterhalskrebs-Patientin, der im Jahr 1951 Gewebeproben entnommen wurden. Daraus wurden die so genannten HeLa-Zellen gezüchtet, die bis heute bei der Erforschung und Behandlung des Zervix-Karzinoms eingesetzt werden. „Wenn die Forscher etwas von mir haben wollen, gerne“, so Celin Allmann, „meine Daten sind freigegeben.“

Krebs-Patienten: Bereitschaft der Forschung etwas zu geben. ©iStock.com/Katarzyna Bialasiewicz Photographee.eu
Krebs-Patienten: Bereitschaft der Forschung etwas zu geben. ©iStock.com/Katarzyna Bialasiewicz Photographee.eu

Das Problem mit den Hackern

Moderatorin Julia Josten erinnerte an die ärztliche Schweigepflicht und daran, dass immer wieder Daten gehackt würden, auch in Kliniken. „Ja, es werden jeden Tag Krankenhäuser angegriffen“, erwiderte David Matusiewicz, „aber das ist die neue Welt.“ Eine absolute Sicherheit gebe es nicht, aber man müsse sehen, ob der Nutzen die Nachteile überwiege – und das sei beim Austausch medizinischer Daten eindeutig der Fall. Ulla Ohlms würde ihre Daten jedenfalls immer zur Verfügung stellen, solange sie nicht für „Larifari“ verwendet werden, sondern für seriöse wissenschaftliche Forschung.

„Was passiert eigentlich, wenn im Krankenhaus der Rechner abstürzt?“, wollte Julia Josten wissen. Doch Anke Diehl konnte beruhigen: „Niemand muss befürchten, dann nicht mehr behandelt zu werden.“ Es gebe vielleicht Verzögerungen, aber ansonsten passiere nichts. Mehr Sorgen als Computer-Ausfälle macht ihr der Nachwuchs, der die Computer füttern soll: „Es fehlt an Medizin-Informatikern“ – auch deswegen, weil sie in Kliniken nach Tarif bezahlt würden und in der freien Wirtschaft deutlich besser verdienen.

Zusammengefasst waren sich die Teilnehmenden der Runde einig: Datenaustausch und elektronische Patientenakte sind sinnvoll und gut, aber die Patienten müssen besser aufgeklärt und auf die Reise mitgenommen werden.

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