Angesichts der COVID-19-Pandemie fordern viele eine Ausweitung der Grippe-Impfempfehlung für die gesamte Bevölkerung. Impfstoffexperten warnen. Foto: ©iStock.com/Amornrat Phuchom
Angesichts der COVID-19-Pandemie fordern viele eine Ausweitung der Grippe-Impfempfehlung für die gesamte Bevölkerung. Impfstoffexperten warnen. Foto: ©iStock.com/Amornrat Phuchom

Mehr, als nur vor Grippe schützen: Die Influenza-Impfung

Angesichts der COVID-19-Pandemie fordern viele eine Ausweitung der Impfempfehlung für die gesamte Bevölkerung. Doch die Ständige Impfkommission (STIKO) warnt: Sie befürchtet eine Unterversorgung der besonders Gefährdeten. Denn für alle wäre kein Grippe-Impfstoff da.

Jahrelang eher vernachlässigt – dieses Jahr gefragt? Die Influenza-Impfung musste schon viele Diskussionen über sich ergehen lassen. Entweder, weil die Krankheit unterschätzt wird oder Diskussionen über die Wirksamkeit ihr das Dasein schwer machten. Das Ergebnis: In den Risikogruppen ließen sich in der Saison 2018/19 zu wenige impfen (ca. 35 Prozent bei Menschen im Alter von 60 Jahren und nur ca. 20–50 Prozent bei Menschen mit chronischen Grundleiden). In der aktuellen Saison 2020/2021 scheint es ein erhöhtes Interesse zu geben: COVID-19 lässt grüßen.

Grippeimpfung: Schützt vor Herzinfarkt und Schlaganfall

„Mit keiner anderen Impfung lassen sich in Deutschland so viele Leben retten wie mit der Grippe-Impfung.“ Dieser Satz wird dem Präsidenten des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, zugesprochen. Prof. Thomas Weinke, ärztlicher Direktor des Ernst-von-Bergmann-Klinikums, zitiert ihn gerne, denn eine Influenza-Impfung kann viel mehr als nur vor der Grippe zu schützen. In einem Vortrag Anfang des Jahres präsentierte er folgende Zahlen: Statine können das Herzinfarktrisiko um 19 bis 30 Prozent senken, ein Rauchstopp um 32 bis 43 Prozent und eine Grippeschutzimpfung um 15 bis 45 Prozent (Pharma Fakten berichtete). Mit anderen Worten: Wer sich gegen Grippe impfen lässt, schützt nicht nur die Lunge, sondern auch das Herz – und zwar ähnlich effektiv wie jemand, der mit dem Rauchen aufhört.

Influenza bei Älteren: Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko steigt deutlich

Das belegt auch eine Studie aus Schottland: Demnach ist das Risiko für einen Herzinfarkt in den ersten drei Tagen nach einer bestätigten Infektion bei Erwachsenen um bis zu zehnfach erhöht. Das Risiko für einen Schlaganfall ist in den ersten drei Tagen nach Infektion fast achtmal so hoch. „Wir konnten einen deutlichen kardiovaskulären Auslöseeffekt von S. pneumonia und des Influenza-Virus´ zeigen, was die Notwendigkeit höherer Impfraten unterstreicht“, heißt es in dem Papier, das in European Respiratory Journal erschienen ist. Ganz nebenbei: Ähnliche Zahlen gelten auch für eine Pneumokokken-Infektion. Die Pneumokokken- teilt mir der Influenza-Impfung ein ähnliches Schicksal: Die Impfraten gerade in den Risikogruppen sind in Deutschland viel zu niedrig. Prof. Weinke hat keinen Hehl daraus gemacht, dass er aus medizinischen Gründen am liebsten nicht nur die Risikogruppen, sondern alle impfen lassen würde. Und vor dem heraufziehenden Winter werden die Stimmen laut, die die Ausdehnung der Impfempfehlung für Grippe-Vakzine auf die gesamte Bevölkerung fordern.

Dafür gibt es allerdings nicht ausreichend Impfstoffe. Bis jetzt hat das Paul-Ehrlich-Institut  19,1 Millionen Impfstoffdosen freigegeben (Stand: 9.10.2020) – das Ziel für die Saison 2021 ist mit 26 Millionen Dosen anvisiert. „Obwohl dies deutlich mehr Impfstoffdosen sind als in den vergangenen Jahren, würden diese aber nicht für die Impfung der gesamten Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland ausreichen“, schreibt die Ständige Impfkommission (STIKO) am RKI in ihrer Stellungnahme vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie (Epidemiologisches Bulletin 32/33 2020 6.8.2020). Sie betont deshalb die Notwendigkeit, dass die Impfraten bei den sogenannten Risikogruppen deutlich erhöht werden müssten. Das sind Menschen ab 60 Jahren oder mit chronischer Erkrankung, Bewohner von Alten- und Pflegeheimen, Kontaktpersonen von Menschen mit bestimmten Risiken (z.B. Pflegende) und Schwangere. Aber auch für medizinisches Personal wird die Grippeimpfung empfohlen.

STIKO: Die Ausweitung der Impfempfehlung könnte kontraproduktiv sein

Die Crux: Nach Berechnung der STIKO wären allein für die komplette Umsetzung ihrer aktuellen Empfehlungen 40 Millionen Dosen pro Saison notwendig – für eine bundesweite Impfempfehlung reichen einfach die Impfstoffe nicht. Die Impfstoff-Experten am RKI warnen: „Durch eine Ausweitung der Impfempfehlung auf die gesamte Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland könnte es zu einer Unterversorgung der Risikogruppen kommen, die besonders von der Impfung profitieren würden und durch deren Impfschutz man das Gesundheitssystem besonders entlasten möchte. Entsprechend könnte sich eine Ausweitung der Empfehlung derzeit sogar als kontraproduktiv erweisen.“ Daran ändert auch die „nationale Reserve“ in Höhe von sechs Millionen Dosen nichts, die in den 26 Millionen Dosen schon enthalten ist und die das Bundesgesundheitsministerium organisiert hat.

Influenza bei Älteren: Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko steigt deutlich. ©iStock.com/LightFieldStudios
Influenza bei Älteren: Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko steigt deutlich. ©iStock.com/LightFieldStudios

Fazit des RKI: „Die uns bekannten Informationen zu den voraussichtlich verfügbaren Influenzaimpfstoffmengen können die Versorgung der wichtigsten Zielgruppen gewährleisten, nicht jedoch der gesamten Bevölkerung. Mit den zugelassenen Influenzaimpfstoffen können auch Personen außerhalb der STIKO-Empfehlungen geimpft werden, jedoch sollte weiterhin der Fokus klar auf Risikogruppen für schwere Krankheitsverläufe liegen.“

Ein Blick auf die Zahlen zeigt: Es wird vermutlich auch in diesem besonderen Winter ausreichend Impfstoff da sein, selbst wenn sich deutlich mehr Menschen impfen lassen. Im vergangenen Jahr wurden laut der Dachorganisation der Apotheker ABDA rund 14 Millionen Grippedosen verbraucht. Sie verweist auf eine repräsentative Umfrage, nach der fast jeder zweite Erwachsene, der zu einer Risikogruppe gehört (45 Prozent), sich nicht gegen Grippe impfen lassen will. Das, was eine Grippeimpfung kann, hat sich offenbar noch zu wenig herumgesprochen.

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