149 Länder  290 Befragungen  284.381 Menschen  ein Studienziel: Forscher der London School of Hygiene & Tropical Medicine wollten wissen  wie es um das Vertrauen in Impfstoffe weltweit bestellt ist. Foto: ©iStock.com/fpm
149 Länder 290 Befragungen 284.381 Menschen ein Studienziel: Forscher der London School of Hygiene & Tropical Medicine wollten wissen wie es um das Vertrauen in Impfstoffe weltweit bestellt ist. Foto: ©iStock.com/fpm

Impfen: Zwischen Irrglauben, Desinformation und Wissenschaft

Nach Schätzungen des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden durch Impfungen jährlich bis zu drei Millionen Kinderleben gerettet. Doch Impflücken drohen solche Erfolge zunichte zu machen. Ein Forscherteam der London School of Hygiene & Tropical Medicine hat daher untersucht, wie es um das Vertrauen in Vakzine weltweit bestellt ist.

„Durch Impfungen sind die Masern-Todesfälle drastisch gesunken, Polio-Fälle gab es 2019 nur noch in zwei Ländern, und Neugeborenen-Tetanus ist in den meisten Ländern der Welt eliminiert. Die Pocken gelten als ausgerottet“, erklärt UNICEF. Trotz dieser medizinischen „Erfolgsstorys“ stagnieren oder sinken weltweit in vielen Fällen die Impfquoten; die WHO erklärte Impfgegner Anfang 2019 zu einer globalen Bedrohung für die öffentliche Gesundheit.

Vor diesem Hintergrund haben Wissenschaftler um die Anthropologin Heidi Larson die Daten aus 290 Befragungen, an denen über 284.000 Menschen aus 149 Ländern zwischen September 2015 und Dezember 2019 teilgenommen hatten, analysiert. Ihr Ziel: mehr über die Einstellung von Menschen weltweit zum Thema Impfen zu erfahren.

Impfgegner: Globale Bedrohung für die Öffentlichkeit. ©iStock.com/fpm
Impfgegner: Globale Bedrohung für die Öffentlichkeit. ©iStock.com/fpm

In einer Pressemitteilung fasst die London School of Hygiene & Tropical Medicine (LSHTM) zusammen: „Das öffentliche Vertrauen in Impfstoffe ist von Land zu Land weltweit sehr unterschiedlich. Es gibt Anzeichen, dass das öffentliche Vertrauen in Teilen Europas zunimmt, während in mehreren Ländern, die politische Instabilität und religiösen Extremismus erfahren, zunehmend Skepsis […] auf dem Vormarsch ist. Außerdem bedroht die Verbreitung von Falschinformationen über das Internet Impfprogramme weltweit.“

Vertrauen in Impfstoffe vs. Falschinformationen

Laut der Studie, die im Fachmagazin „The Lancet“ erschienen ist, ist das Vertrauen in Impfstoffe in Europa insgesamt geringer als auf anderen Kontinenten. Doch es gibt gute Nachrichten – siehe Deutschland: 2015 hielten 66 Prozent der Bundesbürger Vakzine für „wichtig“, 53 Prozent für „wirksam“ und 43 Prozent für „sicher“. 2019 lagen diese Quoten immerhin schon bei 69 Prozent, 59 Prozent bzw. knapp über 50 Prozent. Aufwärts geht es auch in Frankreich, wo 2015 nur rund neun Prozent der Befragten Impfstoffen die Eigenschaft „sicher“ zusprachen: Vergangenes Jahr taten das bereits knapp 30 Prozent.

Heidi Larson sieht jedoch vor allem die „schnelle und globale Verbreitung von Falschinformationen“ kritisch. „Kommt es bei Impfquoten zu einem starken Einbruch, liegt das oft daran, dass sich unbewiesene Bedenken in Bezug auf die Sicherheit von Impfungen breitmachen, die Zweifel sowie Misstrauen streuen“, erklärt die Professorin. Es gebe allerdings auch Fälle, in denen Impf-Diskussionen absichtlich für politische Zwecke polarisiert werden – oder Regionen, in denen die Menschen generell der Regierung und der Wissenschaftsgemeinschaft misstrauen.

Impfen? Panikmache, Glaube und Co.

Japan ist ein Beispiel für ein Land, in dem es um das Vertrauen in Impfstoffe eher nicht so gut bestellt ist. Ein Grund könnte laut der Lancet-Studie Panik sein, die im Jahr 2013 in Sachen HPV-Impfung (Humane Papillomviren) um sich griff. Im Internet waren damals Videoclips aufgetaucht, in denen Kinder mit Gehstörungen und anderen angeblichen Nebenwirkungen zu sehen waren. Eine Untersuchung der Regierung konnte zwar keine Zusammenhänge zwischen Symptomen und Impfstoff feststellen, doch die Impfquoten gingen in den Keller: von rund 70 Prozent auf unter ein Prozent.

Auch in Indonesien erfuhren Impfstoffe in den vergangenen Jahren einen Vertrauensverlust. Unter anderem veröffentlichten muslimische Geistliche dort eine Art Rechtsgutachten („fatwa“), wonach die Masern-Mumps-Röteln-Vakzine eine Sünde („haram“) sei. „Außerdem trugen lokale Heilpraktiker […] zu einem schwindenden Vertrauen in Impfstoffe bei“, so die Wissenschaftler der LSHTM.

In Pakistan und Nigeria kursierten laut der Lancet-Studie in den vergangenen Jahren zahlreiche Falschinformationen zu der Impfung gegen Poliomyelitis (Kinderlähmung) – ein Hindernis auf dem Weg zur weltweiten Ausrottung der Krankheit.

Nigeria: Falschinformation verhindert Ausrottung der Poliomyelitis. WHO/Olivier Asselin
Nigeria: Falschinformation verhindert Ausrottung der Poliomyelitis. WHO/Olivier Asselin

Larson und Co. schlagen vor, dass sich künftige Forschungsprojekte damit auseinandersetzen, wie politische Polarisierung, religiöser Extremismus, und Populismus mit den Einstellungen gegenüber Impfstoffen zusammenhängen.

Impfen: Lebensretter

Angesichts neuer Krankheitsbedrohungen wie der COVID-19-Pandemie ist es laut Heidi Larson „unbedingt notwendig“, regelmäßig zu untersuchen, was die Menschen gerade über Immunisierung denken. Nur so können Länder oder Gruppen mit schwindendem Impfvertrauen schnell identifiziert und Gegenmaßnahmen getroffen werden. Denn: Impfen rettet Leben.

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