Die Corona-Pandemie hat weltweit die Behandlung anderer Erkrankungen in den Hintergrund gerückt. Mit fatalen Folgen  wie eine Studie zeigt. Foto: ©iStock.com/peterschreiber.media
Die Corona-Pandemie hat weltweit die Behandlung anderer Erkrankungen in den Hintergrund gerückt. Mit fatalen Folgen wie eine Studie zeigt. Foto: ©iStock.com/peterschreiber.media

Krebs in der Pandemie: Mehr Tote durch Therapieaufschub

Die Corona-Pandemie hat weltweit die Behandlung anderer Erkrankungen in den Hintergrund gerückt. Mit im wortwörtlichen Sinne fatalen Folgen, wie das Beispiel Krebs zeigt: Bereits bei einer vierwöchigen Verzögerung einer Krebsbehandlung lässt sich eine erheblich erhöhte Sterblichkeit statistisch nachweisen. Das ergibt eine Metaanalyse, die im renommierten Fachblatt BMJ veröffentlicht wurde.

Das Corona-Virus hat die Welt fest im Griff. Fast 50 Millionen Infektionen weltweit zählt die Johns-Hopkins-Universität mittlerweile und mehr als 1,2 Millionen Menschen sind bereits gestorben (Stand: 6.11.2020). Aber die Schneise der Verwüstung, die das Virus hinterlässt, dürfte sich in den Gesundheitsstatistiken noch über Jahre hinaus nachweisen lassen. Darauf deutet eine Metaanalyse hin, die ein Wissenschaftler-Team um den Onkologen Professor Timothy Hanna durchgeführt hat und die im BMJ veröffentlicht wurde. Eine Metaanalyse ist ein statistisches Verfahren, bei der Ergebnisse verschiedener Studien, die sich um dieselbe wissenschaftliche Fragestellung drehen, zusammengefasst und bewertet werden.

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Die Wissenschaftler wollten wissen: Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Verzögern einer Krebsbehandlung und der Sterblichkeit der betroffenen Patienten? Dazu haben sie insgesamt 34 Studien mit Daten von über 1,2 Millionen Patienten ausgewertet, die an Tumoren an der Blase, der Brust, dem Dick- und Mastdarm, dem Gebärmutterhals oder an Kopf und Hals erkrankt waren. Ihr Fazit: Verzögerungen bei Therapien wie Operationen, Bestrahlung oder Chemotherapie haben erhebliche Auswirkungen auf die Sterblichkeit von Krebspatienten. Die Daten sind ein Weckruf.

Aufschub einer Brustkrebstherapie: Todesraten steigen um 26 Prozent

Bereits eine vierwöchige Verschiebung kann die Chancen der Patienten auf eine erfolgreiche Behandlung erheblich mindern. Das Sterberisiko erhöht sich – abhängig von Krebs und Art der Therapie – um sechs bis dreizehn Prozent. Je länger die Wartezeit wird, desto mehr steigt das Sterberisiko: „Ein Aufschub von acht Wochen bei Brustkrebs würde das Sterberisiko um 17 Prozent und von zwölf Wochen um 26 Prozent erhöhen“, schreiben die Studienautoren. „Eine Verzögerung eines chirurgischen Eingriffs um zwölf Wochen für alle Brustkrebspatienten über den Zeitraum von einem Jahr (z.B. während eines Covid-19-Lockdowns) würde zu 1.400 zusätzlichen Todesfällen in Großbritannien, 6.100 in den USA, 700 in Kanada und 500 in Australien führen.“ Dies sei ein „ernüchterndes Ergebnis“ und es suggeriere, dass „die Überlebensvorteile durch eine frühzeitige Therapie ähnlich (und vielleicht größer) sind als der Nutzen, der sich durch einige neue therapeutische Wirkstoffe ergibt.“

Die Autoren gehen davon, dass die Effekte von verzögerten Behandlungen über die reine Überlebensstatistik hinaus gehen. Denn ihre Daten enthalten weder die Kosten von teureren Behandlungen als Folge von schwereren Verläufen durch Krankheitsprogression, noch zusätzliche Pflegekosten sowie die gesamtgesellschaftlichen Produktivitätsverluste, die durch frühzeitige Erkrankung und Tod entstehen: „Deshalb ist der Einfluss von Therapieverzögerungen auf Patienten und die Gesellschaft wahrscheinlich wesentlich größer, als das unsere Resultate zeigen.“

Aufschub einer Brustkrebstherapie: Todesraten steigen um 26%. ©iStock.com/peterschreiber.media
Aufschub einer Brustkrebstherapie: Todesraten steigen um 26%. ©iStock.com/peterschreiber.media

Pflichtlektüre für Entscheider im Gesundheitswesen

Wie wichtig diese Studie ist, zeigt ein Beispiel aus Großbritannien. Dort hatte der National Health Service (NHS) aufgrund der COVID-19-Pandemie einen Algorithmus entwickelt, um Operationen im System zu priorisieren. Dabei wurden für einige Indikationen eine Verzögerung der Operationen um zehn bis zwölf Wochen als „safe“ angenommen – darunter auch alle Darmkrebsoperationen. Eine Entscheidung mit tödlichen Folgen: „Wir fanden heraus, dass eine von sechs auf zwölf Wochen verlängerte Wartezeit für eine Operation das Sterberisiko um neun Prozent erhöhen würde“, heißt es im BMJ.

Die Studie dürfte sich zur Pflichtlektüre für Entscheider im Gesundheitswesen mausern. Ein verzögerter Beginn von Krebsbehandlungen war bereits vor der Pandemie ein Thema. Die Studie belegt, dass der Effekt auf die Behandlungschancen bisher jedoch unterschätzt wurde. Für die Mehrheit der Krebsarten sehen die Wissenschaftler keinen Hinweis darauf, dass eine Verzögerung von Therapien ohne negative Folgen der Patienten möglich ist.

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