Der Frage sind Wissenschaftler:innen vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) nachgegangen. Aber das war gar nicht so einfach. Foto: ©iStock.com/SeventyFour
Der Frage sind Wissenschaftler:innen vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) nachgegangen. Aber das war gar nicht so einfach. Foto: ©iStock.com/SeventyFour

Weltkrebstag: „Forschung heilt Krebs“

Es tut sich viel in der Krebsforschung und -behandlung: Die Immuntherapie schreitet voran und öffnet neue Horizonte, Zelltherapien für Menschen mit seltenen Bluterkrankungen sind auf dem Markt und werden für neue Indikationen weiterentwickelt, Antikörper verdrängen immer öfter die Chemotherapie und machen die Krebstherapie insgesamt wirksamer und verträglicher. Zum Weltkrebstag sprachen wir mit dem Onkologen Professor Christof von Kalle über die Hoffnungen, die sich aus neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und innovativen Arzneimitteln ergeben, über die (liegengelassene) Chance der Prävention und die Lehren aus der Pandemie. Es ist Teil zwei unseres Interviews.

Prof. von Kalle, stehen wir vor einer neuen Ära der Krebsbekämpfung?

Prof. Christof von Kalle: Das glaube ich schon und dafür gibt es ganz aktuelle Beispiele. Unternehmen wie BioNTech und Curevac sind gegründet worden, um für Patientinnen und Patienten Impftherapien gegen Krebs zu entwickeln. Der Grund, warum sie bei der Entwicklung von COVID-19-Impfstoffen so schnell waren, ist, dass sie bereits daran gearbeitet haben, jeden Betroffenen und jede Betroffene gegen die individuelle Krebserkrankung zu impfen. Das ist der Gedanke hinter der Tumorimmuntherapie und der große Traum hinter der RNA-Impfstofftechnologie: Man ertüchtigt den Körper durch eine Immunattacke, den eigenen Krebs zu bekämpfen. Diese RNA-Technologie konnte nun auch gegen COVID-19 genutzt werden. Für mich ist das ein aktuelles Beispiel dafür, wo aus dem Mut, das eigentlich Unmögliche zu versuchen, gute Dinge resultieren. Dieser Weltkrebstag könnte deshalb für mich ein Anlass sein zu sagen: Forschung heilt Krebs. Wenn wir mal kurz innehalten und uns rückblickend anschauen, was in den vergangenen Jahren an neuen Möglichkeiten herausgekommen ist, dann ist das schon sehr beeindruckend. Und selbst da, wo die Forschung noch nicht zu zugelassenen Arzneimitteln geführt hat, ist es doch toll, dass wir es versucht haben. Weil wir daraus gelernt haben und uns das jetzt in eine bessere Ausgangsposition bringt.

Ist die Pandemie also ein Fortschrittsbeschleuniger?

Onkologe Professor Christof von Kalle. Foto: Wiebke Peitz/Charité Universitätsmedizin Berlin
Onkologe Professor Christof von Kalle. Foto: Wiebke Peitz/Charité Universitätsmedizin Berlin

Von Kalle: Wir können auf jeden Fall einen Prozess gegenseitiger Befruchtung beobachten: Das, was versucht wurde für den Krebs zu entwickeln und jetzt gegen die Pandemie offenbar funktioniert, kann möglicherweise umgekehrt dazu führen, dass wir den Kampf gegen Krebs beschleunigen können. Einfach, weil man jetzt in Lichtgeschwindigkeit Erfahrungen mit der RNA-Technologie und Abermillionen Menschen sammelt und genau sehen kann, was wir damit erreichen. Für diesen Erfahrungsschatz, der da jetzt entsteht, hätten man ansonsten sehr viel länger gebraucht.

Heißt das, die Krebsforschung profitiert von den Erfahrungen der Pandemiebekämpfung?

Von Kalle: Das ist zumindest die Hoffnung. Wir stehen da vor großartigen Möglichkeiten, zu denen uns die Pandemie die Tür geöffnet hat. Wir müssen aber auch den Mut haben, sie in Angriff zu nehmen. Schauen wir uns die Checkpoint-Blockade an. Krebszellen können über gewisse Mechanismen die Immunabwehr des Menschen unterdrücken oder bremsen. Checkpoint-Blockade bedeutet: Wir impfen nicht und schaffen auch keine neue Immunität, sondern wir schalten die Bremsen, die das Immunsystem davon abhalten den Tumor anzugreifen, aus.

Was leider nicht bei allen Erkrankten funktioniert…

Von Kalle: Das ist der Punkt. Es funktioniert bei manchen und bei manchen nicht und wir fragen uns sehr intensiv: Warum? Und dann kommt man natürlich sehr schnell zu dem Punkt, an dem man sich fragt: Wäre es nicht toll, wenn man die Menschen, die eine solche Immunantwort nicht haben, impfen könnte, sodass auch ihr Immunsystem im Kampf gegen Krebs aktiviert wird? Und da kommt wieder die RNA-Technologie ins Spiel.

Klingt einfach.

Von Kalle: Ist es aber nicht. Aber wenn wir etwas aus der Pandemie lernen könnten, dann wäre es das, dass wir Dinge weniger auf die lange Bank schieben sollten, sondern solche Prozesse eben beschleunigen müssen. Und da ist die Immunität bei Krebs, das Impfen gegen Krebs ein Thema, das unsere besondere Aufmerksamkeit verdient.

Ist denn Deutschland dafür gut aufgestellt, als Standort für die entsprechende Grundlagen- und klinische Forschung? Da gab es in der Vergangenheit immer wieder Klagen.

Impfen gegen Krebs: Klingt einfach - ist es aber nicht. Foto: ©iStock.com/fpm
Impfen gegen Krebs: Klingt einfach – ist es aber nicht. Foto: ©iStock.com/fpm

Von Kalle: Es gibt gute Ansätze. Aber wir sehen auch, dass die wirklich innovativen Ansätze – auch, was die Finanzierung solcher Projekte betrifft – oft nicht aus Deutschland kommen. So gibt es hierzulande immer noch zu wenig Investoren und Investorinnen, die sich im Bereich Biotechnologie versuchen, auch, weil es viele andere Möglichkeiten gibt, sein Geld zu investieren. Aber: Diese neuen Technologien sind nicht mehr so standortabhängig wie früher. Will sagen: Wir müssen uns nicht damit abfinden, dass in den USA oder China so viel mehr passiert. Bei jedem neuen Thema gibt es immer wieder Chancen, auch hier bei uns Dinge auf wissenschaftlichem Weltniveau gut zu machen und Sachen voranzubringen, siehe RNA Impfstoffe.

Also sind wir besser als der Ruf?

Von Kalle: Ich denke, es würde zu weit gehen, wenn wir sagen: Hier sind wir richtig gut und breit aufgestellt. Wir haben vielmehr ein paar leuchtende Beispiele, wo wir ganz vorne mitspielen. Jetzt geht es aus meiner Sicht darum, das konsequent weiter auszubauen. Meiner Meinung nach wird noch zu wenig verstanden, dass es nicht nur um das Knowhow, die Expertise, die klugen Köpfe und natürlich Geld geht, sondern dass man auch einen sehr langen Atem braucht.

Erzählen Sie!

Von Kalle: Ein großer Sprung in der Behandlung von Krebsarten ist die Entwicklung der CAR-T-Zelltherapie, bisher noch für seltene Blutkrebsarten. Das hat viele Jahre gedauert, bis wir diese Therapie das erste Mal einsetzen konnten. Oder nehmen wir die Checkpoint-Inhibitoren: Die eigentliche Arbeit, die das Phänomen beschreibt und auch die Erkenntnis des Nobelpreisträgers (Anmerk. der Redaktion: James Patrick Allison, 2018), dass das funktionieren könnte, stammt von 1994. Der hat damals dieses Thema als manchmal sogar verlachter Individualist weiterentwickelt, bis man Anfang der 2000er Jahre erkannt hat, welches Potenzial dahintersteckt. Und selbst dann hat es noch einmal viele Jahre gedauert, bis die ersten Medikamente zur Verfügung standen. Das sind nicht „Übernacht-Prozesse“ – im Gegenteil. Selbst in der schnelllebigen Biotechnologie braucht man oft Jahre, um zu ersten Ergebnissen zu kommen. Aber es sind eben auch Investitionen in die Zukunft.

Kommen wir zum Thema Krebsprävention. Es ist schon erstaunlich, wie viele Krebsfälle wir gar nicht haben müssten. Was muss passieren?

Behandlungsmöglichkeit für seltene Blutkrebsarten: CAR-T-Zelltherapie. 
Foto: ©iStock.com/MeletiosVerras
Behandlungsmöglichkeit für seltene Blutkrebsarten: CAR-T-Zelltherapie.
Foto: ©iStock.com/MeletiosVerras

Von Kalle: Wir tun uns in Deutschland schwer mit der Prävention. Unser Gesundheitssystem ist weiterhin von einer „Reparaturmentalität“ geprägt. Die Konzepte von Prävention und Interzeption, also von Verhindern oder früh Eingreifen, haben wir im Gesundheitssystem nicht. Das machen wir in anderen Bereichen sehr erfolgreich – da muss man sich nur die Vision Zero-Konzepte in der Arbeitssicherheit oder beim Straßenverkehr anschauen (s. „Vision Zero“ bei Krebs: Die akzeptierte Opferzahl ist Null). Aber wir haben in Deutschland niemanden, der eine Zuständigkeit, die Verantwortung oder ein Budget für sich beansprucht; kurz: jemanden, der Eigentümer des Prozesses Prävention ist. Und deshalb tun wir uns schwer, Präventionsmaßnahmen im großen Stil umzusetzen. Auch hier gibt es Beispiele aus anderen Bereichen: Als die Lage auf den Straßen katastrophal wurde, hat man den Deutschen Verkehrssicherheitsrat geschaffen, auch um Vorbeugemaßnahmen zu entwickeln.

Das ist Ausdruck der simplen Erkenntnis, dass es eigentlich zu spät ist, wenn der Unfall passiert ist. Man repariert keinen Flugzeugabsturz, man verhindert ihn. Und das ist natürlich auch auf die Gesundheit übertragbar.

Liegt es am Geld? Ist Prävention zu teuer?

Von Kalle: Eigentlich gilt das Gegenteil: Wir haben gelernt, dass die Vorbeugung eine extrem lohnende Maßnahme ist, haben das für das Gesundheitssystem nur noch nicht kapiert. Wir finden einen Test zur Erkennung von Darmkrebs, der zwanzig Euro kostet, teuer, weil wir uns ausrechnen, dass wir 400 Millionen Euro in die Hand nehmen müssen, wenn wir ihn bei zwanzig Millionen Menschen durchführen wollen. Aber wir rechnen nicht aus, was uns das als Gesellschaft kostet, wenn jede*r hundertste einen Darmkrebs entwickelt. Und wie spottbillig seine Vermeidung gewesen wäre. Auch die Pandemie hat da ein gutes Beispiel parat. SARS-CoV-1 ist ja ein relativ identisches Virus zu SARS-CoV-2. Wenn wir schon damals ein paar richtig gute Impfstoffe zu Ende entwickelt hätten – obwohl wir sie damals nicht gebraucht hätten – und einer davon hätte gegen SARS-CoV-2 gewirkt, dann hätten wir zu Beginn der Pandemie ganz anders dagestanden. Und wie billig wäre diese Investition gewesen – gerade im Verhältnis zu dem, was gerade weltweit an Vermögen zerstört wird.

Mit besserer Prävention: 40 % der Krebsfälle könnten verhindert werden. ©iStock.com/Katarzyna Bialasiewicz Photographee.eu
Mit besserer Prävention: 40 % der Krebsfälle könnten verhindert werden. ©iStock.com/Katarzyna Bialasiewicz Photographee.eu

Brauchen wir ein Amt für Prävention? Eine Behörde?

Von Kalle: Ich bin skeptisch, ob es Sinn macht, eine Parallelstruktur zum bestehenden System aufzubauen. Ich denke aber, wir sollten innerhalb des Gesundheitssystems klare Verantwortlichkeiten schaffen. Warum nicht so etwas wie den Verkehrssicherheitsrat als Blaupause denken? Es geht ja nicht nur darum zu sagen: Wir machen jetzt mehr Prävention. Es geht vielmehr darum, den Prozess zu entwickeln, zu organisieren, wissenschaftlich zu begleiten, zu priorisieren, auf den Prüfstand zu stellen – also Erfolgsmessungen durchzuführen – und weiterzuentwickeln. Und natürlich die Finanzierung der beschlossenen Maßnahmen sicherzustellen. Denn sonst passiert gar nichts.

Aber wir haben doch seit 2015 das Präventionsgesetz. Reicht das nicht?

Von Kalle: Das ist schon mal ein richtiger Schritt. Aber hier liegt gleichzeitig der Hase im Pfeffer: Wer entscheidet? Was passiert, wenn Projekte nicht umgesetzt werden? Welche Konsequenzen ergeben sich? Ganz nebenbei ist das Gesetz auch Beleg dafür, wie schwer wir uns mit der Prävention in Deutschland tun, denn es hat fast zehn Jahre gedauert, bis es endlich verabschiedet wurde. Nein, ich denke, wir müssen die Prävention im deutschen Gesundheitswesen ganz neu denken und aufstellen. Wir müssen weg von der Reparaturdenke und hin zu einem System, das stolz darauf ist, dass es Krankheiten verhindert, bevor sie entstehen. Für uns als Onkologen, die täglich viele Krebspatientinnen und -patienten sehen, gibt es eine Zahl, an die man sich einfach nicht gewöhnen will: Schon nach heutigem Wissensstand müssen 40 Prozent der Krebsfälle nicht sein. Zum Vergleich: Das sind so viele oft qualvolle Todesfälle wie bei einem großen Flugzeugabsturz jede Woche. Es liegt an uns als Gesellschaft, ob wir das ändern wollen oder nicht.

Teil 1 des Interviews mit Prof. von Kalle zur elektronischen Patientenakte und den Chancen und Risiken der Digitalisierung im Gesundheitswesen lesen Sie hier.

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