Die Diagnose „Alzheimer“ wird oft spät gestellt. Betroffene verlieren dadurch wertvolle Lebensjahre. Foto: ©Pharma Fakten
Die Diagnose „Alzheimer“ wird oft spät gestellt. Betroffene verlieren dadurch wertvolle Lebensjahre. Foto: ©Pharma Fakten

Alzheimer: „Früh kümmern. Damit man später nicht vergisst.“

Die Diagnose „Alzheimer“ wird oft erst spät gestellt. Denn die Erkrankung ist mit einem Stigma behaftet, Symptome werden bagatellisiert oder als „normale“ Anzeichen des Alterns abgetan. Hinzu kommt, dass viele Menschen denken, man könne ohnehin nicht viel gegen die Erkrankung tun. Es ist eine Fehleinschätzung mit Folgen: Die Betroffenen verlieren wertvolle Lebensjahre. Welche Möglichkeiten eine frühe Diagnose eröffnet? Darüber sprachen Expert:innen bei einer virtuellen Veranstaltung des Biotechunternehmens Biogen.

„In Deutschland sind rund 1,6 Millionen Menschen von Demenz betroffen. Die Tendenz steigt. 2050 werden es schätzungsweise 2,8 Millionen sein. Bei zwei Drittel dieser Fälle ist die Ursache eine Alzheimer-Erkrankung“. Mit diesen Worten eröffnete die NDR-Moderatorin Bettina Tietjen den virtuellen „Alzheimer-Dialog“. Tietjen kennt mehr als nur die Fakten. In ihrem Buch „Unter Tränen gelacht“ erzählt sie von der Demenzerkrankung ihres Vaters. Er war, sagt sie, „ein klassischer Fall: Wir haben es erst gemerkt, als er schon über 80 war“. Plötzlich lag der Haustürschlüssel im Kühlschrank, Dinge wurden vergessen, Fragen wiederholt gestellt. „Ich glaube aber, dass die ersten Anzeichen bei ihm schon viel, viel früher da waren. Er hat sie aber verdrängt, er hat das vertuscht, er hat alles darangesetzt, dass wir es nicht merken.“

NDR-Moderatorin Bettina Tietjen & Dr. Wolfram Schmidt. 
Foto: ©Pharma Fakten
NDR-Moderatorin Bettina Tietjen & Dr. Wolfram Schmidt.
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Dr. Wolfram Schmidt, Geschäftsführer der Biogen GmbH in Deutschland, erklärte: „Ganz viele Menschen haben, wenn sie den Begriff Alzheimer hören, einen abwesend dasitzenden, alten Menschen in einem Pflegeheim vor Augen“. Die Wahrheit ist aber, dass diese Erkrankung viel früher beginnt; „wenn die Leute noch mitten im Leben stehen“. Dr. med. Jörg B. Schulz, Direktor der Klinik für Neurologie an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, erläuterte: „Es ist so, dass die ersten Veränderungen im Gehirn – sogenannte Amyloid- und Tau-Ablagerungen, beides sind Eiweiße – schätzungsweise bereits circa 15 Jahre, bevor überhaupt klinische Veränderungen sichtbar werden, beginnen.“ Schmidt ergänzte: „Die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse gehen alle in eine klare Richtung: Es geht darum, diese Erkrankung frühzeitig […] anzugehen“.

Alzheimer-Diagnostik: Neue Möglichkeiten

Dass das nicht nur reine Theorie sein muss, bestätigte Schulz: „Früher als ich noch Student war, hieß es: Die Alzheimer-Krankheit kann man zu Lebzeiten nicht diagnostizieren, sondern erst, wenn man das Gehirn nach dem Tod untersucht“. Das ist heute anders – dank der modernen Möglichkeiten, das Nervenwasser, welches Gehirn und Rückenmark umgibt, zu analysieren. Mittels einer „Lumbalpunktion“ kann Nervenwasser entnommen werden. Dort „finden wir quasi ein Spiegelbild der Veränderungen, die im Gehirn stattfinden“, so der Neurologe. Daran lassen sich etwa die typischen Amyloid- bzw. Tau-Ablagerungen erkennen. Diese Untersuchung sei „wirklich harmlos“. „Und die Genauigkeit und die Aussagekraft […] ist extrem hoch.“ Das gelte auch für sehr frühe Stadien der Erkrankung. Tietjen verwies in diesem Zusammenhang auf aktuelle Studien: „Nach denen wird bei weniger als einem Prozent der Betroffenen“ eine solche Untersuchung durchgeführt. Schulz bedauerte, dass die „im Volksmund“ oft als „Rückenmarkpunktion“ bezeichnete Untersuchung ein „negatives Bild in der Bevölkerung“ habe. Zudem höre man oft, dass eine Diagnose „ja nicht unbedingt therapeutische Konsequenzen habe“, weil die heute verfügbaren Möglichkeiten eingeschränkt seien.

Patient Bernd Heise ist ein Beispiel, das zeigt, welche Möglichkeiten eine Diagnose eröffnen kann. Zwar hat es bei ihm ungefähr drei bis fünf Jahre gedauert, bis Alzheimer festgestellt wurde; doch heute engagiert sich der Rentner u.a. in der Münchner Alzheimer-Gesellschaft. „Was glaube ich auch wichtig ist, ist der Kontakt zu anderen […]; dass man immer wieder das Gehirn aktiviert und fordert“. Viele Sachen, z.B. bestimmte Vorgänge, versucht er sich immer wieder bewusst vorzustellen und im Kopf durchzugehen, um sie möglichst lange nicht zu vergessen. Außerdem macht er Ausdauersport. Und es gibt Medikamente, die das Fortschreiten der Symptome hinauszögern können – wenn auch nur vorrübergehend.

Alzheimer: Hoffnung auf neue Therapien

„Alzheimer-Dialog“: Eine möglichst frühe Diagnose der Krankheit ist wichtig. 
Foto: ©Pharma Fakten
„Alzheimer-Dialog“: Eine möglichst frühe Diagnose der Krankheit ist wichtig.
Foto: ©Pharma Fakten

Eine möglichst frühe Diagnose ist auch deshalb wichtig, weil es in Sachen Behandlung „Licht am Ende des Tunnels“ gibt, weiß Schmidt, Biogen. „Bereits seit zwei Jahrzehnten wird an der Alzheimer-Erkrankung intensiv geforscht. Nur leider waren bisher 99 Prozent der Ergebnisse nicht erfolgreich.“ Die Forschenden weltweit haben dennoch viel über die Mechanismen, die im Gehirn ablaufen, gelernt. „Jetzt geht es darum, hoffentlich bald therapeutische Lösungen anbieten zu können.“

Neurologe Schulz hofft auf eine Zulassung „vielleicht im nächsten halben Jahr oder Jahr“, damit „wir endlich Medikamente haben, die das Fortschreiten der Erkrankung verhindern.“

Er geht davon aus, dass für derartige Therapien eine Lumbalpunktion Voraussetzung wird. „Denn diese Therapien […] sind beispielsweise gegen dieses Amyloid gerichtet – und werden Menschen mit einer anderen Demenzform gar nicht helfen.“ Vor diesem Hintergrund verwies er darauf, wie aufwändig die Diagnostik ist und forderte, dass „diese Diagnostik und Therapie“ künftig „vernünftig vergütet“ werden.

Viel zu tun: Nationale Demenzstrategie

Sowohl im Gesundheitssystem als auch in der Gesellschaft ist noch viel zu tun, um die Situation der Betroffenen zu verbessern. Die Bundesregierung hat daher mit zahlreichen Partnerorganisationen aus Politik, Gesellschaft und Forschung eine „Nationale Demenzstrategie“ entwickelt und im Juli 2020 beschlossen. Laut Astrid Lärm, Leiterin der Geschäftsstelle Nationale Demenzstrategie, umfasst sie rund 160 konkrete Maßnahmen, die in den kommenden Jahren umgesetzt werden sollen. Dabei geht es darum, die soziale Teilhabe von Betroffenen zu verbessern, Beratungs- und Unterstützungsangebote für Patient:innen und Angehörige auszubauen, die medizinische Versorgung und Pflege zu optimieren und „exzellente Forschung“ rund um Demenz in Deutschland zu fördern. Wie gut diese Ziele erreicht werden, wird sich zeigen. Im Rahmen eines Monitorings wird der Umsetzungsstand der Maßnahmen regelmäßig abgefragt und in einem jährlichen Bericht zusammengefasst.

Die virtuelle Veranstaltung mit dem Titel „Früh kümmern. Damit man später nicht vergisst.“ wurde von der Biogen GmbH organisiert.

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