Über den Zusammenhang zwischen Klimakrise und Gesundheitsschäden haben wir mit Dr. Martin Herrmann gesprochen  Vorsitzender der Allianz für Klimawandel und Gesundheit (KLUG). Foto: ©iStock.com/shark_749
Über den Zusammenhang zwischen Klimakrise und Gesundheitsschäden haben wir mit Dr. Martin Herrmann gesprochen Vorsitzender der Allianz für Klimawandel und Gesundheit (KLUG). Foto: ©iStock.com/shark_749

„Die Klimakrise ist die größte Bedrohung für unsere Gesundheit“

Die Klimakrise schädigt unsere Gesundheit – und zwar viel stärker, als wir glauben. Weshalb das so ist und was dagegen getan werden muss, darüber haben wir mit Dr. Martin Herrmann gesprochen – der Mediziner aus München ist Vorsitzender der Deutschen Allianz für Klimawandel und Gesundheit (KLUG).

Herr Dr. Herrmann, welche Auswirkungen hat die Klimakrise auf unsere Gesundheit?

Dr. Martin Herrmann, Deutsche Allianz für Klimawandel und Gesundheit. Foto: privat
Dr. Martin Herrmann, Deutsche Allianz für Klimawandel und Gesundheit. Foto: privat

Dr. Martin Herrmann: Es sind enorme Auswirkungen und sie betreffen zahlreiche medizinische Fachgebiete – Dermatologie, Allergologie, Allgemeinmedizin und viele mehr. Allein die zunehmenden Hitzewellen wirken sich auf alle Organsysteme aus, am stärksten auf Herzkreislauf und Lunge, aber auch auf die Nieren. Je nach Vorerkrankungen und Risikoprofil steigt die Gefahr, dass es zu ernsten Gesundheitsschäden kommt.

Ist die Hitze das einzige Problem?

Herrmann: Keinesfalls. Unsere Zivilisationskrankheiten, auch die meisten chronischen Erkrankungen, hängen mit der gleichen Lebensweise zusammen, die auch unseren Planeten zerstört. Wir bewegen uns zu wenig, wir ernähren uns falsch, wir bauen Häuser und Städte nicht so ökologisch, wie es gut für uns wäre. Wenn wir in diesen Punkten etwas verändern, dann betreiben wir nicht nur Umweltschutz, sondern erreichen auch sehr schnell positive Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Es geht uns und der Umwelt besser, sobald wir weniger tierisches Eiweiß und mehr Gemüse zu uns nehmen oder an Orten leben, die nicht für den Autoverkehr ideal sind, sondern für Menschen, die Rad fahren oder zu Fuß gehen. Wir müssen die Umwelt- und die Gesundheitsagenda zusammen denken – dann haben wir nicht viel zu verlieren, aber sehr viel zu gewinnen, individuell und als Gesellschaft.

Der Zusammenhang zwischen Klimakrise und Gesundheit dürfte vielen Menschen gar nicht bewusst sein.

Herrmann: So ist es. Und deshalb war ich im Oktober 2017 eines von 15 Gründungsmitgliedern von KLUG – der Deutschen Allianz für Klimawandel und Gesundheit

Welche Ziele verfolgt KLUG?

Herrmann: Die Klimakrise ist in unserer Zeit die größte Bedrohung für die Gesundheit – nur spiegelt sich das leider im deutschen Gesundheitssektor nicht wider. Das wollten wir ändern. Unser wichtigstes Ziel ist deshalb, über diesen Zusammenhang aufzuklären und wissenschaftliche Erkenntnisse dazu an die Öffentlichkeit zu bringen. Außerdem wollen wir dafür sorgen, dass der Gesundheitssektor dieses Wissen konsequent in sein Handeln integriert. Und wir wollen zum gesamtgesellschaftlichen Diskurs beitragen. Wir haben ganz klein angefangen, ohne finanzielle Mittel. Inzwischen entwickelt sich KLUG sehr dynamisch, wir haben heute über 400 aktive Mitglieder und viele, auch sehr große Organisationen, mit denen wir zusammenarbeiten. Dazu gehören Ärztekammern, der Pflegerat, medizinische Fachgesellschaften, Wohlfahrtsverbände und viele mehr. Die Initiative „Health for Future“ wurde von uns mit initiiert, dort gibt es 70 Ortsgruppen mit über 3.000 Aktiven. Zudem pflegen wir Netzwerke und Partnerschaften mit allen wichtigen wissenschaftlichen Institutionen, die in dieser Richtung arbeiten. Wir haben übrigens relativ schnell herausgefunden, dass „Klimawandel und Gesundheit“ sogar zu klein gedacht ist.

Wie meinen Sie das?

Netzwerke & Partnerschaften gegen die Klima- & Gesundheitskrise. 
Foto: ©iStock.com/AndreyPopov
Netzwerke & Partnerschaften gegen die Klima- & Gesundheitskrise.
Foto: ©iStock.com/AndreyPopov

Herrmann: Es geht eigentlich um Planetary Health – also neben der Gesundheit der Menschen auch um die des gesamten Ökosystems. Mit der Art, wie wir wirtschaften und zusammenleben, überschreiten wir die Belastungsgrenzen des Planeten und zerstören letztlich die Bewohnbarkeit der Erde. Das hat natürlich katastrophale Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Das ist wie bei einem medizinischen Notfall: Da müssen die Mediziner schnell handeln und alles andere beiseitelegen. Genau das müssen wir als Gesellschaft tun, denn wir befinden uns in einer Notfallsituation. Es gibt dazu auch ein Buch, zu dessen Herausgebern ich gehöre: „Planetary Health – Klima, Umwelt und Gesundheit im Anthropozän.“ Es ist das erste Fachbuch weltweit, das den Kontext von „Planetary Health“ erklärt und Bedeutung für mehr als 30 klinische Fächer aufzeigt. Inzwischen beschäftigt sich auch der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung mit diesem Thema.

Auf der Homepage von KLUG heißt es, die Gesundheitsberufe sollten zu Akteuren einer gesamtgesellschaftlichen Transformation werden – wie könnte das konkret aussehen?

Herrmann: Wir können Planetary Health zu einer Priorität in unseren verschiedenen Arbeitsfeldern machen: In der Arbeit mit Patienten, in unseren Verbänden. Wir könnten zum Beispiel auf die Emissionen achten, die wir erzeugen, etwa in den Krankenhäusern – denn es kann ja nicht sein, dass wir mit der Art, wie wir Medizin betreiben, gesundheitsschädigend sind. Nur ein Beispiel von vielen: Es gibt ein oft verwendetes Anästhetikum, das sehr klimaschädlich ist, das aber problemlos ersetzt werden könnte durch andere Anästhetika, die genauso wirksam sind. Oder man könnte beim Einkauf auf umweltfreundliche Lieferanten setzen. Langfristig geht es auch darum, neue, umweltfreundliche Produkte zu entwickeln. Dazu muss man mit den Pharma-Unternehmen zusammenarbeiten und dafür sorgen, dass sich alle gemeinsam in diese Richtung bewegen. Letztlich können sich alle daran beteiligen. Die Energiewende wird nur funktionieren, wenn alle Sektoren mitmachen – und gerade der Gesundheitssektor kann und sollte mit gutem Beispiel vorangehen.

Sie gehören zu den Autor:innen des „Lancet Countdown Policy Brief“ für Deutschland, der jährlich erscheint. Was genau ist das und welche Empfehlungen haben Sie dort zuletzt ausgesprochen?

Zunehmende Hitzewellen wirken sich auf alle Organsysteme aus. Foto: ©iStock.com/Xurzon
Zunehmende Hitzewellen wirken sich auf alle Organsysteme aus. Foto: ©iStock.com/Xurzon

Herrmann: Der „Lancet Countdown“ ist aus zwei Lancet Kommissionen entstanden, die in den Jahren 2009 und 2015 Berichte zu Klimawandel und Gesundheit verfasst haben. Wissenschaftler aus der ganzen Welt zeigen jährlich anhand von 35 bis 40 Indikatoren auf, wo wir stehen und was wir tun sollten. Parallel zu diesem globalen Bericht gibt es einen „Policy Brief“ in einzelnen Ländern und Regionen, der auf die dortige Situation eingeht. Der erste „Policy Brief“ in Deutschland enthielt 2019 die Empfehlung, Hitzeaktionspläne zu entwickeln und umzusetzen. 2021 wollten wir nicht sofort eine neue Empfehlung aussprechen, sondern sehen, was seit 2019 passiert ist.

Und?

Herrmann: Nun, es gibt zwar Pläne auf Länderebene oder in einzelnen Kommunen, aber sie werden nur zögerlich umgesetzt und der gesundheitsbezogene Hitzeschutz bei Hitzewellen ist unzureichend. Das hat auch damit zu tun, dass es bei diesem Thema keine klaren Zuständigkeiten gibt. Wir sind deswegen im Moment in Deutschland nicht auf größere Hitzewellen vorbereitet, die ja auch deutlich heftiger ausfallen können als das, was wir bisher erlebt haben. Es ist wie bei der Flutwelle im letzten Sommer, da war man auch nicht vorbereitet und hat katastrophal schlecht reagiert. Viele Senioren leben alleine und kommen gerade so zurecht – bei einer Hitzewelle fallen sie dann einfach um. Es ist ein stilles und unauffälliges Sterben, das oft von den Medizinern gar nicht als Hitzetod erkannt wird. Man sieht es erst später, an der Verlaufskurve zur Übersterblichkeit. Leider gibt es bislang nur wenig Fortbildungen zu diesem Thema und die meisten Kliniken und Pflegeheime haben keinen Hitzeschutzbeauftragten. Dabei müssten wir dort dringend etwas verändern. Als Mitarbeitende müssten wir wissen, welche Medikamente wir in einer Hitzewelle umstellen sollten – entwässernde Mittel und bestimmte Schmerzmittel wirken bei Hitze anders.

Es ist wirklich absurd: Ein Bürgermeisterkandidat, der die Feuerwehr abschaffen will, wird nicht gewählt. Aber wenn derselbe Kandidat keine Hitzewehr aufstellt, interessiert das im Moment noch niemanden – dabei ist die Gesundheitsbedrohung durch Hitze dramatisch viel höher als durch Feuer. Bei einer Hitzewelle kann es bis zu 10.000 Todesfälle geben und Millionen von Menschen, die in ihrer Arbeitsfähigkeit und ihrem Wohlbefinden enorm eingeschränkt sind.

Die Bundesregierung räumt der Bekämpfung der Klimakrise oberste Priorität ein. Spüren Sie davon etwas?

Klimawandel und Gesundheit spielen eng zusammen. Foto: ©iStock.com/shark_749
Klimawandel und Gesundheit spielen eng zusammen. Foto: ©iStock.com/shark_749

Herrmann: Wir spüren schon den Willen, etwas zu tun. Aber es ist nach wie vor so, dass viele Wissenschaftler und Politiker den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Klima in seinem ganzen Ausmaß nicht verstanden haben. Es wird bisher als Umwelt- oder Klimathema betrachtet. Dabei könnte man die Bevölkerung ganz anders erreichen, wenn auch die massiven Gesundheitsauswirkungen klar werden. Denn es ist ein Unterschied, ob es um die Eisbären geht oder ob man weiß, Oma und Enkel sind direkt betroffen und wir müssen sie schützen – das hat dann eine ganz andere Dringlichkeit. Wenn wir die Energiewende als Gesundheitsprojekt betrachten, dann hat das einen anderen Stellenwert, als wenn man nur die Energiepreise im Blick hat.

Wie optimistisch sind Sie, dass die Menschheit das Ruder noch herumreißen kann?

Herrmann: Wir müssen aufwachen und dürfen uns dabei nicht fragen, ob sich das überhaupt noch lohnt. Ich bin durchaus optimistisch. Es gibt bereits einen Aufbruch im Gesundheitssektor, noch nicht in der ganzen Breite, aber viele Akteure fangen an, zu verstehen. Leute wie Eckart von Hirschhausen oder Harald Lesch haben den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Gesundheit längst verstanden, auch viele Meteorologen. Das sind wichtige Kommunikatoren, die dazu beitragen können, dass die Welle derer, die sich am Klima- und Gesundheitsschutz beteiligen, immer schneller wächst.

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