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Grippeschutz mit angezogener Handbremse

Ende August, Anfang September beginnen die Impfstoffhersteller mit der Auslieferung: Über 14 Millionen Dosen an Grippeimpfstoffen verlassen um diese Zeit Jahr für Jahr die Lager der Hersteller und werden über Großhandel und Apotheken an die Arztpraxen verteilt: Die Bundesrepublik rüstet sich gegen die jährliche Influenza. Aber sie tut das mit angezogener Handbremse.

Nur rund die Hälfte der als Risikogruppe definierten älteren Menschen (60 Jahre und älter) lässt sich impfen – obwohl für sie die Impfung von der Krankenkasse bezahlt wird. Gebetsmühlenartig wiederholt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Jahr für Jahr: 75 Prozent sollten es sein, um die jährliche Grippewelle wirksam zu bekämpfen. Deutschland liegt damit im europäischen Mittelfeld – nur die Niederländer erreichen die magische 75-Prozent-Marke.

Gründe für die niedrigen Impfraten gibt es viele: Das Risiko einer Grippe wird allgemein unter-, die Nebenwirkungen der Impfung überschätzt. Hinzu kommt die allgemeine Impfskepsis, die nicht zuletzt nach der nicht so schwer wie befürchtet ausgefallenen Schweinegrippe-Pandemie im Winter 2009/2010 zugenommen hat.

Auch der Volksglaube, man könne sich von einer Grippeimpfung eine Grippe holen, hat zwar keinen wissenschaftlichen Hintergrund, bleibt aber tief verwurzelt. Richtig ist: Die Impfung schützt nicht zu 100 Prozent. Deshalb kann es sein, dass auch Geimpfte krank werden – nicht wegen, sondern trotz der Impfung.
180 Millionen Europäer sollten geimpft sein.

 

Die Influenza ist vielleicht eine der am meisten unterschätzten Infektionskrankheiten überhaupt. Die Viren sind extrem wandlungsfähig, die Hersteller müssen für jede Saison neuen Impfstoff herstellen. Welche Virenstämme virulent sind, ermittelt die WHO jedes Jahr aufs Neue. Ob die zirkulierenden Stämme eine schwere oder eher leichte Grippewelle nach sich ziehen, ist nicht zu planen: Die Diskussion über eine mögliche Pandemie im Winter 2009/2010 ist dafür der beste Beleg.

Deshalb schwanken Jahr für Jahr auch die Infektionsraten: Je nach Saison tragen in Europa zwischen fünf und 20 Prozent der Bevölkerung eine Grippe davon. Das sind zwischen 25 und 100 Millionen Europäer pro Jahr. 180 Millionen Europäer werden von den Gesundheitsbehörden als Zielgruppe definiert, die geimpft werden sollten: das sind vor allem Ältere und chronisch Kranke, aber auch Kleinkinder und Schwangere sowie Diabetiker. Rund 40.000 Menschen sterben in Europa jedes Jahr an den Folgen einer Grippe. Zu über 90 Prozent sind das laut WHO ältere Menschen.

1,7 Millionen Grippefälle könnten vermieden werden

 

In einer älter werdenden Gesellschaft ist ein umfassender Impfschutz daher auch volkswirtschaftlich von großer Bedeutung. Doch die Impfraten gehen entweder zurück oder stagnieren auf zu niedrigem Niveau. Die EU schätzt, dass die direkten Kosten der Krankheit – durch Tod, Krankhauseinlieferungen, Arztbesuche und Produktivitätsausfälle – mindestens sechs Milliarden Euro betragen. Andere gehen von deutlich höheren Zahlen aus.

Eine Studie hat ergeben, dass die EU-Staaten von der Grippeimpfung massiv profitieren: 1,6 bis 2,1 Millionen Grippefälle werden schon heute jährlich verhindert und damit zwischen 248 und 332 Millionen Euro eingespart. Aber: Würden alle Staaten dem Vorbild der Niederlande folgen und 75 Prozent ihrer Risikogruppen impfen, könnten jährlich bis zu 1,7 Millionen weitere Fälle verhindert werden.

Grippeimpfstoffe können mehr als vor der Grippe schützen

Selbst diese Beobachtungen greifen zu kurz, denn sie berücksichtigen nicht, was die medikamentöse Behandlung der Grippe und ihrer Komplikationen kostet. Und sie lässt außer Acht, dass die Grippeimpfung mehr kann als vor der Grippe schützen: In Studien konnte gezeigt werden, dass die Impfung das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse (z.B. Schlaganfall) bei Erwachsenen um mehr als ein Drittel reduzieren kann. Sie reduziert außerdem den Einsatz von Antibiotika und so die Gefahr der Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen.

Grippeimpfstoffe sind in Europa seit 1945 auf dem Markt. Neben den „Klassikern“, den intravenös injizierten trivalenten Impfstoffen, die Schutz gegen die jeweils drei gängigsten Stämme bieten, gibt es viervalente (Schutz gegen vier Stämme) und sogar nasale Grippeimpfstoffe. Auf dem europäischen Markt sind 17 Produkte von neun Herstellern zugelassen.

Die Grippeimpfung ist eine Investition in die Gesundheit der Menschen und die Nachhaltigkeit von Gesundheits- und Sozialsystemen. Doch mit der Umsetzung der 75-Prozent-Regel tun sich die Regierungen schwer. Mehr Aufklärung wäre nötig, um die Menschen zu bewegen, sich impfen zu lassen. Und die Einsicht, dass eine Grippeimpfung nicht ein Kostenfaktor ist, sondern im Gegenteil Krankheit und ihre Kosten vermeiden kann.

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