Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.
Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.

Arzneiverordnungsreport – Einführung in die GKV-Zahlenakrobatik

Die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für patentgeschützte Arzneimittel sind in 2015 um 1,3 auf 14,9 Milliarden Euro gestiegen. Was für die Krankenkassen ein „neues Rekordniveau“ ist, stellt aber bei genauem Hinsehen den langjährigen Durchschnittswert für dieses Segment dar.

Der Arzneiverordnungsreport (AVR) ist eine Institution. Auf über 800 Seiten haben das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Daten zum Arzneimittelmarkt der GKV in 2015 zusammengetragen. Doch wie die Zahlen interpretiert werden, da liegen die Autoren und die pharmazeutische Industrie traditionell weit auseinander.

Wie man dem Werk selbst entnehmen kann, schwankten die Gesamtausgaben der GKV für patentgeschützte Arzneimittel seit 2001 um Werte zwischen 41,8 (2004) und 47,7 Prozent der Ausgaben für Fertigarzneimittel. Im Durchschnitt sind es im Zeitraum der vergangenen 15 Jahre rund 45 Prozent (s. Grafik). 2015 betrug der Anteil der patentgeschützten 45 Prozent – das vergangene Jahr liegt damit genau im Mittel. Für die These des AVR, dass patentgeschützte Arzneimittel der Turbo für die Entwicklung der Arzneimittelausgaben sind, findet sich folglich im AVR selbst der Gegenbeweis.

2015 ein durchschnittliches Jahr

 

Wenn man sich die patentgeschützten Arzneimittel anschaut, war 2015 also ein durchschnittliches Jahr; dabei war es eigentlich ein besonderes. Denn von den Ausgaben her stellt es den „Hepatitis-C-Gipfel“ dar. Allein die Aufwendungen für das marktführende Kombinationspräparat waren laut AVR gegenüber dem Vorjahr um mehr als 2000 Prozent gestiegen, wie Mitherausgeber Prof. Ulrich Schwabe vorrechnete. Das klingt sehr viel – da Harvoni aber erst Ende 2014 eingeführt wurde, ist die Vergleichszahl im Grunde: Null. Verglichen wurden die Ausgaben für das Präparat in seinem ersten Monat mit den Ausgaben für das gesamte Jahr 2015. Harvoni – da sind sich Leberexperten weltweit einig – ist eine Sprunginnovation, die die Heilung einer bisher eher nicht heilbaren Infektionskrankheit in den meisten Fällen innerhalb von acht Wochen möglich macht. Entsprechend groß war der Run auf das Produkt. Inzwischen normalisieren sich die Ausgaben in diesem Bereich wieder.

 

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie, BPI, kritisierte den AVR in seinen Aussagen als „fehlerhaft und fahrlässig“: „Angesicht eines konstanten Anteils der pharmazeutischen Industrie an den Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung von knapp zehn Prozent in den letzten zehn Jahren – und das für die gesamte ambulante Arzneimittelversorgung – kann von einer Kostenexplosion in der Gesundheitsversorgung durch die Pharmaindustrie nicht die Rede sein“, so Dr. Norbert Gerbsch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BPI.

Und auch der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) versteht die Aufregung nicht: “Die Aufregung über zu viel Geld für neue Arzneimittel ist eine politisch motivierte Gespensterdebatte: Die Kosten bleiben unter Kontrolle und sind mit Blick auf den Fortschritt durch Innovationen gerechtfertigt,” so Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des vfa, in einer Pressemitteilung. Hohe Ausgaben für Hepatitis C und Krebs zeugten vom Innovationspotenzial der Pharmaindustrie. Die Fortschritte kleinzureden, hält sie für unverantwortlich. Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärztetschaft Prof. Wolf-Dieter Ludwig hatte bei der Vorstellung des AVR den mangelnden Fortschritt der Onkologika bemängelt und der Industrie vorgeworfen, sie werde Preise intern absprechen.

AVR vernachlässigt notwendige Spezialisierungen

Die Autoren des AVR beklagen darüber hinaus, dass der Preis einer einzelnen Verordnung seit 2006 um 180 Prozent gestiegen sei. Kostete sie damals noch 132 Euro, sind es heute 369. Diese reine Betrachtung auf Zahlenebene vernachlässigt aber, was dahintersteckt: Sie ist Ausdruck einer zunehmenden Spezialisierung einer Medizin, die ihre Zielgruppen in immer kleinteiligere Patientengruppen einteilt. In einem pharmazeutischen Markt, der zunehmend – und das ist politisch so gewollt – auch seltene Erkrankungen abdeckt, muss der Preis pro Verordnung zwangsläufig steigen.

Und so wiederholen Prof. Schwabe und sein Team, dass „unser AMNOG“ seine Sparziele nicht erreicht habe. 2015 seien durch Rabattverhandlung im Rahmen der Frühen Nutzenbewertung 925 Millionen Euro eingespart worden. „Wir werden also noch drei bis vier weitere Jahre warten müssen, bis die ursprünglich versprochene Entlastung von 2 Milliarden Euro tatsächlich erreicht wird“, so Schwabe. Der BPI hatte erst kürzlich darauf aufmerksam gemacht, dass das AMNOG längst höhere Einsparungen geniert als die Krankenkassen behaupten, weil es zunehmend eine Barriere-Wirkung für neue Arzneimittel entfaltet.

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