Nutzen forschende Pharmaunternehmen eine EU-Verordnung aus  um das große Geld zu machen? Ein Faktencheck. Foto: ©iStock.com/Alexander Raths
Nutzen forschende Pharmaunternehmen eine EU-Verordnung aus um das große Geld zu machen? Ein Faktencheck. Foto: ©iStock.com/Alexander Raths

Total normal: Die GKV-Ausgaben für Arzneimittel

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat eine volle Agenda: Digitalisierung, Aktionsplan Diabetes, Dauerbaustelle Pflege oder Organtransplantation sind nur einige der Themen. Nur um eines muss er sich nicht kümmern: Auch in diesem Jahr sind die Ausgaben für Arzneimittel der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) im Rahmen – oder eben: total normal.

Rund 16,9 Prozent: Das ist im Jahr 2018 der Anteil der Arzneimittelausgaben der GKV, gemessen an den Gesamtausgaben und berechnet auf der Basis der ersten drei Quartale. Dieser Wert ist seit Jahren mehr oder weniger konstant – der höchste Wert seit 2014 ist 17 Prozent. Genaugenommen hat sich an diesem Anteil seit den 1970er-Jahren nicht viel geändert. Mit rund einem Sechstel ihrer Gesamtausgaben finanziert die GKV die Arzneimittel ihrer rund 72 Millionen Versicherten und deren Distribution (Großhandel und Apotheken). In den 16,9 Prozent ebenfalls enthalten: Rund fünf Milliarden Euro Mehrwertsteuer. Zieht man das alles ab, liefert die pharmazeutische Industrie „die Fertigarzneimittel der ambulanten Versorgung für gerade einmal rund acht Prozent der Ausgaben der GKV“, wie der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) immer wieder betont. Insgesamt ist das Arzneimittelsegment der GKV in diesem Jahr um rund 3,5 Prozent gewachsen; die Gesamtausgaben um 3,8 Prozent.

Trotz steigender Ausgaben in einigen Indikationen oder Indikationsbereichen (z.B. Krebs oder seltene Erkrankungen) ist die Ausgabenentwicklung moderat. Die Gründe dafür sind vielfältig: 

  • Das Nutzenbewertungsverfahren AMNOG umfasst immer mehr Arzneimittelinnovationen und liefert dadurch steigende Abschläge bei den Erstattungsbeträgen ab. Es werden im Jahr 2018 mehr als zwei Milliarden Euro sein.
  • Die Zahl der Rabattvereinbarungen zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Unternehmern steigt. Hier gab es laut Bundesgesundheitsministerium „eine deutliche Erhöhung des Erstattungsvolumens um rund neun Prozent.“
  • Steigerungen bei den Ausgaben in einigen Segmenten stehen Einsparungen in anderen gegenüber: So verlor in diesem Jahr das umsatzstärkste Medikament in der GKV – ein Biologikum, das unter anderem gegen rheumatoide Arthritis zum Einsatz kommt – den Patentschutz. Entsprechende Biosimilars kämpfen seitdem um Marktanteile und liefern sich einen Preiskampf.
  • Die Ausgaben für die Behandlung Hepatitis C-infizierter Menschen – ein Daueraufreger der vergangenen Jahre – zeigen alle Anzeichen der Normalisierung. Seit dem Ausgabenpeak im Jahr 2015 sind die Ausgaben für diese Sprunginnovationen um rund 30 Prozent pro Jahr gefallen.

Immer mehr Biosimilars stehen zur Verfügung

Rund 825 Millionen Euro: Das ist das Volumen der Patentabläufe von Biopharmazeutika allein in diesem Jahr. Die Geschichte dieser biologischen Produkte ist geradezu ein Musterbeispiel dafür, welche Dynamik dem Arzneimittelmarkt innewohnt: Die ersten Vertreter – in den 1990er Jahren eingeführt – haben beispielsweise die Behandlung rheumatischer Erkrankungen revolutioniert und die Versorgung der Patienten erheblich verbessert (s. Pharma Fakten). Nun stehen sie als so genannte Biosimilars dem Gesundheitssystem nach Patentablauf zu niedrigeren Preisen zur Verfügung – über Jahrzehnte. Die durch die Patentabläufe freiwerdenden Mittel können nun in die Innovationen der nächsten Generation investiert werden – z.B. in Medikamente zur Behandlung bisher nicht behandelbarer, sehr seltener Erkrankungen.

Hepatitis C: Medikamente mit Tiefenwirkung

Wie schnell sich Ausgabenvolumina selbst bei Sprunginnovationen ändern können, zeigt das Beispiel der Hepatitis C-Medikamente. Sie sind seit fünf Jahren „die Chance auf eine Heilung der chronischen Lebererkrankung“, wie das Beratungsunternehmen IQVIA in ihrer Analyse dieses Segments schreibt. Jährlich um ein Drittel sind die Ausgaben seit 2015 gesunken – ein Fakt, das vor allem auf den starken Wettbewerb zwischen den anbietenden Unternehmen zurückgeht. Denn mittlerweile stehen in Deutschland zehn verschiedene Mono- bzw. Kombinationspräparate zur Verfügung. Fast 70 Prozent der abgegebenen Hepatitis C-Präparate sind Teil von Rabattverträgen; die Preise sind das Verhandlungsergebnis zwischen Krankenkassen und den jeweiligen Unternehmen. Fazit von IQVIA: „Zu einer befürchteten Kostenexplosion ist es bisher nicht gekommen.“

Durch neue Medikamente mehr als halbiert: Anteil der Patienten, die wegen HCV auf eine Leber warten. Foto: CC0 (Stencil)
Durch neue Medikamente mehr als halbiert: Anteil der Patienten, die wegen HCV auf eine Leber warten. Foto: CC0 (Stencil)

Vor allem aber haben die Medikamente eine schwer behandelbare Krankheit heilbar gemacht, deren – auch finanzielle – Auswirkungen sich erst noch zeigen werden. So geht aus einer Auswertung von Daten aus elf deutschen Transplantationszentren hervor, dass sich in den ersten drei Jahren nach der Markteinführung der Anteil der Hepatitis C-Patienten, die für eine Lebertransplantation gelistet waren bzw. eine neue Leber erhielten, mehr als halbiert hat. Für Betroffene, die unter weniger gut behandelbaren Lebererkrankungen leiden, stehen mehr Spenderorgane zur Verfügung. Nur am Rande sei bemerkt, dass in Deutschland immer noch nicht ausreichend Menschen mit der neuen Generation antiviraler Medikamente therapiert werden, um die Krankheit zu eliminieren. Wäre es vor diesem Hintergrund nicht sinnvoller, die Ausgaben für diese Medikamente weniger als einen Kostenblock, sondern als Investition in ein Hepatitis C-freies Deutschland zu verstehen?

Auch ein Blick in die Zukunft zeigt: Die Ausgaben für Arzneimittel werden offenbar kein Grund zur Sorge sein. Das zeigt eine Prognose für die fünf größten EU-Länder bis zum Jahr 2021 (s. Pharma Fakten). Demnach werden die Ausgaben für Arzneimittel in den kommenden Jahren mit rund 1,5 Prozent pro Jahr nicht schneller steigen als die prognostizierten gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten. Die Ökonomen sind sich sicher: „Unsere Resultate deuten darauf hin, dass die Ausgaben für Arzneimittel unter Kontrolle sind.“

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