Deutschland steht am Beginn einer Coronavirus-Epidemie. Laut WHO hat das Virus „Pandemie-Potenzial“. Foto: ©iStock.com/toeytoey2530
Deutschland steht am Beginn einer Coronavirus-Epidemie. Laut WHO hat das Virus „Pandemie-Potenzial“. Foto: ©iStock.com/toeytoey2530

Das neuartige Coronavirus: Von anderen Erregern lernen

Es ist schon längst nicht mehr nur in China: Italien ist das bislang stärkste vom neuartigen Coronavirus betroffene Land Europas. Angesichts steigender Infektionszahlen befindet sich Deutschland jedoch ebenfalls am Beginn einer Epidemie, erklärte Gesundheitsminister Jens Spahn vergangene Woche. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht von einem internationalen Notstand – und sieht „Pandemie-Potenzial“.

Die Zahlen steigen weiter. Rund 91.000 Menschen sind aktuell weltweit infiziert – vor allem in China. Seitdem das Virus verstärkt in Italien um sich greift, sind auch in Deutschland neue Erkrankungen hinzugekommen: Gezählt werden nun 165 Fälle – von denen 16 wieder genesen sind (Stand: 03.03.20, 08:20 Uhr GMT). Die Nachfrage der Bevölkerung nach Informationen nimmt zu: So meldete etwa das Robert Koch-Institut (RKI), welches Informationen zum Coronavirus „SARS-CoV-2“ bereitstellt, dass der Zugriff auf die Webseite zeitweise eingeschränkt war – der Server war wohl überlastet.

Coronavirus: Beginn einer Epidemie in Deutschland

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. 
Foto: © BMG / Maximilian König
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.
Foto: © BMG / Maximilian König

Kein Wunder – erklärte Spahn vergangene Woche doch: „Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Epidemie an Deutschland vorbeigeht, wird sich nicht erfüllen und sich nicht ergeben“ (s. Tagesschau). Bei den ersten Fällen in Deutschland war es immerhin gelungen, Infizierte und weitere mögliche Betroffene gezielt zu isolieren. Inzwischen aber lassen sich die Infektionsketten und Kontaktpersonen nicht mehr für alle Erkrankungen nachvollziehen. Innen- und Gesundheitsministerium haben daher einen Krisenstab aufgestellt, der das weitere Vorgehen koordinieren wird. „Ziel ist es, die Bevölkerung so gut wie möglich zu schützen“, kommentierte Spahn auf einer Pressekonferenz am Donnerstag (27.02.20). Auch wenn das nicht immer gelingt: Man arbeite weiter mit Hochdruck daran, jede Infektion frühzeitig zu erkennen, den Patienten zu isolieren, klinisch zu behandeln und alle Kontaktpersonen zu identifizieren sowie in häusliche Quarantäne zu bringen. 

Von einer Epidemie ist die Rede, „wenn in einer Region Krankheitsfälle in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe deutlich gehäuft auftreten. […] Eine weitere Voraussetzung ist, dass dies in einem bestimmten zeitlichen und räumlichen Rahmen stattfindet“, erklärt der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa). Die WHO bestätigt aber: Das Virus hat „Pandemie-Potential“. Unter einer Pandemie versteht man eine „weiträumige Epidemie. Sie erfasst ganze Landstriche, Kontinente oder breitet sich global aus“, so der vfa.

Familie der Coronaviren im Blick

Wurde die Familie der humanen Coronaviren (HCoVs) bislang unterschätzt? Sie wird oft v.a. mit Symptomen einer gewöhnlichen Erkältung in Verbindung gebracht. „Bis vor Kurzem bekamen HCoVs aufgrund ihrer milden Erscheinungsform bei Menschen relativ wenig Aufmerksamkeit“, schreiben drei US-amerikanische Experten für Infektionskrankheiten – Catharine I. Paules, Hilary D. Marston und Anthony S. Fauci – in einem Beitrag für das Fachmagazin „The Journal of the American Medical Association (JAMA)“. Das habe sich ab 2002 geändert, als die SARS-Pandemie (SARS-CoV) ihren Anfang in China nahm und sich auf über zwei Dutzend Länder weltweit ausbreitete. Insgesamt zählte man damals 8.098 Erkrankungen und 774 Todesfälle. „SARS-CoV zeigte, dass tierische Coronaviren die Barriere zu einer anderen Spezies überwinden können“ – und somit eine mögliche Bedrohung für Menschen darstellen.

Das bestätigte sich 2012: In Saudi-Arabien wurde damals mit MERS-CoV ein neuartiges Coronavirus identifiziert, das als sog. Zoonose ebenfalls zwischen Tier und Mensch übertragen werden kann. Es hat seitdem in fast 30 Ländern weltweit zu Erkrankungen geführt. Die WHO geht von rund 2.500 Fällen und 858 Toten aus (Stand: November 2019). „Auch wenn MERS nicht die internationale Panik hervorrief wie SARS, zeigte das Auftreten dieses zweiten hoch krankheitserregenden, zoonotischen HCoV, welche Bedrohung von dieser Virusfamilie ausgeht“, ist im JAMA zu lesen.

SARS-CoV-2: schneller reagiert

Nun geht also der nächste Vertreter um: SARS-CoV-2. Experten nehmen an, dass der Vorläufer dieses Virus´ von Wildtieren stammt. Immerhin hat man inzwischen aus den Erfahrungen mit den anderen Erregern gelernt. „Seit 2003 hat die chinesische Regierung ihre Kapazitäten in Bezug auf ihr Reaktionsvermögen bei Epidemien verbessert“, schreiben Zunyou Wu und Jennifer M. McGoogan vom „Chinese Center for Disease Control and Prevention“ in einem Artikel für JAMA. „Zum Beispiel waren während des SARS-Ausbruchs 2002-2003 bereits 300 Erkrankungen und fünf Todesfälle aufgetreten, bis China die WHO […] informierte.“ Beim aktuellen Coronavirus hingegen lagen erst 27 Infektionen bei Meldung an die WHO Anfang Januar vor. Auch dauerte es 2002/2003 danach noch etwa zwei Monate, bis SARS-CoV als Auslöser identifiziert worden war – im aktuellen Fall verging nur eine Woche. 

Und: China startete eine in diesem Ausmaß noch nie dagewesene Quarantäne-Aktion. Ganze Millionen-Städte wurden abgeriegelt, um eine weitere Ausbreitung möglichst zu verhindern. Ob eine solche Maßnahme in so einem Fall angemessen ist – darüber wird kontrovers diskutiert. 

Coronavirus: Arzneimittel- und Impfstoffforschung

So oder so: Nicht nur politische Entscheidungsträger, auch die Arzneimittelforschung hofft in Sachen SARS-CoV-2 von den Erfahrungen mit den anderen Erregern dieser Virusfamilie zu profitieren. Wie in dem JAMA-Artikel von Paules, Marston und Fauci zu lesen ist, haben biomedizinische Forscher mit der Entwicklung von Gegenmitteln begonnen, indem sie SARS-CoV und MERS-CoV als Prototypen nutzten. So war z.B. der Wirkstoff Remdesivir bereits im Tiermodell gegen diese beiden Erreger getestet worden – nun starten klinische Studien mit dem Mittel gegen SARS-CoV-2. 
 

Zunehmende Zahl an biopharmazeutischen Medikamenten ist gegen das neuartige Coronavirus in Entwicklung. Foto: © iStock.com/SeventyFour
Zunehmende Zahl an biopharmazeutischen Medikamenten ist gegen das neuartige Coronavirus in Entwicklung. Foto: © iStock.com/SeventyFour

Das Newsportal BioWorld berichtet von einer „zunehmenden Zahl an biopharmazeutischen Medikamenten“, die gegen das neuartige Coronavirus in Entwicklung sind. Während die meisten der insgesamt 30 gelisteten Arzneimittel- und Impfstoffkandidaten noch in der präklinischen Entwicklungsphase sind, gibt es demnach auch bereits zwei Studien in der letzten Phase der klinischen Entwicklung (Phase III) und zwei Phase II-Präparate.

Große Hoffnungen ruhen auf der Entwicklung von Vakzinen: So verkündete z.B. das Unternehmen GlaxoSmithKline (GSK) mehre Kooperationen – u.a. mit der in China ansässigen, biopharmazeutischen Firma Clover Biopharmaceuticals. Das Ziel: das neuartige Coronavirus besser verstehen, Impfstoffkandidaten entwickeln und so schnell wie möglich in klinische Studien überführen.

Coronavirus: Forschung und internationale Kooperation 

Die WHO betonte jüngst, welche große Rolle die Forschung in Bezug auf das neuartige Coronavirus spielt. Sie „ist ein fester Bestandteil unserer Maßnahmen gegen den Ausbruch“, erklärte Generaldirektor Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus. In einer Datenbank, die online abrufbar ist, hat die Organisation wissenschaftliche Publikationen rund um das Virus gesammelt. Dort finden sich u.a. epidemiologische Studien, Veröffentlichungen rund um Impfstoff- und Arzneimittelkandidaten oder zum Thema Prävention. Die WHO aktualisiert diese Datenbank täglich. Denn wie heißt es so schön: Wissen ist Macht.

Letztendlich braucht es v.a. „internationale Kooperation“, um den Ausbruch managen zu können – da sind sich die Wissenschaftler Alexandra L. Phelan, Rebecca Katz und Lawrence O. Gostin von der Georgetown University in Washington einig. „Es ist besser jetzt entschlossen zu reagieren, als abzuwarten, wie sich der Ausbruch weltweit entwickelt. Diese globale Gesundheitsbedrohung lehrt mal wieder, dass es sehr viel besser ist in das Vorbereitet-Sein zu investieren, um Ausbrüche von Anfang an zu verhindern, schnell zu identifizieren und einzudämmen. Zu reagieren, nachdem eine neuartige Infektionskrankheit sich bereits weiträumig ausgebreitet hat […], kostet Leben, wirtschaftliche Ressourcen und das Wohlergehen von Millionen von Menschen, die sich aktuell in abgeriegelten Infektionszonen befinden“.

Das zeigt, wie wichtig Projekte wie die „Zoonose Anticipation and Preparedness Initiative“ sind. Bereits 2015 haben sich hier über 20 europäische Partner aus Pharmaindustrie, kleinen und mittleren Unternehmen sowie öffentlicher Forschung zusammengeschlossen, um Zoonosen den Kampf anzusagen. Mit ihrer gemeinsamen Forschungsarbeit, die noch bis 2021 läuft, wollen sie die Grundlage schaffen, damit die Weltgemeinschaft künftig schneller auf neue Infektionskrankheiten reagieren kann (s. Pharma Fakten). Ein Fokus ist z.B. die Optimierung und Beschleunigung der Impfstoffentwicklung.

Noch ist es unmöglich, das ganze Ausmaß, das das neuartige Coronavirus haben wird, vorherzusagen. Spahn erklärte, ihm sei es wichtig, auf die „Ernsthaftigkeit der Situation“ aufmerksam zu machen – ohne übertriebene Ängste zu schüren. 

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