Die erbliche Stoffwechselstörung Phenylketonurie (PKU) erfordert eine lebenslange Behandlung – doch als Erwachsene lässt das Gesundheitssystem die Betroffenen allein. Foto: ©iStock.com/Zerbor
Die erbliche Stoffwechselstörung Phenylketonurie (PKU) erfordert eine lebenslange Behandlung – doch als Erwachsene lässt das Gesundheitssystem die Betroffenen allein. Foto: ©iStock.com/Zerbor

Menschen mit Phenylketonurie nicht allein lassen

Etwa 1 von 8.000 Kindern in Europa kommt mit Phenylketonurie (PKU) auf die Welt – eine seltene Erkrankung, die den Eiweißstoffwechsel betrifft. Sie kann „zu schweren geistigen Entwicklungsstörungen“ führen, erklärt Dr. Anja Reichert, Medical Director bei dem Biotechnologieunternehmen BioMarin in Deutschland. Die Patienten benötigen eine lebenslange Behandlung. Laut Studien erhalten jedoch nur zwölf Prozent der Betroffenen in Europa eine angemessene medizinische Versorgung.

Kein Fleisch, kein Fisch, und kein Käse; auch Hülsenfrüchte, handelsübliches Brot, Nudeln oder Reis kommen für Menschen mit PKU nicht in Frage. Der Grund: Diese Lebensmittel enthalten zu viel Protein.

PKU-Betroffene müssen aufgrund ihrer Erkrankung eine streng eiweißarme Diät einhalten. Denn ihr Körper kann die im Eiweiß enthaltene Aminosäure Phenylalanin (Phe) nicht gut abbauen. Der Grund sind Mutationen in einem bestimmten Gen, wodurch das Enzym mit dem komplizierten Namen Phenylalaninhydroxylase (PAH) nicht oder nur eingeschränkt arbeiten kann. Die Folge: überhöhte Phe-Spiegel in Blut und Gehirn. Neben schweren geistigen Entwicklungsstörungen können ohne Behandlung unter anderem Epilepsie, Spastiken oder Übererregbarkeit auftreten, weiß Dr. Anja Reichert, BioMarin.

Dr. Anja Reichert. Foto: BioMarin Deutschland GmbH
Dr. Anja Reichert. Foto: BioMarin Deutschland GmbH

Strikte Diät bei PKU: „sehr belastend“

„PKU ist zwar eine seltene Erkrankung, aber sie gehört doch zu den häufigsten erblichen Stoffwechselstörungen“, erläutert die Ärztin. Die Diagnose wird in der Regel direkt nach der Geburt über das Neugeborenenscreening gestellt, das es in Deutschland seit 1969 gibt. „Die Vorgabe ist, dass man die Behandlung in den ersten zehn Tagen anfängt“. Im Fokus steht dabei die strikte, eiweißarme Diät: Sie ist „sehr belastend“, sagt Reichert.

„Es kommen nur natürliche Lebensmittel in Frage, die fast ausschließlich Kohlenhydrate oder Fette enthalten.“ Viel übrig bleibt da nicht: ausgesuchtes Obst und Gemüse. Bei Dingen wie Nudeln oder Brot müssen die Betroffenen auf proteinarme Spezialzubereitungen zurückgreifen, die es online zu kaufen gibt. „Die Körper der Patienten benötigen dennoch viel Eiweiß. Das wird durch komplett synthetisch hergestellte Gemische in Form von Shakes ersetzt: Sie enthalten alle Aminosäuren außer Phe.“

Im Rahmen der „Live Unlimited PKU“-Kampagne, die von BioMarin finanziell unterstützt wird, blickt PKU-Patientin Eva auf ihre Kindheit zurück: „Beim Essen fühlte ich mich unwohl. Jeder aß etwas ‘normales’, nur mein Essen sah seltsam aus. Manchmal gab es Kommentare von den anderen Kindern wie ‘Was ist das denn?’ oder‚ ‘Das sieht aus wie Kacka-Scheiße.’“

Hinzu kommt, dass Essen ein zentraler Bestandteil unseres gesellschaftlichen Lebens ist: „Doch spontanes Essengehen mit Familie, Freunden oder Kollegen ist einfach nicht möglich. Das ist wirklich einschränkend“, bedauert Reichert. Mal eben ins Restaurant? Ein schier aussichtloses Unterfangen.

Patienten mit PKU im Teufelskreis

Eiweißhaltige Nahrung: PKU-Betroffene müssen in einer strengen Diät auf diese verzichten. Foto: ©iStock.com/a_namenko
Eiweißhaltige Nahrung: PKU-Betroffene müssen in einer strengen Diät auf diese verzichten. Foto: ©iStock.com/a_namenko

„Kinder halten die Diät noch recht gut ein, weil die Eltern sehr streng darauf achten“, erklärt sie. „Aber ab der Pubertät gibt es immer weniger Jugendliche, die die Diät komplett durchziehen. Und bei den Erwachsenen schaffen es nur noch die wenigsten.“

Eine falsche Ernährung hat zur Folge, dass die Phe-Spiegel im Blut steigen. „Es kommt zu verschiedenen neurologischen und psychischen Problemen – seien es zum Beispiel Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, nachlassende Aufmerksamkeit oder gar Lähmungen“. Es ist ein schleichender Prozess, der sich über Jahre hinzieht – von den Betroffenen bleibt daher oft unbemerkt, wie sehr ihre Leistungsfähigkeit sinkt. Doch je schlechter es ihnen geht, desto mehr fehlt der Antrieb, eine strikte Diät aufzunehmen – ein Teufelskreis.

Verfügbare PKU-Therapieoptionen

Neben einer Auswahl von diätetischen Lebensmitteln für PKU Patienten gibt es zwei medikamentöse Optionen – beide von BioMarin. Das orale Medikament wird angewendet bei PKU-Patienten jeden Alters, sofern sie in einem vorherigen Test auf diese Therapie ansprechen. Die zweite Option – eine Injektionstherapie – wird angewendet zur Behandlung von PKU-Patienten ab 16 Jahren, bei denen der Phenylalaninspiegel im Blut trotz vorheriger Behandlung mit verfügbaren Therapieoptionen nur unzureichend kontrolliert ist (d.h.: Phenylalaninspiegel im Blut > 600 µmol/l).

Bei gesunden Menschen liegen die Phe-Spiegel im Blut bei unter 120 µmol/l. Mit PKU ist es sehr schwierig in den Normbereich zu kommen. Nicht nur, weil es eine große Herausforderung ist, die strikte Diät auf Dauer einzuhalten. „Sondern auch, weil sie immer ein Abwägen ist“, so Reichert. „Wie viel Phenylalanin ist zu viel, wie viel zu wenig; wie stelle ich trotz Diät eine möglichst balancierte Versorgung mit anderen wichtigen Nährstoffen sicher?“ Es gleicht einem Drahtseilakt.

Erwachsene PKU-Patienten fallen durch das Raster

Kinder und Jugendliche mit PKU sind in Deutschland „gut betreut“; für sie gibt es „ausreichend kinderärztliche Spezialambulanzen“, weiß die Expertin. „Lange Zeit ging man davon aus, dass PKU eine Kinderkrankheit ist. Man dachte: Wenn sich die Betroffenen in jungen Lebensjahren an die Diät halten, reicht das. Als Erwachsene brauchen sie keine spezielle Behandlung.“ Das stellte sich inzwischen als Trugschluss heraus: „Die Krankheit erfordert eine lebenslange Therapie. Auch bei Erwachsenen, bei denen die Phe-Spiegel zu hoch sind, treten Konzentrationsschwächen und ähnliches auf.“ Doch weil in der Vergangenheit der Fokus auf der Pädiatrie lag, mangelt es heute an Erwachsenenzentren. „Wenn die Patienten nicht gerade in der Nähe eines der wenigen spezialisierten Zentren wohnen, verlieren sie sich in der allgemeinärztlichen Versorgung.“

Für „Live Unlimited PKU“ erzählt zum Beispiel die PKU-Patientin Michelle, wie sie mit 25 Jahren nach Hilfe suchte: „Ich war bei allen Hausärzten in der Umgebung, wurde aber immer wieder weggeschickt. Ich war verzweifelt und fühlte mich elend. […] Keiner fühlte sich für mich zuständig.“ Allein gelassen zu werden – „das war sehr bitter.” PKU-Patientin Eva berichtet ähnliches: „Ich habe das Gefühl, dass man mir mit zunehmendem Alter immer weniger Aufmerksamkeit schenkt.“ Die Versorgungssituation werde immer unübersichtlicher: „Welcher Arzt kümmert sich künftig um mich?“ oder „Wer kennt sich mit meinen Bluttest-Ergebnissen aus?“, sind nur zwei von vielen Fragen, die die junge Frau belasten. „Zwischen dem 18. und 20. Lebensjahr wurde ich weiter vom Kinderarzt behandelt – obwohl ich schon erwachsen war. Nun bin ich 20 Jahre und habe keinen Arzt mehr.“

PKU: Körper kann die im Eiweiß enthaltene Aminosäure Phenylalanin nicht gut abbauen. Foto: ©iStock.com/Zerbor
PKU: Körper kann die im Eiweiß enthaltene Aminosäure Phenylalanin nicht gut abbauen. Foto: ©iStock.com/Zerbor

Dr. Anja Reichert fordert: „Man müsste unter anderem mehr Ärzte zu Stoffwechselexperten ausbilden und entsprechende Leistungen verstärkt an den Universitäten und spezialisierten Stoffwechselzentren anbieten.“ Nur so ließe sich die Versorgungslücke, die ab dem Alter von 18 Jahren entsteht, schließen. Ziel muss es sein, den Übergang vom Kinder- in ein Erwachsenenzentrum nahtlos zu gestalten – und eine durchgängige Behandlung zu gewährleisten. Darüber hinaus braucht es in jedem Zentrum einheitliche Behandlungs- sowie Krankheitsmanagementziele und für alle Betroffenen Zugang zu patientenindividueller Therapie und zu Betreuung durch ein multidisziplinäres Team aus Ernährungsberatern, Ärzten und Psychologen.

Quellen:

  1. Vockley J et al. Genet Med 2014;16(2):188–200.

  2. Loeber JG, J Inherit Metab Dis 2007;30(4): 430-438

  3. Jurecki ER et al. Mol Genet Metab 2017;120(3):190–197.

  4. Enns GM, et al. Mol Genet Metab. 2010;101:99-109.

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