Wie ein gutes, sinnvolles und erfolgreiches Angebot zur Gesundheitsvorsorge aussehen könnte, das machte der Vertreter des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulf Zitterbart, gleich zu Beginn der dreistündigen Veranstaltung deutlich: „Bei uns in der Praxis gibt es ein computergesteuertes Ampelsystem“ berichtete er. Grün leuchte die Ampel, wenn alle notwendigen Impfungen abgeschlossen seien, gelb, wenn bald wieder eine Impfung anstehe und rot, wenn wichtige Impfungen fehlen. In Zitterbarts Gemeinschaftspraxis in Thüringen werden Patient:innen bei jedem Arztbesuch auf das Thema „Impfen“ angesprochen und die Impfung selbst wird ihnen so einfach wie möglich gemacht: „Menschen, die zur Impfung kommen, werden bei uns in einen separaten Raum gesetzt und zügig geimpft.“ Kurzum: Das Praxisteam spricht die Patient:innen an, informiert sie und impft sie bei Bedarf schnell und ohne Wartezeit. Nach Zitterbarts Erfahrungen werden Impfungen am häufigsten dadurch verhindert, dass sie schlicht vergessen werden – von den Patient:innen selbst, aber viel zu oft auch von den Behandelnden.
Umfrage: Hat sich die Haltung zu Impfungen seit Corona verändert?
Unabhängig davon, wie gut und einfach ein Impfangebot auch sein mag – genutzt wird es nur, wenn die Menschen davon überzeugt sind, dass eine Impfung tatsächlich nützt. Aber ist das so? Und hat sich die Haltung zu Impfungen seit Beginn der Corona-Pandemie verändert? Eher ernüchternde Antworten darauf gab es vom Meinungsforschungsinstitut Civey, das vor dem Impfgipfel gefragt hatte, ob die Menschen in den letzten 2 Jahren Impfungen gegenüber skeptischer oder aufgeschlossener geworden sind. Ergebnis:
- Aufgeschlossener: 26 Prozent
- Gleich geblieben: 43 Prozent
- Skeptischer: 31 Prozent
„Das ist ein sehr hoher Skepsis-Wert“, erläuterte Civey-Sprecherin Judith Klose, fügte aber sogleich eine gute Nachricht hinzu: „Bei den Menschen über 50 hat die Skepsis abgenommen.“ Wenig verwunderlich: Am stärksten hat die Impfskepsis mit 77 Prozent bei AfD-Wähler:innen zugenommen, gefolgt von Wähler:innen der Linken (39 Prozent) und der FDP (32 Prozent). Die wenigsten Impfskeptiker gibt es bei den Grünen: Hier sind 11 Prozent skeptischer geworden, aber 36 Prozent aufgeschlossener – also mehr als dreimal so viele. Bemerkenswerte Antworten gab es auch auf die Frage, welche Faktoren eine Impf-Entscheidung beeinflussen. Ganz vorne lagen hier mit 51 Prozent die Empfehlungen von Ärztin oder Arzt, gefolgt von Erkenntnissen zur Wirksamkeit mit 46 Prozent und den Ergebnissen von Langzeitstudien mit 37 Prozent.
Doch welche Erkenntnisse lassen sich aus solchen Zahlen gewinnen? Wie könnte es gelingen, beim Impfen den Anschluss an Länder wie Chile zu erreichen, wo die Influenza-Impfquote bei 85 Prozent liegt, während es in Deutschland gerade mal 38 Prozent sind? Dazu gab es gleich mehrere Vorschläge. Der Grundsätzlichste kam von Han Steutel, Vorsitzender des Verbandes forschender Pharma-Unternehmen (vfa): „Der wichtigste Beitrag, den wir als pharmazeutische Unternehmen leisten können, sind Impfstoffe – derzeit sind immer noch 29 potenzielle Covid-19-Impfstoffe in der Entwicklung, weitere 60 Impfstoffe gegen andere Infektionskrankheiten, gegen die es heute zum Teil noch gar nichts gibt.“
Prävention muss früh beginnen
Sind die Impfstoffe einmal zugelassen, dann sollte die Prävention damit so früh wie möglich beginnen. Bei kleinen Kindern klappt das noch recht gut, aber sobald die Pubertät einsetzt, tun sich die ersten gravierenden Impflücken auf. Prof. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit, schlug deshalb vor, „Kinder und Jugendliche in den Schulen direkt anzusprechen. Wir sollten nicht bloß Erinnerungsschreiben verschicken, sondern in den Schulen über Impfungen informieren – dann wäre die Teilnahmequote deutlich besser.“ Ein ähnliches Vorgehen schlug Boris von Maydell vom Verband der Ersatzkassen für Erwachsene vor: „Wir könnten die Menschen auch am Arbeitsplatz impfen – ich frage mich, weshalb ein solches Angebot nicht über die Betriebsärzte abgedeckt wird.“ Ebenso wichtig sei eine „klare und einhellige Kommunikation. Mit einfachen Wahrheiten, wie zum Beispiel: 50 Prozent derjenigen, die mit Corona im Krankenhaus sterben, sind nicht geimpft – bei einer Impfquote von 75 Prozent. Und bei den Ungeimpften trifft es auch viele jüngere Menschen.“
Für eine einhellige Kommunikation sprach sich auch der Leiter der Ständigen Impfkommission (Stiko) Prof. Thomas Mertens aus, der erklärte: „Es ist auch die Ansicht der Stiko, dass es sehr ungünstig ist, wenn unterschiedliche Informationen gegeben werden.“ Und, mit einem Seitenhieb auf den einen oder anderen prominenten Gesundheitspolitiker: „Es ist nicht so günstig, wenn ständig Einzelmeinungen geäußert werden.“ Auf die Nachfrage, was denn die Stiko zu einer klaren Kommunikation für die Öffentlichkeit beitragen könne, erklärte Mertens: „Die Stiko ist dazu da, um Ärzte zu informieren, nicht die Öffentlichkeit.“
„Müssen Sie da nicht Ihr Bild von Kommunikation modernisieren?“ hakte der fünffach gegen Sars-CoV-2 geimpfte Moderator und Tagesspiegel-Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff nach.
Mertens blieb dabei, dass es vordringliche Aufgabe der Stiko sei „Empfehlungen zu erarbeiten“ – und nicht etwa, der Bevölkerung etwas zu erklären. Allerdings räumte Mertens ein: „Ich glaube schon, dass Kommunikation eine größere Rolle spielt“ – aus diesem Grund habe die Stiko „Mitarbeiter eingestellt, die sich mit Fragen der Kommunikation befassen.“
Zur Frage, über welche Kanäle eine einfache Kommunikation erfolgen sollte, gab es zahlreiche Vorschläge: Twitter, TikTok oder ein Gesundheitssparten-Kanal im Privatfernsehen. Aber braucht es das überhaupt? Laut Civey-Unfrage fühlen sich 77 Prozent der Menschen gut über Impfungen informiert – der Anteil der schlecht Informierten liegt bei 11 Prozent. „Das korreliert mit der Zahl der Geimpften“, stellte Stephan-Andreas Casdorff süffisant fest und leitete über zum Diskussionspunkt „Digitalisierung“. Auch dazu präsentierte Judith Klose eindeutige Umfrage-Ergebnisse: 4 Prozent der Menschen nutzen die elektronische Patientenakte ePA. Die größten Hindernisse bei der Digitalisierung sehen Mitarbeitende des Gesundheitswesens zu 48 Prozent in der „Datenschutz-Debatte“ und zu 41 Prozent in Problemen mit der Infrastruktur.
Der größte Wurf der Digitalisierung
Datenschutz- und Infrastrukturprobleme konnten die Diskutierenden nicht lösen, aber immerhin präsentierte Markus Leyck Dieken von der Nationalen Agentur für Digitale Medizin (gematik) interessante Neuigkeiten zur ePA: „Zum ersten Mal im Gesundheitswesen ist für die ePA eine Opt-Out-Regelung geplant“ – das heisst, Menschen, die eine solche elektronische Patientenakte nicht haben wollen, müssen aktiv widersprechen. Bei allen anderen wird die Akte mit „strukturierten Daten“ der Behandelnden befüllt, sie sei also „patientenzentriert“ und der „größte Wurf, den wir in der Digitalisierung machen können“ – denn die ePA sei der Anker der Digitalisierung in Deutschland. Bis zum Jahr 2025, so plant es die Bundesregierung, sollen mindestens 80 Prozent der Patient:innen über eine ePA verfügen.
Zu den wichtigsten Erfolgen der ersten beiden Impfgipfel zählt das „Aktionsbündnis Impfen“, das Prof. Heidrun Thaiss von der TU München vorstellte. Als „Multi-Stakeholder-Plattform“ gegründet, will das Aktionsbündnis dazu beitragen, die Impfquoten zu erhöhen – etwa durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit. Als prominente Mitstreiterin konnte das Bündnis die Ärztin und Buchautorin Marianne Koch gewinnen. Die 91-Jährige „ist Feuer und Flamme und unterstützt das Aktionsbündnis sehr gerne“, so Thaiss.
Fazit: Es gibt viele Ideen und Lösungsvorschläge für ein präventives Gesundheitssystem. Fortschritte bei der Digitalisierung sind dabei wichtig, aber auch eine klare Kommunikation und neue Wege – direkt in den Schulen und Betrieben, bei Twitter und Tiktok, vor allem aber bei den beteiligten Ärzt:innen.
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