Es fehlen Bewusstsein und Struktur für Krebsvorsorge bei Menschen mit Wohnungslosigkeit. Das zeigt eine Studie unter Leitung der MedUni Wien. Foto: ©iStock.com/Ralf Geithe
Es fehlen Bewusstsein und Struktur für Krebsvorsorge bei Menschen mit Wohnungslosigkeit. Das zeigt eine Studie unter Leitung der MedUni Wien. Foto: ©iStock.com/Ralf Geithe

Krebs: Wohnungslose Menschen besonders gefährdet

„Krebs trifft obdach- und wohnungslose Menschen doppelt so häufig wie die Allgemeinbevölkerung und ist die zweithäufigste Todesursache in dieser medizinisch unterversorgten Gruppe“, schreibt die Medizinische Universität Wien. „Gleichzeitig fehlen Bewusstsein und Struktur für gezielte Krebsvorsorge“. Das zeigt eine Studie.
Krebsprävention: Ein „Luxus“!?
Kaum Programme der Krebsvorsorge für wohnungslose Menschen. Foto: CC0 (Stencil)

Welche Hindernisse bestehen in Gesundheitssystemen in Bezug auf Präventionsangebote, wie hoch ist die Kenntnis von Vorsorgemöglichkeiten? Im Rahmen einer qualitativen Forschungsarbeit hat ein Team um Tobias Schiffler und Igor Grabovac der MedUni Wien die Erfahrungen von obdach- und wohnungslosen Menschen mit und ohne Krebs sowie von Fachkräften in Einrichtungen der Gesundheits- und Sozialdienste in 4 europäischen Ländern erhoben. „Die Datenlage zu dieser Problematik war bisher äußerst dünn“, so Schiffler. Die Wissenschaftler:innen haben Interviews mit Menschen aus Österreich, Griechenland, Großbritannien und Spanien geführt, um das zu ändern.

Die Ergebnisse sind im Fachjournal eClinicalMedicine nachzulesen: „Während Krebs für Menschen in Wohnungslosigkeit insgesamt eine große Sorge darstellte, hatten sie meist wenig Wissen […] über Krebs-Symptome und -Prävention. Spezifische Programme der Krebsvorsorge für wohnungslose Menschen wurden als fast nicht-existent beschrieben.“

Krebsprävention: Ein „Luxus“!?

In den Interviews zeigte sich, dass es vielen wohnungs- und obdachlosen Menschen („People experiencing homelessness“, PEH) an Informationen zu Präventionsangeboten mangelt und notwendige Strukturen im Gesundheitssystem fehlen, um die Betroffenen zu versorgen. Einblick geben folgende Zitate:

  • „Nein, ich wurde nie über Krebsprävention informiert. Ich weiß nicht, wie man vorbeugen kann. Wenn ich untersucht werde, kann ich vielleicht sehen, ob ich erkrankt bin oder nicht.“ (PEH, Griechenland)
  • „Es heißt, Prävention rettet Leben. Davon mal abgesehen habe ich zu dem Thema kein Allgemeinwissen, weil ich mich nie gekümmert habe und es mich bis jetzt nicht betroffen hat.“ (PEH, Griechenland)
  • „Ich musste zu einem Screening gehen, weil ich einen Knoten in der Mitte meiner Brust habe. Ich habe ihn noch immer, aber sie wissen nicht, was es ist.“ Sind nächste Schritte bekannt? „Nein, aktuell werde ich im Stich gelassen.“ (PEH, UK)

Laut den Studienautor:innen gaben sowohl Betroffene als auch Fachkräfte an, dass Krebs-Screenings oftmals angesichts anderer Herausforderungen wie Unterkunft, Nahrung, Kleidung in den Hintergrund rücken.

  • „Es ist wirklich ein Luxus, sich um präventive Untersuchungen und Checkups kümmern zu können, angesichts dessen, dass man akute Probleme mit sich herumträgt.“ (PEH, Österreich)

Hinzu kommen weitere Hindernisse – ein:e Allgemeinmediziner:in aus Österreich hat folgendes Beispiel: „Manchmal finden Untersuchungen statt, bei denen die Ergebnisse nicht eindeutig sind, weil die Vorbereitung nicht funktioniert. Mach mal eine Vorbereitung mittels Abführmittel für eine Darmspiegelung, während du auf der Straße lebst“.

Krebs: Oft (zu) spät erkannt

Krebs: Oft (zu) spät erkannt
Krebs: Prävention ist so wichtig. Foto: ©iStock.com/peterschreiber.media

Laut befragten Gesundheitsfachleuten werden viele Krebsdiagnosen nur durch Zufall erst im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung gestellt – und oft auch nur deshalb, weil sich einzelne Organisationen oder Fachkräfte aktiv für sie eingesetzt haben. „Bis eine wohnungslose Frau erfährt, dass sie Brustkrebs hat, wird er bereits gestreut haben, weil er keine Schmerzen verursacht. Daher ist Prävention in Sachen Krebs so wichtig“, findet ein:e Fachmediziner:in aus Griechenland.

Personal von Gesundheits- und Sozialdiensten berichtete zudem von Schwierigkeiten, konstant im Kontakt mit den Betroffenen zu bleiben. Gesundheitssysteme sind in ihren Strukturen nicht auf die Lebensrealitäten von obdach- und wohnungslosen Menschen ausgerichtet. Es braucht daher spezifische, zugeschnittene Angebote für diese Bevölkerungsgruppe.

Gegen Krebs: Zielgerichtete Angebote sind gefragt

Klar ist: Der physische und psychische Zustand der Betroffenen darf dabei keine Rolle spielen. PEH sollten Zugang zu bezahlbaren Unterkünften und Gesundheitsversorgung haben – denn ohne Kühlschrank zur Arzneimittel-Lagerung oder fließend Wasser sind Dinge wie eine Therapie schwierig durchzuführen. Auch zusätzliche psychologische Unterstützung kann notwendig sein. Befragte Gesundheitsfachkräfte und Sozialarbeiter:innen finden: Es braucht mehr Klarheit, was die Übernahme von Therapiekosten durch Sozialversicherungen angeht. Und: Gesundheitssysteme gilt es flexibler zu gestalten – etwa in Bezug auf die Uhrzeit und den Ort von Untersuchungsterminen sowie bürokratische Anforderungen.

Gegen Krebs: Zielgerichtete Angebote sind gefragt
Krebs bei wohnungslosen Menschen: Doppelt so häufig wie in der Allgemeinbevölkerung. Foto: ©iStock.com/Ralf Geithe

Eine der vermutlich größten Herausforderungen ist: die Kommunikation. Ärzt:innen und andere Gesundheitsfachkräfte, die bislang wenig mit PEH zu tun hatten, sollten geschult werden: „Es geht um die Sprache, es gut um das Wissen […], was diese Menschen bewegt, wie sie dahingekommen sind, wo sie jetzt sind; nötig ist auch etwas Verständnis rund um mentale Gesundheit und dass man weiß, wo die eigenen Grenzen liegen“, sagt eine britische Pflegekraft. Notwendig seien „Kenntnisse von dem Lebensstil, von öffentlichen Essensausgaben, von Drogen und Zubehör, […] von Trinkgewohnheiten, Alkoholmissbrauch, von Dingen, die die Atemwege, Magen und Darm betreffen.“ Laut den Interviews denken Befragte, dass es ggf. multidisziplinäre Teams braucht – also Menschen aus ganz unterschiedlichen Fachbereichen sowie erfahrene PEH, die zusammenarbeiten, um die Betroffenen zu betreuen.

Sicherlich ist es alles anderes als einfach, zielgerichtete Angebote – für die Prävention und darüber hinaus – zu entwickeln. Nicht zu aufdringlich, aber trotzdem proaktiv und auf Langfristigkeit ausgerichtet sollten sie sein; ggf. könnten Informationsveranstaltungen oder gesundheitliche Versorgungsleistungen zum Beispiel an die Ausgabe von Essenspaketen gekoppelt sein. Überhaupt: Eine vertraute Umgebung wäre vermutlich am besten, meinen Befragte. Es gibt viel zu tun – eigentlich kann es nur besser werden. Denn die Studien-Autor:innen schreiben: „Das Auffälligste bei der Analyse der Interview-Daten war, dass momentan – über 4 europäische Länder hinweg – sehr wenig in Sachen Krebs-Prävention und -Screening innerhalb der wohnungslosen Bevölkerung passiert.“

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