Das Potenzial der Präzisionsonkologie ist groß – doch noch wird es nicht ausgeschöpft. Der europäische Pharmaverband EFPIA will das ändern. Foto: ©iStock.com/everythingpossible
Das Potenzial der Präzisionsonkologie ist groß – doch noch wird es nicht ausgeschöpft. Der europäische Pharmaverband EFPIA will das ändern. Foto: ©iStock.com/everythingpossible

Präzisionsonkologie: Große Chance für Krebs-Patient:innen und Gesundheitssysteme

Eine Krebs-Behandlung, die auf einzigartige Tumor-Merkmale der einzelnen Patient:innen zugeschnitten ist: Das ist das Versprechen der Präzisionsonkologie. Es gibt immer mehr Arzneimittel sowie entsprechende Testungen, die das möglich machen können. Doch noch profitieren zu wenige Menschen in Europa davon. Der europäische Pharmaverband EFPIA will, dass sich das ändert – und hat eine klare Vision für die Zukunft, für eine „neue Ära“, formuliert.
Präzisionsonkologie vorantreiben
Präzisionsonkologie: Weg vom „one-size-fits-all“-Prinzip. Foto: ©iStock.com/metamorworks

Die Medizin möchte weg vom Gießkannen-Prinzip. Eine Behandlung nach einem „one-size-fits-all“-Ansatz, der lediglich in den Blick nimmt, wo sich der Tumor im Körper befindet? Das soll möglichst bald Geschichte sein – für immer mehr Patient:innen ist schon heute eine personalisierte, maßgeschneiderte Therapie möglich. Denn die Zahl der Arzneimittel, die auf ganz bestimmte Merkmale eines Tumors ausgerichtet sind, wächst.

Im Pharma Fakten-Interview erklärt Dr. Benedikt Westphalen, Ärztlicher Leiter Präzisionsonkologie am LMU-Klinikum in München: „Die Präzisionsonkologie versucht […], über eine erweiterte molekulare Diagnostik therapeutische Zielstrukturen im Tumor zu finden – also Ansatzpunkte für eine zielgerichtete Therapie.“ Dazu schauen sich die Behandelnden „auf der Zellebene an, weshalb aus einer gutartigen Zelle eine bösartige geworden ist.“ Im Idealfall lassen sich so Strukturen in der Zelle identifizieren, „für die es Medikamente gibt, mit denen wir die Patient:innen zielgerichtet und individualisiert behandeln können.“ Es ist ein Tandem: Ohne ausführliche Voruntersuchungen – sogenannte „Biomarker-Testungen“ – keine zugeschnittene Therapie.

Präzisionsonkologie vorantreiben

Laut EFPIA bringt dieser „revolutionäre Ansatz“ viele Vorteile mit sich: „Patient:innen profitieren von verbessertem Ansprechen, erhöhten Überlebensraten und besseren Langzeitergebnissen – während unnötige Nebenwirkungen und Komplikationen reduziert werden“. Für Gesundheitssysteme biete die Präzisionsonkologie außerdem die Chance, Kosten zu reduzieren, Ressourcen einzusparen und Personal zu entlasten. Denn sie könne die Zahl von Krankenhausaufenthalten sowie das „Risiko, das mit ineffektiven oder übermäßigen Behandlungen einhergeht,“ senken. Es steht viel auf dem Spiel: Wenn es nicht gelingt, das Potenzial der Präzisionsonkologie europaweit auszuschöpfen, sind die Patient:innen letztlich die Leidtragenden – und der Kontinent als Ganzes, der dem medizinischen Fortschritt hinterherhechelt.

Um das zu verhindern, hat EFPIA eine „Vision“ für 2025 und darüber hinaus formuliert, die auf 4 Säulen basiert:

Präzisionsonkologie vorantreiben
Potenzial der Präzisionsonkologie europaweit ausschöpfen. Foto: ©iStock.com/everythingpossible

1. Zugang

Wie gut die Präzisionsonkologie verfügbar ist, hängt stark davon ab, wo man lebt. In Ost- und Südeuropa müssen die Menschen 500 bis 800 Tage länger warten als in Nord- und Westeuropa, bis sie Zugang zu denselben neuartigen Biomarker-Tests und Arzneimitteln haben. In zahlreichen Ländern gibt es u.a. Probleme dabei, die Tests und die dazugehörigen Medikamente (annähernd) zeitgleich und umfassend durch die Prozesse von Zulassung und Erstattung zu bringen. Doch was bringt ein zugelassenes zielgerichtetes Arzneimittel, wenn die Testung, die darüber entscheidet, für welchen Menschen die jeweilige Therapie in Frage kommt, nicht einsetzbar ist? EFPIA plädiert insgesamt für flexiblere und angepasste Verfahren der Zulassung, Bewertung und Erstattung.

2. Nachhaltigkeit

Bei der Frage nach dem „Zugang“ spielt der Zustand der Gesundheitssysteme eine entscheidende Rolle. Es gibt große Unterschiede bei den in den Ländern vorhandenen diagnostischen Fähigkeiten und Kapazitäten, bei der Aus- und Weiterbildung von Gesundheitsfachpersonal oder auch in Bezug auf die Gesundheitskompetenz der Bürger:innen. Ändern lässt sich das nur mit Investitionen. Es brauche „ausreichend finanzielle Unterstützung“, so EFPIA, damit alle EU-Mitgliedsstaaten die für die Präzisionsonkologie benötigte Infrastruktur aufbauen können. Das lohnt sich: Denn eine bessere Krebsbehandlung kann letztlich zur Nachhaltigkeit der Systeme beitragen.

3. Forschung & Innovation

„Kontinuierliche Forschung, Entwicklung und Innovation“ sind laut EFPIA der Motor, um den medizinischen Fortschritt weiter voranzutreiben. Doch der Pharmaverband zeigt sich besorgt, dass Europa im internationalen Vergleich an Attraktivität im Bereich klinischer Studien verliert. Es brauche mehr Harmonisierung, mehr Transparenz, mehr Planbarkeit. Gefragt seien zudem interdisziplinäre Zusammenarbeit und öffentlich-private Partnerschaften. „Politische Entscheidungsträger:innen müssen die Ressourcen bereitstellen und eine klare Vision verfolgen, um sicherzustellen, dass Patient:innen frühzeitig Zugang zu innovativen Therapien haben, und um gleichzeitig Europas Wettbewerbsfähigkeit […] zu stärken“.

4. Daten

Datennutzung
Zugang zu Daten: Aufbau von Registern. Foto: ©iStock.com/gorodenkoff

„Der Erfolg der Präzisionsonkologie hängt damit zusammen, inwieweit individuelle Daten zugänglich sind – denn nur sie machen es möglich, die geeignetste Behandlung für die Patient:innen zu identifizieren“, betont EFPIA. Große Mengen an Informationen – zu genomischen Profilen, zu Biomarkern – aus oftmals verschiedenen Quellen müssen zusammengeführt und bewertet werden. Soll heißen: Es gilt, europaweit Strukturen zu schaffen, die einen Datenaustausch sicher und unter allgemeingültigen (IT-)Standards möglich machen. Wichtig ist auch der Aufbau von Registern mit Daten aus der „Real World“, um aus den Erfahrungen aus dem Behandlungsalltag mehr über präzisionsonkologische Anwendungen zu lernen – und letztlich die Therapie besser zu machen.

Präzisionsonkologie: „Ein Symbol der Hoffnung“

„Die Präzisionsonkologie steht für wissenschaftlichen Fortschritt par excellence – und es ist unbedingt erforderlich, dass die EU-Gesetzgebung mit den Entwicklungen auf diesem Gebiet Schritt hält“, heißt es bei EFPIA. Wenn alle Akteur:innen zusammen arbeiten, dann sei ein Europa möglich, „in dem die Präzisionsonkologie nicht nur eine Behandlungsoption ist, sondern ein Symbol der Hoffnung – für alle, die von Krebs betroffen sind.“

Weiterführende Links:
A new era for Precision Oncology: EFPIA’s vision for the future of cancer treatment in Europe beyond 2025

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