„#DeutschlandErkenntSepsis“ - wie und weshalb diese drei Worte viele Menschenleben retten könnten, das wurde bei einer Veranstaltung in Berlin deutlich. Foto: iStock.com/Keikona
„#DeutschlandErkenntSepsis“ - wie und weshalb diese drei Worte viele Menschenleben retten könnten, das wurde bei einer Veranstaltung in Berlin deutlich. Foto: iStock.com/Keikona

„Sepsis ist ein Notfall“

In Berlin startete jetzt die Initiative: „#DeutschlandErkenntSepsis“. Ziel ist es, jedes Jahr in Deutschland bis zu 20.000 Menschenleben zu retten. Wie das gelingen könnte, wurde bei der Eröffnungs-Veranstaltung deutlich.

Pharma Fakten-Grafik: Sepsis - Wenn das Immunsystem außer Kontrolle gerätJoachim Greuner erinnert sich noch genau an die Worte, die seine Frau am frühen Morgen des 22. Mai 2019 zu ihm sagte: „Irgendetwas stimmt nicht.“ Bis dahin, bis zur 36. Woche, war ihre Schwangerschaft problemlos verlaufen. Sie war gesund, trieb immer noch Sport – an diesem 22. Mai aber wachte sie mit Erkältungssymptomen auf und wusste sofort: „Das ist keine übliche Erkältung.“ Ihr Mann brachte sie zum Frauenarzt, der eine erhöhte Temperatur bei der Patientin und einen schnellen Herzschlag beim ungeborenen Kind feststellte. Sicherheitshalber überwies er die werdende Mutter ins Krankenhaus, wo sie gleich in den Kreißsaal kam. Ein junger Mediziner erklärte, sie habe eine Sommergrippe. Das Fieber war inzwischen auf über 40 Grad gestiegen, weshalb der Arzt ihr ein fiebersenkendes Mittel verabreichte.

Während seine Frau „zur Überwachung“ noch eine Nacht im Krankenhaus bleiben sollte, wurde Joachim Greuner am Abend nach Hause geschickt. Dort wartete sein kleiner, erstgeborener Sohn auf ihn – trotzdem fragt sich Joachim Greuner bis heute, ob es richtig war, an diesem Abend nach Hause zu fahren. Er telefonierte später noch einmal mit seiner Frau, die von starken Schmerzen berichtete. Am nächsten Morgen gegen 6 Uhr der nächste Anruf: „Komm schnell vorbei, sie holen ihn jetzt.“ Gegen 7 Uhr saß Joachim Greuner im Klinikflur, einige Zeit später erklärten ihm die Ärzte: „Wir stellen die Wiederbelebungsversuche bei ihrem Sohn jetzt ein.“ Gegen halb 10 wurde Greuners Frau auf die Intensivstation verlegt. „Mir wurde dann mein Sohn übergeben, damit ich mich von ihm verabschieden konnte.“

Als nächstes erfuhr Greuner, dass die Blutungen bei seiner Frau immer noch nicht gestillt werden konnten und ihr nun die Gebärmutter entfernt werde. „Am Nachmittag“, so erzählt es Joachim Greuner, „wurde mir dann mitgeteilt, dass meine Frau verstorben ist.“ An einer Sepsis, im Volksmund auch „Blutvergiftung“ genannt.  

85.000 Todesfälle pro Jahr – mindestens

Ärztin Dr. Ruth Hecker
Ärztin Dr. Ruth Hecker. Foto: ©2021 Universitätsmedizin Essen

4 Jahre später sitzt der Anwalt für Steuerrecht, der sich inzwischen für die Deutsche Sepsishilfe engagiert, auf einem Podium in einem Berliner Hotel. Dort startet an diesem 11. Mai 2023 die Aktion „#DeutschlandErkenntSepsis“ – und Greuner will dazu beitragen, diese Erkrankung bekannter zu machen. Wenn das gelingt, könnte das jedes Jahr 20.000 Menschenleben in Deutschland retten – denn so hoch ist die Zahl an vermeidbaren Todesfällen. „Insgesamt erkranken jährlich 230.000 Menschen an Sepsis, davon sterben mindestens 85.000. Damit sterben im Krankenhaus doppelt so viele Menschen an Sepsis wie an Schlaganfall und Herzinfarkt zusammen“, so die Ärztin Dr. Ruth Hecker, die „#DeutschlandErkenntSepsis“ ins Leben gerufen hat. Die Inhalte der Aktion reichen nach ihren Worten „von der Prävention bis zur Nachsorge.“

Das Ziel formulierte Stefan Schwartze, Patientenbeauftragter der Bundesregierung, in seinem Einführungsvortrag so: „Wir wollen, dass die Symptome einer Sepsis auf allen Ebenen erkannt werden können“ – also von Mediziner:innen, von Pflegenden, aber auch von den Patient:innen selbst. Das Bundesministerium für Gesundheit fördert die Initiative bis zum Jahr 2026 mit 1,5 Millionen Euro jährlich. Mit diesem Geld soll die Frage „Könnte es eine Sepsis sein?“ fest in den Köpfen verankert werden – wie dies etwa in Australien gelungen sei, wo, so Schwartze, „50 Prozent weniger Menschen an Sepsis sterben als bei uns.“ Doch reichen 1,5 Millionen Euro im Jahr? Nach Überzeugung von Ruth Hecker nicht, denn Social-Media-Kampagnen, Fernsehspots und Plakataktionen, Fortbildungen und Schulungsmaterialien sowie konkrete Hilfsangebote für Betroffene und ihre Angehörigen kosten Geld. Mehr Geld als die sehr erfolgreiche HIV-Kampagne mit Hella von Sinnen („Tina, wat kosten die Kondome?“) in den 1980er Jahren verschlang – damals wurden die Spots bei ARD und ZDF kostenlos ausgestrahlt. 

Sepsis – die unbekannte Krankheit

Prof. Konrad Reinhart, Vorsitzender der Sepsis-Stiftung
Prof. Konrad Reinhart, Sepsis-Stiftung. Foto: Leopoldina, Halle/Germany

Dass dem Thema Sepsis viel zu wenig Beachtung geschenkt wird, zeigt sich etwa, wenn man auf der Webseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) die Worte „Sepsis“ oder „Blutvergiftung“ in die Schlagwortsuche eingibt, wie es Moderatorin Jessica Hanneken getan hat. Dann erscheint (Stand 12.5.) als Antwort: „Leider wurden für Ihre Eingabe keine Ergebnisse gefunden.“ Gefolgt von der orthographisch falsch geschriebenen Frage: „Oder meinten Sie vielleicht skepsis?“ Wohlgemerkt: Sepsis ist keine Bagatell-Erkrankung, sondern die dritthäufigste Todesursache in Deutschland. Wobei die Zahl von 85.000 Todesfällen sogar zu niedrig angesetzt sei, so Prof. Konrad Reinhart, Vorsitzender der Sepsis-Stiftung. Denn: „Auch Menschen, die an Covid-19 oder Grippe sterben, sind letztlich Sepsis-Tote“ – beide Erkrankungen würden bei einem schweren Verlauf die Symptome einer Sepsis aufweisen.

Wie aber lässt sich einer Sepsis-Erkrankung vorbeugen? Wichtigste Präventionsmaßnahme sind Impfungen. „Lungenentzündungen, die etwa durch Pneumokokken-Infektionen ausgelöst werden, zählen zu den Hauptursachen für Sepsis“, erklärte Reinhart. Neben der Pneumokokken-Impfung zählen auch Grippe-Impfungen zu den wichtigsten Präventionsmaßnahmen, ebenso die Einhaltung von Hygieneregeln, in Krankenhäusern, aber auch zuhause beim Verbinden einer Wunde. Wichtig ist für Reinhart auch, den Menschen bewusst zu machen, „dass jede Infektion eine Sepsis auslösen kann.“ Viele Menschen würden glauben, nur ein „roter Streifen“, der von einer Wunde in Richtung Herz wandert, würde eine Blutvergiftung anzeigen – dies aber sei nur eines von vielen möglichen Anzeichen.

Anzeichen einer Sepsis

Welche Merkmale noch auf eine Sepsis hindeuten können, zeigt eine Checkliste, die auf der Webseite der Sepsis-Stiftung zu finden ist. Deutliche Anzeichen für eine mögliche Sepsis sind etwa hohes Fieber, ein nie gekanntes Krankheitsgefühl, besonders schneller oder langsamer Puls und starke Schmerzen. Wer solche Symptome entwickelt, so die Empfehlung, solle umgehend die Notrufnummer 112 wählen. Denn, so Ruth Hecker: „Sepsis ist ein Notfall.“

Neben Joachim Greuner berichteten in Berlin noch weitere Menschen über ihre Erfahrungen mit einer Sepsis-Erkrankung. Darunter der Projektmanager und ehemalige Klavierspieler Arne Trumann. Er erlitt 2012 einen septischen Schock, den aber nicht der hinzugerufene Hausarzt diagnostizierte, sondern ein Notarzt, der ihn erst Stunden später ins Krankenhaus brachte. Dort mussten ihm mehrere Finger teilweise amputiert werden, aber er hat überlebt. Ebenso Ulrich Möhl, der im Jahr 2011 trotz Erkältung einen Triathlon absolvierte. Am nächsten Tag hatte er Rückenschmerzen, wurde zunächst in eine orthopädische Klinik verlegt, eine Woche später in eine Uniklinik. Dort lag er vier Wochen im künstlichen Koma. Es folgten vier Monate Reha-Klinik und viele Jahre mit psychischen und rheumatischen Beschwerden. Astrid Wendlik fand ihren Freund bewegungsunfähig in der gemeinsamen Wohnung vor, auch er überlebte nur knapp und verbrachte viele Wochen im Krankenhaus. Bei all diesen Erfahrungen gab es eine Gemeinsamkeit: „Das Wort Sepsis fiel nie“, so Astrid Wendlik, die auch in ihrem Beruf als Altenpflegerin nie etwas von dieser Krankheit gehört hatte. 

Das soll sich nun ändern. Denn nur, wenn möglichst viele Menschen möglichst viel über Sepsis wissen, lässt sich das Motto der Aktion „#DeutschlandErkenntSepsis“ tatsächlich umsetzen: „Jede:r kann Leben retten!“

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