Das Gesundheitswesen muss sich dringend auf die Folgen der Klimakrise einstellen – wie das gelingen könnte, darüber diskutierte eine Expert:innenrunde in Berlin. Foto: ©iStock.com/Xurzon
Das Gesundheitswesen muss sich dringend auf die Folgen der Klimakrise einstellen – wie das gelingen könnte, darüber diskutierte eine Expert:innenrunde in Berlin. Foto: ©iStock.com/Xurzon

Was die Klimakrise für das Gesundheitswesen bedeutet

Neue Erkrankungen erkennen und behandeln, Patient:innen und Pflegebedürftige während Hitzewellen und Flutkatastrophen gut versorgen, Kliniken und Arztpraxen klimaneutral betreiben – die Klimakrise bringt auch für das Gesundheitswesen gewaltige Herausforderungen mit sich. Bei einer Veranstaltung in Berlin wurde nun deutlich: Ärzt:innen und Pflegende sind darauf nur mangelhaft vorbereitet.
v. l. n. r.: Prof. Andreas Heinz, Prof. Christian Schulz, Jana Luntz, Moderatorin Prof. Gabriele Meyer, Dr. Michael Köhler, Dr. Susanne Breitner-Busch.
v. l. n. r.: Prof. Andreas Heinz, Prof. Christian Schulz, Jana Luntz, Moderatorin Prof. Gabriele Meyer, Dr. Michael Köhler, Dr. Susanne Breitner-Busch. Foto: Pharma Fakten

Immerhin: Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat kürzlich angekündigt, einen Hitzeschutzplan für Deutschland erarbeiten zu wollen. Er reagierte damit auf Forderungen, die Prof. Christian Schulz und seine Mitstreitenden von der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) schon lange erheben. Ein solcher Plan, der insbesondere für alte und kranke Menschen Schutzmaßnahmen bei Hitzewellen vorsieht, ist für Schulz ein erster und wichtiger Schritt von der Krise zur Resilienz. „In diese Richtung müssen wir gehen“, erklärte Schulz bei einem Vortrag auf dem Hauptstadtkongress 2023. Doch Hitzeaktionspläne alleine reichen nicht. „Wir müssen auch im Gesundheitswesen die Treibhausgase reduzieren, wir müssen die Prävention stärken und Anreize setzen, damit es erste Wahl für die Menschen ist, sich gesund zu ernähren und saubere Luft zu atmen.“ Für die Kliniken mahnte der KLUG-Geschäftsführer an: „Wir müssen dort Nachhaltigkeitskriterien implementieren.“ Bislang gebe es in Deutschland kein einziges klimaneutrales Krankenhaus. Allerdings gebe es durchaus Häuser, die auf dem sehr komplexen Weg dorthin eine Vorreiterrolle einnehmen. 

Schulz betonte: „Wir steuern weltweit auf 3 Grad Erwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu. Und wenn es weltweit 3 Grad sind, dann haben wir in Deutschland 6 Grad Erwärmung“ – denn in Europa fällt der Temperaturanstieg noch einmal deutlich höher aus als in vielen anderen Weltregionen. 

Wie sich die Erderwärmung auf psychische Erkrankungen auswirkt

Wie sich die Erderwärmung auf psychische Erkrankungen auswirkt
„Eco-Distress“: Gefühle von Angst, Panik, Hoffnungslosigkeit oder Trauer angesichts der Umweltzerstörung. Foto: ©iStock.com/Xurzon

Welchen Einfluss das alleine für die psychische Gesundheit hat, erklärte Prof. Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie an der Charité-Universitätsmedizin: „1 Grad Erwärmung führt zu einem Anstieg psychischer Erkrankungen um 10 bis 20 Prozent. Es gibt mehr Notfallkontakte und Krankenhaus-Einweisungen – und die Klimakrise hat auch negative Auswirkungen für Menschen mit Demenz-Erkrankungen.“ Heinz berichtete von einer Studie aus New Orleans, die erstellt wurde, nachdem dort der Hurrikan „Katrina“ gewütet hatte. Jede zweite Person habe danach affektive Störungen wie Depressionen oder Stimmungsschwankungen entwickelt, jede dritte Person habe unter Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung gelitten. Auch in Deutschland, betonte Heinz, würden sich „neue Syndrome“ entwickeln – etwa „Eco-Distress“, ein Syndrom, das Gefühle von Angst, Panik, Hoffnungslosigkeit oder Trauer angesichts der Umweltzerstörung hervorruft. Oder auch Angststörungen, deren Ausgangspunkt „Klima-Angst“ sei. 

Steigendes Suizid-Risiko bei Hitze

Und auch das Suizid-Risiko dürfte als Folge der Klimakrise steigen. Dr. Susanne Breitner-Busch, die als Wissenschaftlerin am Helmholtz-Zentrum in München forscht, stellte Beobachtungs-Studien aus England und Frankreich vor, die nahelegen, dass mit jeder Hitzewelle auch die Zahl der Selbstmorde steigt. So habe sich bei einer Hitzewelle in England und Wales gezeigt, dass dort während einer einwöchigen Hitzewelle die Suizidrate um 41 Prozent gestiegen sei – verglichen mit dem gleichen Zeitraum in den Jahren davor und danach, in denen es keine Hitzewelle gab. Eine Studie in Frankreich habe ergeben: „Ein Anstieg der Durchschnittstemperatur um 1 Grad erhöht das Suizid-Risiko um 6 Prozent.“ Studien in Kanada und der Schweiz kämen zu ähnlichen Ergebnissen, wobei die Suizid-Rate bei Menschen, die unter depressiven oder schizophrenen Erkrankungen litten, besonders stark gestiegen sei. 

Steigendes Suizid-Risiko bei Hitze
Steigendes Suizid-Risiko als Folge der Klimakrise. Foto: ©iStock.com/Vichai Phububphapan

Breitner-Busch erzählte auch von einer Studie, bei der 600 Millionen Twitter-Nachrichten analysiert wurden. Hier zeigte sich: „Während einer Hitzewelle werden deutlich häufiger depressiv konnotierte Signalwörter verwendet – wie einsam, gefangen, Selbstmord oder Suizid.“ Für Breitner-Busch ist klar: „Es besteht ein Zusammenhang zwischen Hitze und Aggressivität, auch gegen sich selbst.“ 

Die beiden Pflege-Expert:innen Jana Luntz und Dr. Michael Köhler machten deutlich, weshalb insbesondere in Kliniken und in der ambulanten Pflege dringend Hitzeaktionspläne erstellt werden müssen. „Alle sind gefährdet, aber ganz besonders eben ältere Menschen über 75, Obdachlose, Schwangere und Menschen, die im Freien arbeiten“, erklärte Jana Luntz. Und Michael Köhler ergänzte: „Ambulante Pflegedienste sind nicht vorbereitet auf Katastrophen, die durch die Klimakrise ausgelöst werden.“ Es brauche einen Katastrophenschutzplan im Pflegebereich, der sicherstellt, dass pflegebedürftige Menschen auch in Krisensituationen gut und sicher versorgt werden.

Wir alle können etwas tun

In der abschließenden Diskussionsrunde wurde klar: Es gibt in Sachen Klimaschutz viel zu tun im deutschen Gesundheitswesen – und die Erfolgsaussichten sind umso besser, je mehr sich die Beteiligten zusammentun. „Wir alle können in unsere Berufs- und Fachverbände reingehen“, erklärte Andreas Heinz. Der beste Weg raus aus den Klimaängsten sei es, „dort, wo wir noch etwas tun können, auch tatsächlich etwas zu verändern – gemeinsam mit anderen Menschen.“ Und auch KLUG-Geschäftsführer Christian Schulz zeigte sich in einem Punkt sehr optimistisch: „Wir können uns miteinander verbinden – dann können auch Einzelne etwas Großartiges bewirken.“ Zudem könne der Gesundheitssektor in Zeiten starker Polarisierung „eine integrative Kraft entwickeln.“   

Weiterführende Links:

https://dgppn.de/_Resources/Persistent/d3dfe92c23a0ed0e6001487f6b3689ef9da23dd6/Positionspapier_Klima%20und%20Psyche_web.pdf

https://www.klimawandel-gesundheit.de/

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