Der „Nachhaltigkeitsindex 2022“ will die Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens konkret messbar machen. Foto; ©iStock.com/Martin Barraud
Der „Nachhaltigkeitsindex 2022“ will die Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens konkret messbar machen. Foto; ©iStock.com/Martin Barraud

Neuer Index: Wie leistungsfähig ist das Gesundheitswesen?

Der US-Ökonom Peter Drucker brachte es auf den Punkt: „Was du nicht messen kannst, kannst du nicht lenken.“ Soll heißen: Erfolgreiche Projekte leben davon, dass sie konkrete Ziele verfolgen, deren Erreichung evaluierbar ist. Ein Blick in das deutsche Gesundheitswesen zeigt: Es gibt nur wenige konkrete Zielvorgaben. Um das zu ändern, haben AstraZeneca und das Beratungsunternehmen Vandage den „Nachhaltigkeitsindex 2022“ entwickelt. Das Ziel: Die Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens konkret messbar zu machen. Das war Thema auf dem Hauptstadtkongress (HSK) 2023.

Es ist im Grunde eine gigantische Firma: 474 Milliarden Euro gibt Deutschland für Gesundheit aus – allein das System der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist mit über 260 Milliarden Euro dabei. Doch wie gut ist das Geld angelegt? Wie effizient sind die über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen? Und vor allem: Wie zukunftsfähig ist das System, das gerne als eines der „besten Gesundheitssysteme der Welt“ bezeichnet wird? Zur Beantwortung all dieser Fragen will der „Nachhaltigkeitsindex 2022“ die Grundlagen schaffen: Das Bielefelder Beratungsunternehmen Vandage hat ihn mit wissenschaftlicher Beratung von Professor Dr. Wolfgang Greiner (Universität Bielefeld) und dem forschenden Pharmaunternehmen AstraZeneca erarbeitet. 

Der Nachhaltigkeits-Index war auch Thema beim HSK 2023. In der Mitte: Tessa Wolf
Der Nachhaltigkeits-Index war auch Thema beim HSK 2023. In der Mitte: Tessa Wolf. Foto: Jens Ahner

Ein Gespräch mit der Projektleiterin bei AstraZeneca, Tessa Wolf, Senior Director Government & Policy Affairs.

Beim Begriff Nachhaltigkeit denkt man zuerst an die Ökologie…

Tessa Wolf: Wir sehen Nachhaltigkeit dreigeteilt: Da ist die ökologische – natürlich – aber eben auch die ökonomische und soziale Nachhaltigkeit. Diese Ebenen beeinflussen einander. Der Schwerpunkt bei unserem Nachhaltigkeitsindex ist die Frage nach der Leistungsfähigkeit von Gesundheitsversorgung. Deshalb haben wir uns in diesem Projekt angeschaut: Wo gibt es konkrete Ziele und was haben wir eigentlich an Daten, die die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems beschreiben? Am Ende sind wir auf 267 Indikatoren gekommen in insgesamt 6 Dimensionen.

Im Report sind sie genau beschrieben: Die 6 Dimensionen umfassen die Rahmenbedingungen, in denen das System operiert, soziale Aspekte wie Gerechtigkeit in der Versorgung, ökonomische Gesichtspunkte wie die Ausgaben- und Einnahmeseite. Es geht außerdem um Nachhaltigkeit im Sinne von Ressourcenumgang, um epidemiologische Fragen wie Lebenserwartung, Mortalität oder Morbidität und letztlich um das organisatorische Umfeld. In allen 6 Dimensionen wurden dann die Indikatoren formuliert. Das sind zum Beispiel die Gesundheitsausgaben, Korruption im Gesundheitswesen oder Krankheiten und ihr Vorkommen in Deutschland bzw. ihre Kosten.

Wolf: Dann haben wir uns angesehen, was es zu diesen Indikatoren für Daten gibt. Zur Lebenserwartung haben wir zum Beispiel gute Daten, aber Informationen darüber, wie viele Menschen über 60 in Arbeit sind oder wie gleichberechtigt das Gesundheitssystem ist – das ist schon schwieriger.

Die Ergebnisse sind ernüchternd: Nur 12 Prozent der 267 Indikatoren, die zur Messung der Nachhaltigkeit des Gesundheitssystems definiert wurden, weisen Zielvorgaben vor. 

Wolf: Das Entscheidende ist: Wir haben im Gesundheitswesen keine konkreten Ziele, an denen es sich messen lassen muss. Es gibt keinen Plan, wo die Reise hingehen soll und auch keine Priorisierung. Um das zu ändern, müssen wir die Datennutzung verbessern: Der Index ergab, dass 17 Prozent der definierten Indikatoren aufgrund einer eingeschränkten Datenverfügbarkeit nicht bewertet werden konnten. Mit dem Index wollen wir das ändern – unter anderem dadurch, dass jeder auf die Daten zurückgreifen kann und wir diese auch jährlich aktualisieren werden.

Der Nachhaltigkeitsindex soll erst der Anfang sein
Bleibt unser Gesundheitssystem zukunftsfähig? Foto: ©iStock.com/PeopleImages

Der Nachhaltigkeitsindex soll erst der Anfang sein.

Wolf: Als nächstes wollen wir zusammen mit anderen Expert:innen im Gesundheitswesen auf Basis der Indikatoren Empfehlungen entwickeln. Dabei geht es um die Frage, was uns die Daten eigentlich sagen. Wo müssen wir ansetzen, um in einzelnen Bereichen effizienter zu werden. Wo liegen Potenziale brach, um die Versorgung der Menschen zu optimieren?

Es steht viel auf dem Spiel – das Gesundheitssystem steht vor großen Umbrüchen. Es muss in Zukunft mit wahrscheinlich immer weniger Personalressourcen eine immer älter werdende Bevölkerung versorgen, will gleichzeitig keine Leistungskürzungen vornehmen, muss den rasanten medizinischen Fortschritt auf die Schiene bringen, damit die Menschen von neuen Therapien profitieren können. Gleichzeitig ist es in vielen Bereichen jetzt schon ein reformbedürftiger Riesentanker, der dringende Updates in Sachen Digitalisierung und Bürokratieabbau benötigt. Es ist ein System unter doppeltem Druck: Dem, der aus den Hypotheken aus der Vergangenheit entstanden ist, und dem, der aus der Zukunft kommt. Vor diesem Hintergrund soll ein verstetigter Nachhaltigkeitsreport wichtige Impulse liefern, um das „Mega-Unternehmen Gesundheit“ besser lenken zu können.

Wolf: Die gute Nachricht ist, dass sehr viele Daten auch mit guter Qualität vorhanden sind. Das Problem ist aber, dass sie nicht zentral genutzt werden. Aber wenn wir zukünftig den Einsatz von Ressourcen aus ökologischer, ökonomischer und sozialer Sicht in unserem Gesundheitssystem verbessern wollen, müssen wir das ändern – der Index schafft dazu die Voraussetzungen. Darüber hinaus liefert er eine Entscheidungsgrundlage, in welchen Bereichen des Gesundheitswesens Innovationen entwickelt und gefördert werden sollten, um auch zukünftig international wettbewerbsfähig zu bleiben.

Weiterführende Links:

Partnerschaft Zukunft Gesundheit. Für ein nachhaltiges und leistungsfähiges Gesundheitssystem.

Pressemitteilung von AstraZeneca

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