Um das Thema „Future of Health“ ging es bei einem Treffen von Gesundheitsexpert:innen in Berlin, das von der Tageszeitung „Die Welt“ organisiert wurde. Foto: ©iStock.com/metamorworks
Um das Thema „Future of Health“ ging es bei einem Treffen von Gesundheitsexpert:innen in Berlin, das von der Tageszeitung „Die Welt“ organisiert wurde. Foto: ©iStock.com/metamorworks

„Future of Health“: Das Geheimnis des medizinischen Fortschritts

Die Zukunft der Medizin – und die Stolpersteine auf dem Weg dorthin – waren Thema bei einem Gesundheits-Event der Tageszeitung „Die Welt“ in Berlin. Unter dem Motto „Vision now – Future of Health“ trafen sich renommierte Gesundheitsexpert:innen, darunter der Virologe Prof. Dr. Hendrik Streeck. In der Forschung müsse man „Mut zum Scheitern haben“, sagte er. Da kann Deutschland noch von anderen Ländern wie den USA lernen.

Was hat AIDS mit Corona zu tun? Nach der Überzeugung von Prof. Dr. Hendrik Streeck sehr viel, denn: „Viele gängige Anwendungen bei der Covid-Pandemie kamen eigentlich aus der AIDS-Forschung“. So wurden PCR-Tests ursprünglich für die HIV-Diagnostik entwickelt und das Verständnis, wie das SARS-CoV-2-Virus die Zellen angreift, beruhte zu großen Teilen auf Erkenntnissen aus der HIV-Forschung. Streeck erzählte das, um deutlich zu machen: Wissenschaftliche Forschung braucht Zeit und Geduld. „Bei HIV hat es 10 Jahre gedauert, bis sich wirklich etwas entwickelt hat. Am Ende aber ist die HIV-Therapie eine Erfolgsstory gewesen. Heute haben Menschen mit HIV die gleiche Lebenserwartung wie Nicht-Infizierte.“

Mehr Mut zum Risiko

Virologe Prof. Dr. Hendrik Streeck
Prof. Dr. Hendrik Streeck. Foto: Frank Burkhardt

Bei COVID-19 sei alles sehr schnell gegangen, aber das habe eben daran gelegen, dass „vieles schon in den Regalen von Pharmafirmen stand“ und es bereits wertvolle Erkenntnisse gab – etwa zu mRNA-Impfstoffen, die vor der Coronakrise schon in der Krebsforschung eingesetzt wurden. Tatsächlich aber seien Erfolge nur langfristig zu erzielen und deshalb müssten wir alle uns fragen: „Was verlangen wir als Gesellschaft von der Wissenschaft?“ Wenn nur kurzfristige Erkenntnisse und schnelle Erfolge wichtig seien, dann könne es keinen echten wissenschaftlichen Fortschritt geben. „Wer kein Risiko eingeht, wird keinen Erfolg haben“, so Streeck, „man muss in der Forschung auch den Mut zum Scheitern haben. Wir müssen auch Experimente fördern, bei denen nicht klar ist, wie das Ergebnis am Ende aussieht.“ 

Die Realität aber sieht anders aus, insbesondere, wenn es um die Auftragsforschung für Ministerien geht. Streeck: „Das ist wirklich schlimm, da wird für ein halbes oder ein ganzes Jahr gefördert und man soll schon Ergebnisse haben, wenn der Auftrag bewilligt wird.“ Man könne ja Meilensteine setzen, also Ziele, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht sein sollten – aber zugleich brauche es die Bereitschaft, neue und risikoreiche Wege zu gehen. „Es muss Förderstrukturen geben, die frei sind vom Gutachterwesen“, findet Streeck – und der Zeithorizont sollte eher bei 5 oder 7 Jahren liegen, wie das etwa in den USA der Fall sei.

Problemfall „Klinische Forschung“

Ein besonderes Problem in Deutschland gebe es bei der Klinischen Forschung, bei der es darum geht, potenzielle neue Impfstoffe und Medikamente in Studien zu erproben. „Wir haben hier eine unheimliche Bürokratisierung“, erläuterte Streeck, „es gibt viele verschiedene Ethik-Kommissionen, die über den gleichen Antrag entscheiden. Als Vorbild sollte uns Spanien dienen, wo es für eine Studie einen Antrag gibt.“ Oder Israel, wo es dank fortgeschrittener Digitalisierung und einheitlicher Patientenaufklärung viel einfacher sei, geeignete Probanden für Studien zu finden.

Neben Streeck kritisierten auch Vertreter der Pharma-Industrie die mangelhaften Forschungsbedingungen in Deutschland. So erklärte Neil Archer, General Manager Deutschland bei Bristol Myers Squibb (BMS): „Deutschland braucht eine starke Klinische Forschung. Aber Spanien ist derzeit einfach attraktiver.“ Vor 10 Jahren habe Deutschland noch auf Platz 2 weltweit gelegen, inzwischen nur noch auf Platz 6. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: „Wir haben in Deutschland Überregulierung, Überbürokratisierung und wir haben Geschwindigkeit verloren“, so Dr. Michael May, Medical Director Deutschland bei BMS, „das ist der entscheidende Grund, weshalb viele klinische Studien nicht mehr in Deutschland platziert werden können und wir von Spanien überholt wurden.“

„Round Table“ zum Forschungsstandort Deutschland

„Round Table“ zum Forschungsstandort Deutschland
„Future of Health“ mithilfe der elektronischen Patientenakte? Foto: ©iStock.com/metamorworks

Archer und May plädierten zudem eindringlich dafür, „Daten aus der medizinischen Versorgung für die Forschung zur Verfügung zu stellen.“ May schlug vor, einen „Round Table“ einzurichten, ein Gremium unter Leitung des Gesundheitsministeriums, „wo alle Player, die Behörden, die Industrie, die Ärzteschaft, die Universitätsvertreter sich regelmäßig treffen und überlegen: Was können wir für den Forschungsstandort Deutschland tun?“

Wenn es um „Future of Health“ geht, darf das Thema „Digitalisierung“ nicht fehlen. Diesen Part übernahm Prof. Andrew Ullmann, Infektiologe und gesundheitspolitischer Sprecher der FDP. Er zählte einige Vorteile der Digitalisierung auf, wie „schnellere und zielgenauere Diagnosen“, das Vermeiden von „Doppelbehandlungen und Fehlmedikation“ oder das Erkennen „von Unverträglichkeiten von Medikamenten, nachdem sie zugelassen sind.“ All dies könne mithilfe der elektronischen Patientenakte (ePA) erreicht werden, die nach Ullmanns Angaben derzeit von knapp 685.000 Patient:innen genutzt wird. „Das sind“, so Ullmann „0,94 Prozent von ungefähr 73 Millionen gesetzlich Krankenversicherten.“ Spätestens Ende 2024 soll sich diese Zahl jedoch deutlich erhöhen. Dr. Susanne Ozegowski, Abteilungsleiterin Digitalisierung & Innovation im Bundesgesundheitsministerium, kündigte jedenfalls an, dass ab diesem Zeitpunkt „die ePA genutzt wird, es sei denn, Sie widersprechen.“ Die Entwürfe für diese Widerspruchsregelung seien fertig. „Jetzt ist es nur noch eine Frage von Tagen oder Wochen, bis sie in die Ressortabstimmung gehen.“

Die „Future of Health“ hat also längst begonnen – doch es gibt viele Herausforderungen, damit Deutschland auf dem Weg in diese Zukunft vorne dabei sein kann.

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