Die CRISPR-Forschung verzeichnet rasante Fortschritte – welche das sind  erklärt der CRISPR-Experte Prof. Dr. Selim Corbacioglu im Interview. Foto: ©iStock.com/Shutter2U
Die CRISPR-Forschung verzeichnet rasante Fortschritte – welche das sind erklärt der CRISPR-Experte Prof. Dr. Selim Corbacioglu im Interview. Foto: ©iStock.com/Shutter2U

CRISPR: Ein geniales Werkzeug

Vor zehn Jahren war CRISPR nur Fachleuten ein Begriff – heute ist die Gen-Schere ein wichtiges und weltweit bekanntes Instrument der biomedizinischen Forschung. Über den aktuellen Stand dieser Forschung haben wir mit Prof. Dr. Selim Corbacioglu gesprochen, Leiter der Abteilung für Pädiatrische Hämatologie, Onkologie und Stammzelltransplantation am Universitätsklinikum Regensburg.

Herr Prof. Corbacioglu, können Sie kurz zusammenfassen: Was ist CRISPR und wie funktioniert es?

Prof. Dr. Selim Corbacioglu: CRISPR ist ein ebenso einfaches wie geniales Werkzeug, um Veränderungen im Genom vorzunehmen. Inzwischen wird diese so genannte Genschere schon von Studenten angewendet, um damit zu experimentieren. Die Anwendungsgebiete sind sehr vielfältig, CRISPR eignet sich für Genmanipulationen in jedwedem Feld. Man konnte zwar schon vor 25 Jahren genetische Veränderungen vornehmen, aber das war extrem aufwändig und oft nicht besonders effektiv – durch CRISPR ist das wesentlich einfacher und effizienter geworden.

Prof. Dr. Selim Corbacioglu. Foto: privat
Prof. Dr. Selim Corbacioglu. Foto: privat

Welche Chancen und Herausforderungen bietet die CRISPR-Forschung – und welche Beispiele gibt es dafür?

Corbacioglu: Eine Anwendungsmöglichkeit besteht in der Ernährungsforschung. Dort kann man Pflanzen jetzt wesentlich effizienter, sauberer und genauer genetisch verändern als je zuvor. Früher wurden die Pflanzen einfach bestrahlt und wenn dadurch eine mögliche Zuchtvariante entstand, wurde sie verwendet – ohne zu berücksichtigen, welcher Schaden dadurch am Genom entstanden ist.

CRISPR lässt sich auch im Kampf gegen Krebserkrankungen einsetzen, etwa in der CAR-T-Zell-Therapie. Hier kann CRISPR durch eine gentechnische Veränderung dieser Zellen dazu beitragen, dem Krebs wesentlich nebenwirkungsärmer und effizienter zu Leibe zu rücken als durch andere Therapieformen.

Welches ist das interessanteste CRISPR-Feld?

Corbacioglu: Das sind die genetischen Erkrankungen, wo es, außer einer genetischen Korrektur, wenige bis keine Therapieoptionen gibt. Mit Hilfe von CRISPR hat man jetzt die Möglichkeit, sehr viele dieser Erkrankungen zu heilen. Ein wichtiges Feld sind dabei zum Beispiel die Hämoglobinopathien – das sind Erbkrankheiten, die von Störungen des Hämoglobins verursacht werden, also des roten Blutfarbstoffs in den roten Blutkörperchen. Ich selbst arbeite derzeit in Zusammenarbeit mit den Unternehmen Vertex und Crispr Therapeutics an Studien zur Sichelzellenanämie und zur Thalassämie, die beide zu den Hämoglobinopathien zählen. An diesen beiden Krankheiten leiden weltweit sehr viele Menschen, mehr als an den meisten anderen genetischen Erkrankungen. Patienten, die unter Thalassämie leiden, im Volksmund auch Blutarmut genannt, sind oft auf regelmäßige Bluttransfusionen angewiesen – CRISPR kann diese Transfusionsabhängigkeit durch kleine genetische Veränderungen beenden. Bei der Sichelzellkrankheit kann CRISPR schwere und lebensbedrohliche Komplikationen verhindern.

Bislang nahmen an den Studien zur Thalassämie und zur Sichelzellkrankheit allerdings nur wenige Patient:innen teil.

Corbacioglu: In die Studien der Phase I wurden weltweit rund 90 Patienten eingeschlossen. Das ist in einer frühen Beobachtungsphase aber gängige Praxis, denn es geht ja vor allem um das so genannte „proof of principle“, also darum, ob das grundlegende Prinzip funktioniert und keine schwerwiegenden Nebenwirkungen auftreten.

"Blutarmut": Keine Transfusionsabhängigkeit mehr dank CRISPR? Foto: ©iStock.com/Chan2545
“Blutarmut”: Keine Transfusionsabhängigkeit mehr dank CRISPR? Foto: ©iStock.com/Chan2545

Wie viele Menschen leiden weltweit unter Thalassämie und Sichelzellkrankheit?

Corbacioglu: Millionen. Die Sichelzellkrankheit ist im Nahen Osten und in Afrika besonders stark verbreitet. Allein in Nigeria werden jedes Jahr 200.000 Babys mit einer schweren Sichelzellerkrankung geboren. Davon verstirbt immer noch die Hälfte in den ersten fünf Lebensjahren. Durch die Migration gibt es inzwischen auch in Deutschland zunehmend Patienten mit Sichelzellerkrankungen.

Die Thalassämie ist im Mittelmeerraum und in Südostasien weit verbreitet. Hier bestand die einzige Heilungsmöglichkeit bislang in einer Stammzelltransplantation – künftig wird es dank CRISPR eventuell auch eine Gentherapie geben, um diese Erkrankungen langfristig zu heilen.

Weshalb ist eine solche Gentherapie überhaupt notwendig, wenn die Krankheit auch durch Stammzell-Transplantationen geheilt werden kann?

Corbacioglu: Patienten, für die es keine Stammzellspender gibt, haben dann trotzdem eine Chance. Auch für ältere Patienten eignet sich die CRISPR-Therapie definitiv besser als eine Stammzell-Transplantation. Es gibt auf jeden Fall einen Bedarf. Ich rechne damit, dass diese Form der Gentherapie in 10 bis 15 Jahren wahrscheinlich die Transplantation ersetzen wird. Aber so weit sind wir noch nicht. Bis dahin werden wir parallel das Eine optimieren und das Andere weiterentwickeln.

Wohin wird sich die CRISPR-Forschung in den kommenden Jahren entwickeln?

Corbacioglu: Die Indikationen werden noch ausgeweitet. Es gibt viele forschende Unternehmen, die sich unterschiedliche genetische Erkrankungen im Hinblick auf CRISPR ansehen. Auch das Cas-Enzym, das Schnittwerkzeug der CRISPR-Methode, dürfte von Forschenden noch verändert und weiterentwickelt werden – so, dass es sich noch effizienter und sicherer anwenden lässt. Denn dieses Enzym schneidet, und dabei besteht eben auch das Risiko, einen Schaden zu verursachen. Man wird also das Enzym so verändern, dass es wirklich nur dort schneidet, wo es schneiden soll. Das ist aber eher eine Aufgabe im technischen Bereich. Im Anwendungsbereich entwickeln verschiedene Unternehmen und Institute derzeit Therapieoptionen für eine ganze Reihe von genetischen Erkrankungen, die anderweitig überhaupt nicht geheilt werden können.

Für welche?

CRISPR: Es wird in sehr vielen Anwendungsbereichen geforscht. 
Foto: ©iStock.com/CIPhotos
CRISPR: Es wird in sehr vielen Anwendungsbereichen geforscht.
Foto: ©iStock.com/CIPhotos

Corbacioglu: Im Prinzip für nahezu alle genetischen Erkrankungen.

Wie sieht es mit der CRISPR-Forschung in Deutschland aus? Wird diese Form der Spitzenforschung angemessen gefördert und unterstützt?

Corbacioglu: Es wird in sehr vielen Bereichen geforscht, schon aufgrund der Einfachheit von CRISPR. Allerdings ist Deutschland nicht unbedingt der ideale Forschungsstandort. Trotzdem wird versucht, auch hierzulande – gegen viele Widerstände – mit CRISPR zu arbeiten.

Was wünschen Sie sich von den Entscheidungsträger:innen in der Gesundheitspolitik?

Corbacioglu: Mehr Unterstützung der Forschung in Deutschland. Wir sind mittlerweile ein Angstland geworden. Wir haben Regeln für alles. Aber wir werfen Impfstoffe weg, weil wir Angst haben, es könnte jemand damit geimpft werden, der noch nicht an der Reihe ist. Wir sind zum überbürokratisierten Beamten- und Verwaltungsland degeneriert, stattdessen sollten wir wieder ein bisschen mehr zum Innovationsland werden. Dazu gehört auch, die experimentelle Forschung nicht durch überbordende Auflagen und Anforderungen im Keim zu ersticken. Viele Entscheider, sich an bestehende Regeln und Gesetze haltend, behindern und zerstören zum Teil das wissenschaftliche Interesse und Engagement, bevor es sich überhaupt entfalten kann. Das ist ein großes Problem in Deutschland. Wenn vor 100 Jahren die Bedingungen von heute geherrscht hätten, dann würde es viele technische und medizinische Errungenschaften nicht geben.

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