Pharmazeutische Forschung und Entwicklung: In Europa oder anderswo?

Über 41 Milliarden Euro investierte die pharmazeutische Industrie 2021 in die Forschung und Entwicklung in Europa; rund 840.000 Menschen sind bei den Unternehmen beschäftigt. Das schätzt der Pharmaverband EFPIA und betont: Die Branche ist entscheidend für den wissenschaftlichen sowie medizinischen Fortschritt und die Wirtschaft. Doch die Konkurrenz aus den USA und Ländern wie China ist groß.

„Die europäischen Bürger:innen von heute können damit rechnen, dass sie bis zu 30 Jahre länger leben als noch vor einem Jahrhundert“, erklärt EFPIA in der aktuellen Ausgabe von „The Pharmaceutical Industry in Figures“. „Manch große Fortschritte in biopharmazeutischer Forschung – ergänzt um viele kleinere – haben einen Rückgang der Sterblichkeit ermöglicht.“ HIV ist von einem Todesurteil zu einer chronischen Erkrankung geworden, Krebs ist in zunehmend mehr Fällen immer besser behandelbar. Und: Die Menschen können nicht nur alt werden – sie haben tendenziell auch eine bessere Lebensqualität als früher. Doch aller Fortschritte zum Trotz bleibt viel zu tun: Die Alzheimer-Forschung arbeitet noch immer auf den großen Durchbruch hin (s. Pharma Fakten), 98 Prozent der rund 8.000 seltenen Krankheiten sind nicht kausal behandelbar (s. Pharma Fakten), manche Tumorarten weiterhin mit äußerst schlechten Prognosen verbunden.

Ungebrochen hohe Investitionen in pharmazeutische Forschung und Entwicklung (F&E) sind daher unerlässlich: Genau in diesem Punkt droht Europa im internationalen Vergleich abgehängt zu werden. So stiegen die Ausgaben für F&E in China zuletzt um jährlich 12,9 Prozent an, in den USA um 8,5 Prozent und in Europa um lediglich 4 Prozent (s. Grafik). Natürlich: Es kommt darauf an, was dabei herauskommt. Aber wer die neuen Wirkstoffe betrachtet, die zum ersten Mal auf den Weltmarkt eingeführt wurden, muss feststellen: Im Jahr 2021 hatten 18 der insgesamt 95 Substanzen ihren Ursprung in China und 19 in Europa – „fast gleich auf“, wie EFPIA schreibt. 35 entstammten den USA.

Pharma in Europa: Standort stärken

Pharma in Europa: Standort stärken
F&E: Stärken des Pharmastandortes in Europa. Foto: ©iStock.com/metamorworks

Trotz der Schlüsselrolle, die die forschende Pharmaindustrie in Europa in Sachen Gesundheit, Innovation, Wirtschaft einnimmt, blickt sie auf herausfordernde Rahmenbedingungen. Nathalie Moll, EFPIA-Generaldirektorin, kommentiert: „Steigende Kosten und regulatorische Hürden machen F&E immer schwieriger“. Gleichzeitig sind finanzpolitische Sparmaßnahmen nicht gerade förderlich. Zudem „sehen wir, wie das Wachstum der Märkte in Brasilien, China und Indien das Wachstum der Top 5-Märkte in Europa überflügelt. Unsere globalen Wettbewerber haben die Life Sciences zu einer Priorität erklärt – wir müssen darauf ähnlich ambitioniert reagieren.“ Ob das gelingt? Das steht in den Sternen. 

Für Moll ist jedenfalls klar: „Es ist unabdingbar, dass sich Europa dieser Herausforderung annimmt und eine Politik entwickelt, die sicherstellt, dass die europäische Pharmabranche innovativ und weltweit führend“ sein kann. Sie ergänzt: „Wir wollen, dass Europa der Ort ist, an dem sich medizinische Innovation vollzieht; der Ort, an dem pharmazeutische Produktion stattfindet; und der Ort, an dem neue Präparate als erstes auf den Markt kommen.“ Denn letztendlich geht es um die bestmögliche Versorgung der Patient:innen mit innovativen Impfstoffen und Arzneimitteln. Ein wichtiges Signal ist da das „Important Project of Common European Interest (IPCEI) on Health“, an dem mehrere Mitgliedstaaten der Europäischen Union arbeiten: Es geht um die gemeinsame Förderung von Innovationen und die Stärkung des europäischen Gesundheitssektors. Die Union fordert in einem Antrag von der Bundesregierung, dass sich auch Deutschland daran beteiligt – bisher ist das nicht der Fall. 

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Die EU-Kommission hat sich in ihrer „Pharmastrategie“ unter anderem das Ziel gesetzt, dass die Menschen in Europa möglichst gleichberechtigt Zugang zu „erschwinglichen“ Arzneimitteln erhalten. Aber was heißt das eigentlich genau? Sind Arzneimittel nicht mehr bezahlbar? Thomas Allvin vom europäischen Pharmaverband EFPIA hat sich dieses Thema genauer angeschaut. Dabei wird deutlich: Die finanzielle Nachhaltigkeit von Gesundheitssystemen ist in Gefahr – das liegt aber nicht an Pharmazeutika. Diese können vielmehr ein Teil der Lösung sein.

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