Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.
Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.

Politisch motivierte Statistik für Fortgeschrittene

Es ist ein verlässliches Ritual: Kaum ist Berlin aus der Sommerpause erwacht, kommt auch schon der Arzneiverordnungsreport (AVR) um die Ecke. Wenig variantenreich wird dort jedes Mal die eine Botschaft platziert: Die Pharmaindustrie bereichert sich auf Kosten der Allgemeinheit. Das ist weder sehr kreativ noch ist es wahr.

 

Rituale stiften Ordnung in einer Welt voller Unberechenbarkeit, wissen Psychologen. Im Gehirn schaffen Rituale durch ständiges Wiederholen eine ganz eigene Wirklichkeit, sagen Hirnforscher. Das gilt auch für das AVR-Ritual. Hier werden ganz eigene Wirklichkeiten geschaffen.

Eine dieser „Wirklichkeiten“ ist die Mär von der Kostenexplosion. Dabei kann man im AVR selbst nachlesen, dass sich der Anteil der patentgeschützten Medikamente an den Gesamtausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherer seit 15 Jahren auf gleichem Niveau bewegt – es sind rund 45 Prozent der Gesamtausgaben für Arzneimittel. Das sind Kosten, ja. Eine Explosion ist es nicht. Man müsste es einmal bundesweit plakatieren: Es gibt keine Kostenexplosion im deutschen Gesundheitswesen! Ganz ehrlich.

„Die Ausgaben für Arzneimittel so hoch wie noch nie“ ist folglich die mit leicht alarmierendem Unterton unters Volk gebrachte Botschaft. Das ist gar nicht mal falsch, denn die Kosten steigen. Das aber tun sie im Übrigen in allen Segmenten, wie ein Blick in die GKV-Kennzahlen schnell vermittelt. Ganz vorne mit dabei: Die Kosten für ärztliche Behandlung und die für die Behandlung in Krankenhäusern. Auch das könnte man mal bundesweit plakatieren: Die Kosten im Gesundheitswesen steigen, aber es ist kein Unglück. Es liegt daran, dass wir älter werden, weil Gehälter steigen und die Preise für Dienstleistungen, und weil wir am medizinisch-technischen Fortschritt teilhaben wollen.

Harte Kritik auch in Richtung Politik

Harte Kritik von den AVR-Autoren musste sich dieses Jahr aber auch die Politik anhören. Mit dem Entwurf zum AM-VSG, dem Arzneimittel-Versorgungsstärkungsgesetz, sei man vor der Pharmaindustrie in die Knie gegangen, so AVR-Herausgeber Prof. Schwabe und AOK-Chef Martin Litsch unisono. Schwabe unterstellte in der Pressekonferenz sogar, dass die Pharmaindustrie der Politik diesen Entwurf vorgeschrieben habe. Die Industrie selber hatte auf das VSG so reagiert: Es setze vor allem Sparziele um – von den ursprünglichen Zielen des Pharma-Dialogs fand sie dort wenig wieder. Warum sollte die Pharmaindustrie auch so etwas wie Umsatzschwelle oder Verlängerung des Preismoratoriums in ein Gesetz schreiben wollen? Politiker möchte man da nicht sein.

Viel Drama für so viel Normalität

Aber im Gegensatz zu den Krankenkassen ist das Bundesgesundheitsministerium offenbar ganz entspannt. Pro Versicherten sind die Arzneimittelausgaben praktisch durchschnittlich gewachsen: Alle Leistungsausgaben der GKV pro Versicherten stiegen 2015 im Vergleich zu 2014 um 3,8 Prozent; für Arzneimittel um 3,9 Prozent.

Ganz schön viel Dramatik also für so viel Normalität. Bleibt die Frage: Was steckt dahinter? Könnte es sein, dass die Kassen sich hier schon mal argumentativ für die kommende Runde Zusatzbeiträge rüsten? Denn diese Verbindung wurde auf der AVR-Pressekonferenz ganz klar hergestellt: Über die Zusatzbeiträge finanzieren die Patienten die Profite der Pharmaindustrie. Auch das ist nicht falsch: Sie finanzieren ja zum Glück auch die Gehälter der Ärzte und Krankenschwestern und der Krankenkassen-Mitarbeiter. Das ist ja der Sinn des gesetzlichen Versicherungssystems.

Der pharmazeutischen Industrie wird regelmäßig vorgeworfen, sie betreibe knallharte Interessenpolitik in eigener Sache. Dass Krankenkassen so etwas tun könnten, kommt uns offenbar nicht in den Sinn.

Florian Martius

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