Im Pharma Fakten-Interview erklärt Dr. Franz Böhme  Leiter Medical Affairs Onkologie/Hämatologie bei Bayer Vital  wie Radioaktivität in der Therapie von Krankheiten zum Einsatz kommt. Foto: © Gorodenkoff Productions - iStock
Im Pharma Fakten-Interview erklärt Dr. Franz Böhme Leiter Medical Affairs Onkologie/Hämatologie bei Bayer Vital wie Radioaktivität in der Therapie von Krankheiten zum Einsatz kommt. Foto: © Gorodenkoff Productions - iStock

Pharma-Bashing auf Kosten von Fakten

Pharma-Bashing ist einfach: Mit Krankheiten Geld verdienen, ist irgendwie fies. Das tun zwar Ärzte und Krankenpfleger (zum Glück) auch, aber dass die Entwicklung von Medikamenten in Unternehmen stattfindet, mögen viele nicht. Für manche Menschen ist das so unerträglich, dass ihnen für den Beleg, dass in diesem System etwas schieflaufen muss, schon mal die Fakten durcheinandergeraten – wie jüngst wieder in einer großen deutschen Tageszeitung geschehen. Ein Kommentar von Florian Martius.

Krankheit als Geschäft“ – so eine Schlagzeile zieht immer. Ausgelegt, um nach Empörung zu heischen, ist sie aber nüchtern betrachtet nur eine Umschreibung, wie die Entwicklung neuer Medikamente organisiert ist: Einen Wirkstoffkandidaten durch die Zulassung zu bekommen – durch die klinischen Phasen 1 bis 3 – ist langwierig, teuer, wirtschaftlich mit Risiken behaftet und weitgehend privatwirtschaftlich organisiert. Das können nur Unternehmen, die das Geld dazu haben oder aufbringen können. Und die Aussicht haben, mit dem Arzneimittel später Geld zu verdienen. Krankheit ist auch ein Geschäft.

© Pharma Fakten
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Und eines, von dem viele profitieren – und eben auch Patienten. Der Innovationsschub der vergangenen Jahre zeigt, dass dieses Geschäftsmodell im Grunde gut funktioniert. Weshalb auch die in dem Artikel getätigte Aussage, „dass ´Big Pharma` seit Jahren in der Krise steckt“ irgendwie erstaunlich wenig von Fakten gedeckt ist – vor allem in diesem Zusammenhang: „Die großen Entdeckungen und Markteinführungen wichtiger innovativer Medikamentengruppen reichen in die 1970er-, 1980er und frühen 1990er-Jahre zurück. Seitdem gab es nur wenig grundstürzend Neues, aber zahlreiche Variationen des Gleichen.“ Das muss man zweimal lesen, um zu realisieren, dass es wirklich in der Zeitung steht.

Weil für die Aussage jegliche Belege fehlen, holen wir hier exemplarisch nach, dass sie wirklich – nun ja – Quatsch ist:

  • HIV-Infizierte in den 1990er Jahren haben gerade mal so überlebt. Niemand käme heute auf die Idee, Patienten so zu behandeln wie damals. Wer heute Zugang zu Therapie hat, wird so alt wie ein Gesunder. Der Grund: Ständige Weiterentwicklungen einer Industrie, die sich u.a. auch hervorragende Wissenschaftler von Weltruf leisten kann.
  • Thema Krebs: Immunonkologie, Präzisionsonkologie, zielgerichtete Therapien – das war in den 70er bis 90er Jahren Science-Fiction. Im Jahr 2019 ist es Realität – vor allem für viele kranke Menschen. Die Überlebensraten fast aller Krebsarten zeigen heute nach oben.
  • So sah das Jahr 2018 die Zulassung einer ganz neuen Art, Krebs zu bekämpfen: Die CAR-T-Technologie steht zwar erst am Anfang, macht wegen ihres Innovationspotenzials aber jetzt schon Schlagzeilen und bedeutet für Menschen mit bestimmten, seltenen Formen von Leukämien eine Chance auf Leben, wo vorher keine war. Vor diesem Hintergrund klingt „zahlreiche Variationen des Gleichen“ zynisch.
  • Wer einen Hepatitis C-Patienten heute mit den Medikamenten von damals behandeln würde, den könnte man getrost wegen Körperverletzung vor Gericht stellen. In der Behandlung von Hepatitis C hat in den vergangenen Jahren eine Revolution stattgefunden. „Wenig grundstürzend Neues?“ Bei allem Respekt: Das ist absurd.

Man könnte dies stundenlang weiterführen. Man könnte über die 16 im vergangenen Jahr zugelassenen Medikamente gegen seltene Erkrankungen sprechen. Oder darüber, dass man heute die Blutgerinnung besser steuern, Hämophilie-Patienten ganz neue Lebensperspektiven bieten oder Diabetikern ihr Herz mit neuen Medikamenten ungleich besser schützen kann. Oder dass man Menschen mit Mukoviszidose überhaupt Präparate anbieten kann. Und was ist mit den zahlreichen Impfungen, die in den 90er-Jahren noch nicht mal am Horizont erkennbar waren?

Pharma-Marketing: Ein Beitrag zu mehr Wissen

Pauschal kritisiert wird in dem Artikel auch das Pharma-Marketing. In der Tat ist es darauf ausgerichtet, Medikamente zu verkaufen. Was für einen Sinn würde es machen, neue zu entwickeln, von denen keiner weiß und in deren Folge auch kaum Patienten profitieren würden? Von „gewaltigen Summen“ am Beispiel der USA zu sprechen, macht wenig Sinn. Denn dort ist u.a. direkte Patientenwerbung erlaubt – verschreibungspflichtige Medikamente dürfen zur besten Sendezeit im Fernsehen präsentiert werden. Hinzu kommt: USA ist einfach ein großes Land mit sehr vielen Einwohnern, vielen Ärzten und Patienten.

Pharma-Marketing ist auch darauf ausgerichtet, Aufklärung zu betreiben. Aufklärungskampagnen schaffen Gesundheitskompetenz. Das ist gut und wichtig, denn wir wissen heute, das nicht aufgeklärte Patienten in der Regel schlechte Patienten sind: Geringe Gesundheitskompetenz schadet der Gesundheit. Klar ist dabei auch, dass Kampagnen von Unternehmen nicht unabhängig sind. Sie deshalb grundsätzlich als unsinnig, irreführend oder per se falsch einzuordnen, ist aber genau das: Unsinnig, irreführend und falsch.

Für den wissenschaftlichen Fortschritt ist Geldverdienen ein wichtiger Motor. Mit den Einnahmen aus den Medikamenten von heute werden die Forschungsbudgets für die Medikamente von morgen ausgestattet. Dazu gehört, für seine Medikamente Marketing betreiben zu können. Auch wenn es hässlich klingen mag: Es ist gut, dass Krankheit u.a. ein Geschäft ist. Denn sonst tritt der Fortschritt auf der Stelle.

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