Der STERN hat schon mal beschlossen, dass Gilead den „Kampf gegen AIDS blockiert“ – bevor das neue Arzneimittel überhaupt zugelassen ist. Ein Kommentar. Foto: ©iStock.com/Natali_Mis
Der STERN hat schon mal beschlossen, dass Gilead den „Kampf gegen AIDS blockiert“ – bevor das neue Arzneimittel überhaupt zugelassen ist. Ein Kommentar. Foto: ©iStock.com/Natali_Mis

STERN-Berichterstattung: Die Mär vom „habgierigsten Pharmakonzern“ der Welt

Wahrscheinlich wird die Welt-AIDS-Konferenz in München als Wendepunkt im Kampf gegen AIDS in die Geschichte eingehen: Ein antivirales Medikament wird zum Hoffnungsträger, weil es in einer Studie mit Frauen in Afrika einen vollständigen Schutz vor der Übertragung mit dem HI-Virus gezeigt hat – ein Novum in der Medizin. Noch bevor das Arzneimittel dafür überhaupt zugelassen ist, hat das Magazin STERN schon mal beschlossen, dass der Entwickler Gilead Sciences den „Kampf gegen AIDS blockiert.“ Ein Kommentar von Florian Martius.
Florian Martius, Chefredakteur Pharma Fakten
Florian Martius, Chefredakteur ©Pharma Fakten

Weltweit erhalten 30,7 Millionen Menschen eine HIV-Therapie – mehr als 17 Millionen davon sind aus dem Gilead-Portfolio. Das ist möglich, weil das Biotech-Unternehmen als einer der Pioniere im Bereich freiwilliger Lizenzen gilt: Das gesamte patentgeschützte Arsenal des Weltmarktführers in der Entwicklung wirksamer HIV-Therapien steht Generika-Herstellern zur Verfügung, um die lebenswichtigen Tabletten in den gewaltigen Mengen, in denen sie gebraucht werden, kostengünstig herzustellen. Das kann man aus unabhängiger Quelle nachlesen: Der „Access to Medicine Index“ erscheint alle 2 Jahre und zeigt auf, was sich bei der Versorgung ärmerer Länder mit Arzneimitteln und Impfstoffen tut. Ganz nebenbei: Es ist eine Menge, was Pharmaunternehmen auf die Beine stellen.

Noch einfacher ist es, den entsprechenden Artikel auf Pharma Fakten aufzurufen; dort steht: „Gilead Sciences stellt für sein gesamtes Portfolio patentgeschützter HIV- und Hepatitis C-Medikamente nicht-exklusive, freiwillige Lizenzen zur Verfügung, die es Firmen ermöglicht, generische Versionen herzustellen. Das Ziel: mehr Angebot bei deutlich niedrigeren Preisen.“ Die US-Firma hat in ihrem Statement vom 24. Juli 2024 erklärt:

  • Der öffentlich diskutierte Preis von Lenacapavir „wird nicht als Referenz“ dienen. Lenacapavir hat zum jetzigen Zeitpunkt keine Zulassung als Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP), sondern lediglich zur Behandlung von den wenigen Menschen mit HIV, bei denen andere Präparate nicht mehr wirken.
  • Gilead wird die gezielte Versorgung mit Lenacapavir für die HIV-Prävention in den Ländern sicherstellen, in denen der Bedarf am größten ist, bis freiwillige Lizenzpartner in der Lage sind, qualitativ hochwertige und kostengünstige Versionen von Lenacapavir zu liefern.
  • Gilead treibt die Studien voran, um für Lenacapavir auch in der Prävention eine Zulassung zu erhalten.

Die Parallelwelt des STERN

Der STERN und seine Parallelwelt
PrEP: Prä-Expositionsprophylaxe. Foto: ©iStock.com/nito100

Alles nur Ankündigungen? „Allein im Jahr 2023 wurden mehr als 20 Millionen HIV- und Hepatitis-B-Behandlungen auf der Grundlage von Gilead-Therapeutika für Menschen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zur Verfügung gestellt“, erklärt Gilead. Das kann man alles nachlesen. Wenn man das will – und nicht ideologisch in Beton gebettet lieber über die Mär vom „gierigsten Pharmakonzern der Welt“ schreiben will.

In der Parallelwelt der Stern-Redaktion hingegen ist man der Meinung, dass die HIV-Community mit ihrer Forderung, den Wirkstoff in ärmeren Ländern über Drittfirmen günstig herstellen zu können, „auf Granit beißen“ wird. Überhaupt sei das ein Konzern, „der Stoff für Verschwörungserzählungen hergibt.“ Ist das eine neue Positionierung des Magazins? Verschwörungsnarrative unter die Leute zu bringen?  

Ohne Patente keine medizinischen Durchbrüche

Der Patentschutz ist für forschende Unternehmen eine Art „Lebenselixier“ – das gilt nicht nur für die Pharmabranche. Denn damit schützen Innovatoren ihre Innovationen, damit sie die Forschungskosten wieder reinspielen, Geld verdienen und Mittel haben, um sie wieder in die Forschung zu investieren. Weil Gilead auch wirtschaftlich erfolgreich ist, ist es überhaupt in der Lage, die 17 Jahre währende Entwicklungszeit von Lenacapavir zu finanzieren. Trotzdem: Im Fall der HIV-Epidemie verzichten Unternehmen wie Gilead auf ihre Patente, damit HIV auch in den ärmeren Regionen eine chronische Erkrankung sein kann. Das passt zwar schlecht zu „Habgier“, ist aber Fakt. Und so bricht die Story vom „habgierigsten Pharmaunternehmen der Welt“ in sich zusammen. Wie will der Redakteur das überhaupt gemessen haben? Oder ging es am Ende nur um die Schlagzeile, die entsprechend hohe Empörungsschwelle, um Auflage und Klicks – und damit letztlich um Geld?

Kann man sich gar nicht vorstellen.

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