Auf einer virtuellen Veranstaltung diskutierten Fachleute bei Pfizer über die Schwächen des Pharmastandortes Deutschland – und die Möglichkeiten  ihn fit für die Zukunft zu machen. Foto: ©Pfizer
Auf einer virtuellen Veranstaltung diskutierten Fachleute bei Pfizer über die Schwächen des Pharmastandortes Deutschland – und die Möglichkeiten ihn fit für die Zukunft zu machen. Foto: ©Pfizer

Pharmastandort Deutschland nach Corona-Pandemie: Mehr Mut, mehr bewegen

Erst BioNTech und Pfizer, womöglich schon demnächst CureVac in Kooperation mit Bayer und GSK: Unternehmen in Deutschland versorgen die Welt mit hochmodernen Corona-Impfstoffen. Man könnte angesichts dieser Tatsache meinen, es stehe bestens um den Pharmastandort Deutschland. Aber ist das wirklich so? Fachleute kamen bei einer virtuellen Veranstaltung von Pfizer zu einer anderen Einschätzung.

Die gute Nachricht zuerst: In Deutschland arbeiten hervorragende Forscher:innen. Prof. Ulrike Köhl, Direktorin des Fraunhofer-Instituts für Zelltherapie und Immunologie in Leipzig, nannte als Beispiel die Forschung zur CAR-T-Zelltherapie. „Hier sind wir eigentlich sehr gut aufgestellt“, erklärte sie und schob sogleich ein dickes „aber“ hinterher: „Aber es tut weh, zu sehen, dass 90 Prozent der Studien dazu in Amerika und Asien laufen – und weniger als fünf Prozent in Deutschland.”

Pharmastandort Deutschland: Rahmenbedingungen müssen sich ändern. Foto: ©iStock.com/Pohdee
Pharmastandort Deutschland: Rahmenbedingungen müssen sich ändern. Foto: ©iStock.com/Pohdee

Doch warum ist das so? Warum läuft Deutschland ernsthaft Gefahr, als Forschungs- und Produktionsstandort für hochwertige Pharmazeutika den Anschluss zu verlieren? Und vor allem: Was muss getan werden, um den „Umbruch eines Pharmastandortes“, so der Titel der Veranstaltung, doch noch zu einer Erfolgsgeschichte zu machen?

Wer in den vergangenen Wochen die Ministerpräsident:innen-Runden zur Corona-Pandemie verfolgt hat, kann gut nachvollziehen, was Ulrike Köhl meint, wenn sie sagt: „Das föderalistische System bringt neben seinen sonstigen Vorteilen im Forschungsbereich viele Hemmnisse mit sich. So müssen wir zum Beispiel für klinische Studien in jedem Bundesland eigene Verträge abschließen.“ Überspitzt gesagt bedeutet das nach Köhls Worten: „In China dauert es drei Wochen, bis eine klinische Studie genehmigt ist, in den USA drei Monate und in Deutschland drei Jahre – das muss sich ändern. Die Rahmenbedingungen müssen sich ändern.“

Pharmastandort? Bürokratie versus Innovation

Das sagt, wohlgemerkt, nicht etwa ein Vertreter der Pharmaindustrie, sondern eine unabhängige Wissenschaftlerin. Wobei auch Dr. Axel Glatz, Leiter des Pfizer-Produktionsstandortes in Freiburg, zu ganz ähnlichen Erkenntnissen kommt: „Deutschland ist ein stark reguliertes Hochkostenland mit langen, bürokratischen Verfahren. Wir können in Freiburg nur deswegen 1,3 Millionen Medikamentenpackungen pro Tag produzieren, weil es an diesem Standort viele Innovationen gibt – die Anlagen laufen computergesteuert, die Transportlogistik ist automatisiert.“ Dennoch konkurriere sein Werk „auch firmenintern um jedes Produkt – es ist nicht gesagt, dass etwas in Freiburg bleibt.“ Überbordende Bürokratie und „zersplitterte nationale Vorgaben“ seien ein Wettbewerbsnachteil, nicht nur für sein Unternehmen, sondern für den gesamten Pharmastandort Deutschland.

Freiburg: Computergesteuerte Anlagen. Foto: ©Pfizer
Freiburg: Computergesteuerte Anlagen. Foto: ©Pfizer

Bürokratie abbauen, Genehmigungs- und Zulassungsprozesse vereinfachen, Wettbewerbsfähigkeit stärken – damit wäre schon viel erreicht für eine Branche, in der die Beschäftigten pro Kopf jedes Jahr 125.000 Euro an Wertschöpfung erwirtschaften. „Das bedeutet Platz 2 im industriellen Gefüge“, sagte Dr. Jasmina Kirchhoff, die beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln die Projektleitung „Pharmastandort Deutschland“ übernommen hat.

Kooperation: Öffentliche Forschung und Pharmaunternehmen

Mit Bürokratieabbau allein ist es allerdings nicht getan. Mindestens ebenso wichtig ist die Vernetzung von Industrie und öffentlicher Forschung. Das Problem dabei, so Kirchhoff:  Die öffentliche Forschung in Kombination mit Pharma-Unternehmen werde von vielen kritisch beäugt. Aber nur durch solche Kooperationen sei es möglich, Grundlagenforschung und angewandte Forschung zu verknüpfen. Kirchhoff weiter: „Nationale Vernetzung ist dabei ein Punkt, internationale Vernetzung ein anderer – die Einbindung in internationale Netzwerke ist essenziell.“ Dies habe sich nicht zuletzt bei der Corona-Pandemie gezeigt, wo die Zusammenarbeit von Forschenden aus der ganzen Welt ein entscheidender Erfolgsfaktor bei der Entwicklung von Impfstoffen gewesen sei.

Ulrike Köhl erklärte als Sprecherin des Fraunhofer-Institutes, „keine Angst“ vor Kooperationen mit Pharmaunternehmen zu haben, „aber an den Universitäten in Deutschland ist die Berührungsangst noch deutlich größer.“ In skandinavischen Ländern und den USA sei das besser. Dort gebe es wesentlich mehr Kooperationen und auch das unternehmerische Denken beim wissenschaftlichen Nachwuchs werde stärker gefördert: „Dort wird schon im Studium viel über Ausgründungen geredet – das ist bei uns nicht der Fall. Man muss es den Studierenden aber rechtzeitig nahebringen.“ Und natürlich müssen Start-Ups auch finanziell gefördert werden. „Es gibt manchmal Finanzierungsmittel“, weiß Jasmina Kirchhoff, „aber kleine Unternehmen haben es schwer, diese Mittel zu finden und zu bekommen – dieser komplizierte Prozess ist abschreckend.“ Grundsätzlich herrsche in Deutschland eine eher risikoscheue Kultur, ganz anders in den USA. „Wir diskutieren lange, andere Länder preschen vor“, so Kirchhoff weiter. Es sei kein Zufall, dass BioNTech in den USA an die Börse gegangen ist und nicht in Deutschland.

Pharmazeutische Innovationen: Geistiges Eigentum schützen

Foto: Pfizer
Foto: Pfizer

Ebenso war es wohl auch kein Zufall, dass BioNTech-Gründer Prof. Dr. Ugur Sahin sich am Tag der Veranstaltung gegen Forderungen zur Wehr setzen musste, auf den Patentschutz für den Impfstoff zur verzichten. Er schlug stattdessen vor, „Lizenzen an ausgewählte Unternehmen“ zu vergeben. Das sehen die Diskussionsteilnehmenden genauso: „Niemand wird Innovationen entwickeln, wenn wir geistiges Eigentum nicht schützen – nur dann kann es hochrangige Forschung geben“, erklärte Ulrike Köhl. Auch Axel Glatz ist überzeugt, dass „ein Aufheben des Patentschutzes die Basis für innovative Arzneimittel zerstören würde“. Und Jasmina Kirchhoff erklärte kurz und bündig: „Eine solche Aufhebung wäre desaströs.“

Zusammengefasst: Um den Pharmastandort Deutschland zu stärken, braucht es:

  • Weniger Bürokratie
  • Mehr Kooperationen zwischen öffentlicher Forschung und forschenden Pharmaunternehmen
  • Bessere Förderung der Wissenschaft und auch des wissenschaftlichen Nachwuchses
  • Klare Rahmenbedingungen für die Arbeit von Forschenden und Pharma-Unternehmen
  • Mehr Mut zum Risiko

Zum Abschluss erinnerte Pfizer Deutschland-Geschäftsführer Peter Albiez daran, dass es in der Corona-Pandemie gelungen ist, innerhalb von zehn Monaten einen Impfstoff zu entwickeln. „Das war bis dahin unvorstellbar“, so Albiez, „und wir sollten daraus das Zutrauen schöpfen, dass wir mehr bewegen können.“

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