Dr. Michael Schormann hält die Verschreibung von Antidepressiva bei schweren Depressionen für unumgänglich. Foto: © Dr. Michael Schormann / privat
Dr. Michael Schormann hält die Verschreibung von Antidepressiva bei schweren Depressionen für unumgänglich. Foto: © Dr. Michael Schormann / privat

Antidepressiva helfen bei schweren Depressionen

Psychopharmaka sind ein wichtiger Bestandteil bei der Behandlung von Depressionen. Kritiker warnen allerdings vor Suizidgedanken und Aggressionen zu Beginn der Einnahme von Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI). Auch der Einsatz von abhängigmachenden Beruhigungsmitteln (Benzodiazepine), um diesen Nebenwirkungen entgegenzutreten, wird kritisch gesehen. Der Psychiater und Psychotherapeut, Dr. Michael Schormann, Chefarzt an der LVR-Klinik Bonn, erklärt, warum man in der Therapie nicht auf Antidepressiva verzichten kann.

Psychopharmaka sind bei schweren Depressionen fester Bestandteil der Therapie. Wie gefährlich schätzen Sie den Einsatz von Antidepressiva ein?

Dr. Michael Schormann: Mir stößt sauer auf, dass gelegentlich die Proportionen verdreht werden. Aus Sicht der Behandler ist Suizidalität ein großes Problem. Es gibt aber Bemühungen schwere Depressionen besser zu erkennen und zu behandeln. Es ist richtig, dass Antidepressiva Unruhe auslösen können und Suizidalgedanken entstehen können. Antidepressiva helfen bei schweren Depressionen. Das ist wissenschaftlich gut belegt. Anders sieht es bei einer leichten Depression aus. Da ist die Vergabe von Antidepressiva diskutabel, denn oft reicht hier schon alleine die Psychotherapie.

Es heißt, dass den schweren Nebenwirkungen bei den Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) mit Beruhigungsmitteln (Benzodiazepine), die abhängig machen, entgegengewirkt wird. Müssen die bisherigen Therapieansätze überdacht werden?

Dr. Schormann: Die SSRI sind eine der Gruppen von Antidepressiva, die häufig eingesetzt werden. Die Frage, ob sie Suizid auslösen können, ist allerdings wissenschaftlich nicht gut belegt. Sie hat mehr Hypothesencharakter. Wenn ein Patient mit schweren Depressionen Antidepressiva bekommt, kann es bis zu zwei Wochen dauern, bis diese wirken. In dieser Zeit entsteht ein hoher Leidensdruck. Benzodiazepine wie Valium kommen dann häufig begleitend zum Einsatz, weil sie beim Patienten die Angst und Anspannung lösen. Das macht die Vergabe sehr nachvollziehbar, auch wenn ein Suchtrisiko vorhanden ist. Wenn man es rechtzeitig absetzt, sobald das Antidepressivum greift, dann stellt sich die Frage nicht. Dieses Problem ist meiner Ansicht nach hochstilisiert. Es kommt in der klinischen Praxis kaum vor.

Die Zahl der Verschreibungen von Antidepressiva soll sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt haben. 90 Prozent aller Rezepte sollen dabei vom Hausarzt ausgestellt werden. Werden Antidepressiva zu leichtfertig verschrieben?

Schormann: Dadurch, dass man heute mehr Depressionen erkennt, werden sie auch häufiger behandelt. Zudem schafft das heutige Leben mit seinen Anforderungen und dem Multitasking mehr Stresssituationen und damit Anreize für Depressionen. Der Hausarzt hat eine wichtige Funktion im Gesundheitssystem. Er sieht die meisten Patienten und kann entscheiden, ob eine Überweisung an einen Facharzt nötig ist. Wenn er nicht da wäre, blieben viele Erkrankungen unerkannt. Dass die Hausärzte  abhängig von den Pharma-Unternehmen sind, wie es oft in kritischen Beiträgen beschrieben wird, diese Gefahr sehe ich nicht. Es hat vielmehr in den letzten Jahren einen totalen Stimmungswandel in dieser Hinsicht gegeben, da es keinerlei Anreize für die Behandler gibt.

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