Kritiker behaupten, dass 95 Prozent der Ärzte Zuwendungen von Pharmaunternehmen annehmen. Gleichzeitig schreibt der Transparenzkodex der Freiwilligen Selbstkontrolle der Arzneimittelindustrie (FSA) vor, dass Pharmaunternehmen Ärzten nicht einmal mehr Kugelschreiber überreichen dürfen. Wie bewerten Sie das Verhältnis zwischen Ärzten und Industrie in puncto Zuwendungen?
Dr. Theodor Windhorst: Zunächst geht es nicht um eine Abschreckung, eher um eine rechtliche Klärung. Das Antikorruptionsgesetz resultiert nämlich aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2012, wonach Kassenärzte keine Amtsträger oder Beauftragte der Kassenärzte sind und somit ein Vorwurf der Bestechlichkeit nicht greifen kann. Die Eingangsfrage intendiert zudem, dass es bei den Ärzten fast nur „schwarze Schafe“ gibt und sich nur fünf Prozent korrekt verhalten. Dem ist natürlich nicht so. Dies vorweg.
Es muss einmal definiert werden, was sich hinter dem Begriff Zuwendungen verbirgt. Fällt darunter, wenn ich mich mit Vertretern der Pharmaindustrie unterhalte, mich über deren wissenschaftliche Methoden informiere? Oder ist hierbei das Steigenberger Hotel gemeint, in das ein Unternehmen möglicherweise eingeladen hat? Bei letzterem denke ich nicht, dass dies 95 Prozent der Ärzteschaft betrifft. Wenn jedoch etwa in einem Bereich wie Anwendungsbeobachtungen Missstände auftreten, dann halte ich es für richtig, dass dies geahndet wird.
Was meinen Sie konkret?
Dr. Windhorst: Es geht nicht an, dass im Rahmen von Anwendungsbeobachtungen moderne Computer entgegengenommen werden, die mit entsprechenden Programmen ausgestattet sind, die Einfluss auf die Verschreibungen nehmen könnten. Und es darf nicht sein, dass um auf eine bestimmte Patientenzahl zu kommen, Indikationen umgestellt werden. Dann befinden wir uns im Bereich der Bestechlichkeit. Bisher hat es hierbei jedoch, und das betone ich, nur einzelne schwarze Schafe gegeben. Dies als „Pars pro toto“ zu nehmen, finde ich übertrieben. Das wichtigste Pfund der Ärzte ist das Vertrauensverhältnis zum Patienten. Solche Einzelfälle haben das bislang grundsätzlich nicht erschüttert. Das zeigen repräsentative Umfragen.
Welche Rolle spielt für Sie der Austausch mit Pharmaunternehmen?
Dr. Windhorst: Grundsätzlich wünsche ich mir einen guten Kontakt zu den Pharmaunternehmen, weil er für den Wissenstransfer unabdingbar ist. Die Arzneimittelhersteller verfügen über Studiendaten, die für uns Mediziner sehr nützlich sind. Gleichzeitig wünsche ich mir eine starke Ärzteschaft, die sich mit Informationen der Industrie auseinandersetzt mit dem Wissen, dass Unternehmen ihre Medikamente verkaufen wollen.
Welche Punkte des Gesetzes sieht die Ärzteschaft kritisch?
Dr. Windhorst: Zunächst ist es zu begrüßen, dass das Antikorruptionsgesetz nicht als „lex specialis“ für Ärzte formuliert wurde. Es ist hingegen zu kritisieren, dass die Strafandrohung lediglich für Heilberufler mit staatlich geregelter Ausbildung sowie für alle diejenigen gilt, die ihnen entsprechende unzulässige Vorteile andienen. Andere Personengruppen, insbesondere Geschäftsinhaber zum Beispiel von Privatkliniken und Pflegeheimen oder bestimmte Entscheidungsträger in Einrichtungen des Gesundheitswesens, die zum
Beispiel über die Hilfsmittelbeschaffung entscheiden, ohne dass es dazu einer ärztlichen Anordnung bedarf, bleiben außen vor.
Zudem: Meiner Auffassung nach hätte man nicht gleich mit einem Vorschlaghammer drohen müssen. Zuvor waren Verstöße gegen ethische Vorschriften auch auf andere Art und Weise regelbar, ohne dass gleich ein Staatsanwalt eingreifen musste. Ich verweise hier auf die Berufsordnung für Ärzte, die in den Paragraphen 30 bis 34 im Hinblick auf die Wahrung der ärztlichen Unabhängigkeit bei der Zusammenarbeit mit Dritten alles regelt und gut funktioniert. Insgesamt besitzt das Gesetz für mich zu viele Unschärfen. Wir müssen jetzt abwarten, wie es ausgelegt wird.
Ist das Antikorruptionsgesetz ein geeignetes Instrument, um für eine bessere Klarheit im Gesundheitswesen zu sorgen und Betrug zu vermeiden?
Dr. Windhorst: Ob es das richtige Werkzeug ist, lässt sich schwer sagen. Die Ärztekammer erwartet bei dem Thema der Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen ein besonnenes Vorgehen der Staatsanwaltschaften, es darf nicht zu einer Anzeigen- und Antragsflut gegen vermeintlich korrupte Ärzte kommen – die Entstehung eines Generalverdachts muss unbedingt vermieden werden und es darf nicht zu Verallgemeinerungen und einer Skandalisierung der wenigen Fälle kommen, in denen Ärzte (leider!) gegen geltendes Recht verstoßen. Betrüger kommen in allen Schichten und Berufen vor. Sanktionierungen gegen Ärzte hat es auch schon zuvor gegeben. Ob das Antikorruptionsgesetz sie abschreckt, bezweifele ich.
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