„Nur sehr wenige der Arzneimittel gegen seltene Krankheiten werden dem vom Gesetzgeber fiktiv unterstellten Zusatznutzen tatsächlich gerecht“, heißt es in einer Pressemitteilung des GKV-SV. In begründeten Einzelfällen fordern die Kassen die vollständige Prüfung des Nutzen- und Schadenspotenzials durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) bei Orphan Drugs. Eine widersprüchliche Forderung. Denn die Auswirkung von Orphan Drugs auf die seltenen Krankheiten kann eben aufgrund ihrer Seltenheit nicht nach den üblichen Maßstäben gemessen werden. „Kein Wunder“, erklärt sodann auch Dr. Norbert Gerbsch, stellvertretender BPI-Hauptgeschäftsführer, in einer Pressemitteilung. „Es stehen viel weniger Patienten zur Verfügung, die in eine klinische Studie eingeschlossen werden können.“
Der GKV-SV stützt sich in seiner Argumentation auf eine Untersuchung der Beschlüsse des G-BA, die den Zusatznutzen neuer Arzneimittel in der Zeit von 2011 bis Mitte Dezember 2015 unter die Lupe nimmt. Für 47 Prozent der Patienten gebe es demnach einen „nicht quantifizierbaren Zusatznutzen“. Nur sechs Prozent haben laut der Untersuchung einen „beträchtlichen“ Zusatznutzen. Trotzdem seien die Preise relativ hoch. Auch diese Sichtweise kann Gerbsch widerlegen: „Wer hier mit der Elle für Volkskrankheiten messen will, ist selbst für die vermeintlich schlechten Bewertungsergebnisse verantwortlich.“ Es fehlte eine Vergleichstherapie, es gebe zu wenig Informationen über die Krankheiten und auch die ethische Vertretbarkeit einer Placebo-Kontrolle sei fraglich. „Wie soll ein Preis für ein Arzneimittel festgelegt werden, wenn nur sehr wenige Patienten behandelt werden?“, fragt der stellvertretende BPI-Hauptgeschäftsführer und ergänzt: „Eine Refinanzierung der Forschungsaufwendungen ist unter normalen Rahmenbedingungen nicht möglich.“
Die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (achse e.V) sieht die Kritik des GKV-SV an den Orphan Drugs nicht als gerechtfertigt an. Andreas Reimann, Achse-Vorsitzender, hatte bei der Veranstaltung „Mythos Orphanisierung?!“ gesagt: „Wir haben 85 zugelassene Substanzen für rund 7.000 Krankheiten – das Problem sind nicht zu viele, es sind zu wenige Arzneimittel.“ Er sieht auch keine Belege für einen Missbrauch des Orphan-Drug-Regelwerkes. Lediglich 2,6 Prozent ihres Arzneimittelbudgets geben die Gesetzlichen Krankenversicherungen laut Reimann für die Orphans aus.