Nicht selten waren Unternehmen mit der Bewertung des Zusatznutzens durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) unzufrieden. Bisher hatten sie die Möglichkeit, bis zu vier Wochen nach dem G-BA-Beschluss zu entscheiden, ob sie eine Opt-out-Option ziehen, also das Arzneimittel vom deutschen Markt nehmen. Durch den Spruch der AMNOG-Schiedsstelle haben sie dazu nun bis 14 Tage nach der ersten Verhandlungsrunde Zeit. Diese Regelung bietet den forschenden Pharmaunternehmen mehr Klarheit über den voraussichtlichen Erstattungsbetrag. Sie gilt auch, wenn es bei einem Medikament in Folge einer weiteren Indikation zu Neuverhandlungen um den Preis kommt.
Zehnmal haben Pharmaunternehmen sich laut Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) bisher zu einem Opt-out entschieden, darunter befinden sich drei Antidiabetika, ein Medikament gegen Hypercholesterinanämie und ein Antiepileptikum.
Besonderheiten bei Therapiegebieten fließen mit ein
Die bisherige sogenannte „Zuschlagslogik“ wird flexibler gestaltet. Bei der Ermittlung des Erstattungsbetrags für Arzneimittel mit einem attestierten Zusatznutzen sollen nun auch die Besonderheiten des jeweiligen Therapiegebietes mehr beachtet werden. Dazu zählt zum Beispiel ein Therapiegebiet, in dem es seit Jahrzehnten keine therapeutische Innovation gegeben hat und die generische zweckmäßige Vergleichstherapie somit entsprechend niedrig im Preis ist.
Die Schiedsstelle befasst sich künftig weiterhin auch mit der Gewichtung von Abgabepreisen in anderen europäischen Ländern. Hier werden die Verhandlungsmöglichkeiten ausgedehnt. Bisher wurde nach Kaufkraftparität und Umsatz gewichtet. Eine zusätzliche Gewichtung nach Einwohnerzahl wäre eine zusätzliche Option in großen Ländern, wenn das Produkt erst seit Kurzem auf dem Markt ist und die Umsätze daher noch entsprechend niedrig.
Klarstellung zur Wirtschaftlichkeit fehlt weiter
Die pharmazeutischen Unternehmen hatten sich dafür stark gemacht, dass die Verordnung eines Medikaments in den Arztpraxen zum Erstattungsbetrag generell als wirtschaftlich angesehen wird. Grund sind die Ängste der Ärzte vor Regressen und die Tatsache, dass Innovationen nicht schnell genug beim Patienten ankommen. Die AMNOG-Schiedsstelle lehnt eine Klarstellung zur Wirtschaftlichkeit jedoch mit Verweis auf den Gesetzgeber ab.
Nicht immer waren die Pharmaunternehmen in der Vergangenheit mit den Schiedssprüchen des Gremiums zufrieden. Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) sieht in dem Schiedsspruch „eine moderate Weiterentwicklung der Rahmenvereinbarung ohne Rückschritte“ und lobte den geschaffenen Interessenausgleich. „Die Schiedsstelle hat an einigen Stellen Veränderungen bei der Rahmenvereinbarung vorgenommen, die das Potenzial besitzen, den gesetzlichen Zweck des AMNOG zukünftig besser umzusetzen als bisher“, so der vfa.
Industrie wünscht sich gesetzliche Nachjustierungen
„Erfreulich ist, dass der mit Spannung erwartete Schiedsspruch an keiner Stelle zu einer Verschlechterung der Industrieposition geführt hat”, sagt Dr. Andreas Heigl, Senior Manager Government & Industry Affairs bei GSK. Bei so wichtigen Themen wie die regelhafte Anerkennung von AMNOG-Wirkstoffen mit Zusatznutzen als Praxisbesonderheit oder die Wirtschaftlichkeit von Erstattungsbeträgen sei jedoch auf die Regelungskompetenz des Gesetzgebers verwiesen worden. „Hier wünschen wir uns nun natürlich gesetzliche Nachjustierungen, die den Zugang der Patienten zu Innovationen nicht unnötig erschweren und die Forschungsleistung der Industrie honorieren“, so Heigl.
Die Verhandlungen der Hersteller mit dem GKV-Spitzenverband über einen Rahmenvertrag liefen seit Oktober 2015. Die Schiedsstelle wurde eingeschaltet, da es bei etlichen Punkten zu keiner Einigung gekommen war. Die Neuerungen sind seit dem 1. Juli in Kraft.