Da kann man lange suchen: Ein konkretes Einsparziel findet sich im gesamten Gesetzestext nirgends. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit dem „Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarkts“ (AMNOG) drei inhaltliche Ziele definiert:
1) Patienten sollen im Krankheitsfall mit den besten und wirksamsten Arzneimitteln versorgt werden, die aktuell verfügbar sind.
2) Dies soll möglichst wirtschaftlich und kosteneffizient geschehen.
3) Das AMNOG soll verlässliche Rahmenbedingungen für Innovationen und die Versorgung der Patienten schaffen.
Wer danach sucht, findet im Text eine prognostische Aussage, was die Maßnahmen pro Jahr bringen könnten: „Bei vollständiger Umsetzung des Vertragsmodells ergibt sich eine Entlastung von zwei Milliarden Euro für die GKV“. Das ist die „Zwei-Milliarden-Prognose“ des AMNOG – ein „Zwei-Milliarden-Einsparziel“ gibt es nicht. Und die Schlüsselpassage im Text lautet: „bei vollständiger Umsetzung“. Vollständige Umsetzung aber heißt, dass der gesamte patentgeschützte Markt durch das AMNOG gelaufen ist. Dies wird wegen der Patentlaufzeiten der auf dem Markt befindlichen Arzneimittel noch ein paar Jahre dauern.
Wegfall des Bestandsmarkts wurde überkompensiert
Die Aussage, dass das AMNOG seine Einsparziele nicht erreicht, ist aus mehreren Gründen falsch. Denn erstens hatte das Gesetz nie ein Einsparziel, zweitens ist es noch längst nicht vollständig umgesetzt. Drittens schließlich hat die Politik einen Teil der Prognose selbst kassiert, indem sie sich von dem Plan verabschiedet hat, den Bestandsmarkt mit einzubeziehen.
Allerdings wird gern unter den Tisch gekehrt, dass dieser staatliche Verzicht nicht ohne ausdrückliche „Kompensationen“ seitens der Arzneimittelhersteller von statten ging: Der Herstellerrabatt wurde genau aus diesem Grund von sechs auf sieben Prozent erhöht, was seit 2014 Jahr für Jahr Einsparungen von rund 100 Millionen Euro einspielt – zu Lasten der pharmazeutischen Unternehmen. Auch wurde das Preismoratorium gleich bis 2017 mitverlängert (und nun im AM-VSG bis 2022 fortgeschrieben). Die eingefrorenen Preise bringen zusätzliche Einsparungen von weiteren 600 Millionen Euro pro Jahr – mit steigender Tendenz (siehe Grafik). Bei genauer Betrachtung gilt also: Der Wegfall geplanter Einsparungen, den die Kassenseite immer mal wieder beklagt, wurde durch den Bestandsmarkt und durch die regulatorischen Eingriffe übererfüllt.
Für das Jahr 2015 ergibt sich somit folgendes Gesamtbild: Laut Arzneiverordnungsreport (AVR) haben die Preisverhandlungen nach früher Nutzenbewertung für die GKV rund 800 Millionen an Einsparungen erbracht. Zählt man die 700 Millionen durch die Kompensationsmaßnahmen wegen des Bestandsmarkts hinzu, ergeben sich schon für das Jahr 2015 Einsparungen zu Lasten der Industrie von 1,5 Milliarden Euro. Rechnet man dies für das Jahr 2016 hoch, wie das das Berliner IGES-Institut kürzlich getan hat, dürfte die Zwei-Milliarden-Euro-Prognose bereits in diesem Jahr „geknackt“ werden – lange vor „vollständiger Umsetzung des Vertragsmodells“.
Und das ist noch nicht alles: Weitere AMNOG-bedingte Einsparungen für die Krankenkassen ergeben sich durch das, was Gesundheitsökonomen wie Prof. Dieter Cassel eine „Verordnungshürde des Gesetzes“ nennen. Die entsteht, weil Produkte in Deutschland entweder gar nicht erst auf den Markt kommen oder im Laufe der AMNOG-Verhandlungen wieder vom Markt genommen werden.
Dieser „vorauseilende Verzicht“ hat nach Berechnungen des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI) seit Einführung des AMNOG stark zugenommen. Er schätzt die Einsparungen, die sich für die Kassen aus Nicht-Markteintritten und Markt-Rückzügen für 2015 ergeben haben, auf über 1,3 Milliarden Euro. Damit türmt sich das AMNOG-bedingte Einsparvolumen für die GKV für 2015 auf rund drei Milliarden Euro auf.
Gar nicht zu beziffern sind Minderausgaben der Kassen durch die Unterversorgung der Patienten. Denn auch das ist eine indirekte Folge des AMNOG: Wie der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) festgestellt hat, schafft das Gesetz Versorgungsdefizite. Selbst dort, wo ein Zusatznutzen anerkannt wurde, liegt die Versorgungsquote der Patienten mit innovativen Produkten in manchen Fällen unter zehn Prozent.
Woran das liegt, will niemand so richtig laut sagen. Die einen vermuten, dass die Tendenz zur Unterteilung der Patienten in Sub-Gruppen mit verschiedenen Empfehlungen die Ärzteschaft verunsichert hat, weil sie Regressforderungen befürchten. Die Gesundheitsökonomen Prof. Dieter Cassel und Prof. Volker Ulrich vermuten, dass die Krankenkassen schlicht Druck auf die Ärzte ausüben, günstigere Präparate zu verschreiben.
Die Einsparvolumina, die das Reformgesetz in seinem sechsten Jahr aus Sicht der Krankenkassen generiert, zeigen nur einen Teil des Gesamtbilds. Sie taugen deshalb nicht als Argumentationsbasis für eine Verschärfung des Gesetzes. Wem außer den Kassen diese Einsparungen etwas bringen, ist eine andere Frage. Denn Arzneimittel-Innovationen, die in Deutschland nur verhalten verschrieben oder gar nicht verfügbar gemacht werden, sind letztlich Einsparungen, von denen die Patienten gar nichts haben – im Gegenteil. Und genau das geht am vorrangigen Ziel des AMNOG haarscharf vorbei.