Bernd Schorlemmer ist Chemieingenieur und Leiter der Stabilitätslogistik bei Sanofi. Mit seinem Team lagert er Medikamente in klimatisch extremen Bedingungen: Von Grönland bis Wüste Gobi ist alles dabei. Extreme Luftfeuchtigkeit, hohe oder niedrige Temperaturen, von minus 80 bis plus 60 Grad Celsius – in Klimakammern kann er verschiedene Regionen zu sich nach Frankfurt holen. Bei Schorlemmer passt die Wüste Gobi in einen kleinen Schrank.
Stabilitätsnachweise sind Voraussetzung dafür, dass Pharmaunternehmen Arzneimittel exportieren dürfen. Schorlemmer und sein Team arbeiten aber vor allem auch im Sinne der Patientensicherheit: Denn die Untersuchungen beantworten auch bereits in der Entwicklungsphase Fragen nach der Haltbarkeit von Medikamenten und unter welchen Bedingungen sie gelagert werden müssen, damit der Wirkstoff stabil bleibt und kein unerwünschtes Abbauprodukt entsteht.
Herr Schorlemmer, Ihre Aufgabe ist es, Medikamente Klimastress auszusetzen. Warum tun Sie das?
Bernd Schorlemmer: Zum einen, in der Entwicklungsphase, um festzulegen, wie lange ein Medikament bei welcher Temperatur und Luftfeuchtigkeit haltbar ist. Zum anderen muss die Qualität der produzierten Medikamente und damit auch des Herstellprozesses dokumentiert werden.
Wie messen Sie, ob ein Medikament den Stresstest überlebt hat?
Schorlemmer: Wir stellen den Laboren zur Analyse Muster zur Verfügung, die bei den verschiedensten Klimabedingungen gelagert wurden. Die Muster werden auch Bedingungen ausgesetzt, bei denen die Wirkstoffe nicht mehr stabil sind und sich zersetzen. Dies wird dann in der Analytik festgestellt und dabei der Umfang der Zersetzung bestimmt. Umgekehrt müssen die Medikamente bei den auf der Packung aufgedruckten Bedingungen bis zum Ende der Haltbarkeit stabil sein, ohne sich zu zersetzen. Das ist auch der Grund, warum man Medikamente, die zu warm gelagert wurden oder deren Haltbarkeitsdatum überschritten wurde, auf keinen Fall mehr verwenden sollte. Niemand kann gewährleisten, dass diese Medikamente noch in vollem Umfang wirken oder dass keine möglicherweise gesundheitsschädlichen Zersetzungsprodukte entstanden sind.
Stabilitätsnachweise sind Voraussetzung für die Zulassung von Medikamenten. Wie lange laufen Ihre Untersuchungen?
Schorlemmer: Es dauert einige Jahre, bis ein Medikament entwickelt ist. In dieser Zeit entstehen Zubereitungen, die den Wirkstoff in möglichst warmer Umgebung, möglichst lange stabil halten sollen. Stehen die maximale Lagerdauer und Lagerbedingung fest, wird die Zulassung bei den Behörden beantragt. Nach der Marktzulassung müssen die Hersteller die Medikamente jedes Jahr aufs Neue über ihre gesamte Lebensdauer prüfen. Ist ein Medikament also z.B. fünf Jahre haltbar, werden jedes Jahr mit einigen Chargen Studien über diese Laufzeit gestartet, um am Ende zu zeigen, dass das Medikament dann immer noch OK ist. Diese Daten müssen die Stabilitätsgruppen über die gesamte Lebensdauer eines Medikamentes liefern, bis der Verkauf eingestellt wird.
Wie muss ich mir einen, sagen wir mal, typischen Tagesablauf für Sie und Ihr Team vorstellen?
Schorlemmer: Zuerst checken wir in unserem System, welche Proben an die Labore abgegeben werden müssen. Die holen wir dann aus den Lagereinrichtungen, teilen sie für die verschiedenen Labore auf und geben sie an diese für die Analysen ab. Danach übernehmen wir von unseren Auftraggebern neue Studien, überprüfen sie und lagern sie in die geforderten Lagereinrichtungen ein.
Neben der Routine gibt es auch besondere Tests, Sonderbelastungen, bei denen starkes Sonnenlicht oder starke Temperaturschwankungen bei Transportvorgängen simuliert werden. Auch solche Extremsituationen werden nachgestellt, um mit den anschließenden Laboruntersuchungen zu belegen, dass die Qualität der Medikamente dadurch nicht beeinträchtigt wird. Zudem müssen wir permanent die korrekte Funktion der Lagereinrichtungen sicherstellen und die gleichmäßige Klimaverteilung regelmäßig belegen. Dazu gehören auch Dinge wie die technische Wartung, Kalibrierung, Reinigung und wenn nötig auch Erneuerung der Lagereinrichtungen. Alle Arbeitsschritte sind mit einer ausführlichen Dokumentation verbunden, um den Behörden jederzeit Belege für einen spezifikationsgemäßen Betrieb liefern zu können.