Mediziner und Pharmaforscher leben in außerordentlich spannenden Zeiten: Denn das, was sich in den vergangenen Jahren in der Forschung tut – und das gilt gerade für den Bereich der Krebserkrankungen – hätten sich die Wenigsten bis vor gar nicht allzu langer Zeit vorstellen können. Das jüngste Beispiel: Im vergangenen Jahr wurden erstmals zwei Präparate aus dem Bereich der so genannten CAR-T-Technologie zugelassen. CAR-T ist gleichzeitig Gen-, Zell- und Immuntherapie. CAR-T ist vor allem ein neues Kapitel im Kampf gegen Krebs.
Mit einem Medikament, wie wir es sonst kennen, hat es wenig zu tun. Bei CAR-T wird Patienten mit seltenen Formen von Blutkrebs Blut entnommen; anschließend werden ihre T-Zellen in einem aufwändigen Verfahren in den Laboren der Pharmaunternehmen umprogrammiert. Zurück im Patienten leisten sie gründliche Aufräumarbeiten, denn sie sind nun in der Lage, Krebszellen zu identifizieren und zu bekämpfen, die ihnen vorher entgangen waren. Eine Sprunginnovation: Hier wurde im Kampf gegen Krebs ein neues Kapitel aufgeschlagen. Denn bei denjenigen, die für eine Therapie mit CAR-T in Frage kommen, waren vorher alle Behandlungsversuche fehlgeschlagen – ihre Überlebenszeit lag statistisch bei nur wenigen Wochen. Mit CAR-T hat sich das Blatt gewendet – viele Patienten leben auch drei Jahre nach Therapiebeginn noch. Die Ansprechraten der neuen Therapie haben selbst Experten überrascht. Allerdings gilt auch hier: Der Ansatz funktioniert nicht bei allen Patienten.
Neue Therapiemöglichkeiten, die Geld kosten
Was den Forscher und Mediziner begeistert, treibt einem Vertreter einer Krankenkasse manchmal die Sorgenfalten auf die Stirn. Denn die neuen Therapien kosten sechsstellige Summen – bei CAR-T geht es um Beträge jenseits der 300.000 Euro für die Einmal-Behandlung.
Diese Sorgenfalten ziehen sich wie ein roter Faden durch die fünfte Ausgabe des AMNOG-Reports, den die DAK Gesundheit auf dem HSK 2019 präsentierte. Ihr Chef Andreas Storm stellte dort die Frage: „Wie gehen wir damit um, dass sich mit den neuen Therapien in der Behandlung von krebskranken Menschen enorme Chancen eröffnen?“ Seit einiger Zeit wird deshalb über so genannte Pay-for-Performance-Modelle diskutiert. Grob gesagt geht es darum, dass das System der Gesetzlichen Krankenkassen eine Behandlung nur dann bezahlen soll, wenn das Medikament auch wirkt. Das klingt einfach und nachvollziehbar und war auch von pharmazeutischen Unternehmern selbst ins Gespräch gebracht worden. Allerdings ist die Definition des Erfolges einer Therapie nur auf dem Papier einfach. Storm hofft, dass von seinem AMNOG-Report die Impulse ausgehen, um solche Vertragsmodelle weiterzuentwickeln.
Schwerpunkt der Pharmaforschung: die Onkologie
Seit dem Jahr 2011 gibt es in Deutschland die frühe Nutzenbewertung (AMNOG-Verfahren). Sie fragt nach dem (Zusatz-)Nutzen einer Arzneimittelinnovation im Vergleich zu bestehenden Therapien und ist Grundlage für Preisverhandlungen mit dem jeweiligen Pharmaunternehmen. Bis Ende 2018 wurden seither 224 Wirkstoffe in 349 Verfahren bewertet, wie Prof. Wolfgang Greiner, einer der Mitautoren des Reports, ausführte. Dabei zeigt sich, dass die Onkologie weiterhin Schwerpunkt der Forschungsaktivitäten der Pharmaindustrie ist (s. Grafik): Rund ein Drittel aller Wirkstoffe setzen bei einer Krebserkrankung an – und 75 Prozent von ihnen werden auch positiv bewertet. Gleichzeitig beklagt Greiner allerdings auch, dass der Anteil an Wirkstoffen, die mit Jahrestherapiekosten von mehr als 100.000 Euro zu Buche schlagen, stetig zunimmt.
Kritik der Pharmaverbände
Die Arzneimittelausgaben, findet der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen, sollten nüchtern diskutiert werden. Markus Frick, vfa-Geschäftsführer für Markt- und Erstattungsthemen, sagt: „Fakt ist jedenfalls, dass der Anteil der Arzneimittel-Ausgaben an den Gesamtausgaben der Krankenkassen seit Jahren stabil bei 16 Prozent liegt. Und das, obwohl forschende Pharma-Unternehmen den Patienten immer bessere und passgenauere Arzneimittel zur Verfügung stellen. Etwa in der Therapie von Krebserkrankungen, Infektionskrankheiten und auch bei seltenen Erkrankungen: Das System der Arzneimittel-Ausgaben bleibt also trotz großem medizinischen Fortschritt unter dem Strich finanziell stabil.“
Auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie kritisiert den einseitigen Kostenfokus. Die Versichertenkassen seien gut gefüllt und die Arzneimittelausgaben der GKV stiegen nur moderat. Der BPI macht darauf aufmerksam, dass sich die Kassenersparnisse aus Rabattverträgen allein in 2018 auf über vier Milliarden Euro summierten – zusätzlich zu den fast 2,3 Mrd. Euro durch Preisverhandlungen im AMNOG-Verfahren. Innovationen gebe es nicht zu Generikapreisen, so BPI-Vorstandsvorsitzender Martin Zentgraf: „Mit den Erträgen der Produkte von heute muss […] die Forschung von morgen finanziert werden.“