Antibiotikum fertig entwickelt, Zulassung in der Tasche, Verkauf angelaufen, Firma pleite. So lässt sich in dürren Worten das Schicksal des Biotech-Unternehmens Achaogen beschreiben.
Dabei hatten sie dort in Kalifornien eigentlich alles richtig gemacht. Achaogen hatte sich der „Entdeckung, Entwicklung und Vermarktung innovativer Therapien verschrieben, die den steigenden, ungedeckten Bedarf von multiresistenten gram-negativen bakteriellen Infektionen adressieren“, wie es in der Mission des Biotechs heißt. An Bedarf herrscht wahrlich kein Mangel. Für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind Antibiotika-Resistenzen schlicht eine der größten gesundheitlichen Herausforderungen unserer Zeit. Bis zu zehn Millionen Menschen könnten im Jahr 2050 weltweit durch Arzneimittelresistenzen getötet werden, wenn nicht eine entscheidende Wende gelingt. Darauf macht die WHO weltweit mit der „World Antibiotics Awareness Week“ (18. bis 24. November) aufmerksam.
Plazomicin: Ein Mittel gegen „nightmare bacteria“
Doch zurück zu Achaogen: Im Sommer 2018 gab die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA grünes Licht für das erste Medikament des Unternehmens: Der Wirkstoff Plazomicin ist in den USA für die Behandlung komplizierter Harnwegsentzündungen einschließlich Pyelonephritis (Nierenbeckenentzündung) zugelassen. Es ist nicht irgendein Antibiotikum. Bestimmte Formen aus der Familie der Enterobacteriaceae spielen bei diesen Infektionen eine Rolle. Die US-Seuchenschutzbehörde CDC nennt sie „nightmare bacteria“. Sie sind ein Alptraum, weil es für bestimmte Familienmitglieder von Enterobacteriaceae keine wirksamen Antiinfektiva mehr gibt.
Ein Jahr später gibt das Unternehmen bekannt, dass es sein Firmenvermögen verkauft hat – inkl. der weltweiten Vermarktungsrechte für Plazomicin. Hohe Kosten für Entwicklung, Herstellung und Vermarktung, zumindest ein weiterer vielversprechender Kandidat in der Pipeline, dessen Entwicklung weiter Geld verschlungen hätte und das bei gleichzeitig überschaubaren Verkaufserlösen – das ist gerade für kleinere Unternehmen das Rezept für einen frühen Tod. Das klassische Geschäftsmodell versagt: Zwar werden dringend neue Antibiotika gebraucht, die Gesundheitssysteme tun aber zu Recht gerade alles, um den Gebrauch dieser Medikamente einzuschränken und neue Therapien als Reserve zurückzuhalten, damit sie nicht ihre Wirksamkeit verlieren.
Damit ist Achaogen zum Posterboy eines Geschäftsmodells geworden, das nicht funktioniert: Und das trotz der Tatsache, dass die Entwicklung von Plazomicin mit öffentlichen Fördergeldern massiv unterstützt worden war.
Antibiotika-Resistenzen: In Großbritannien testen sie ein neues Bezahlmodell
In Großbritannien will man es deshalb mit einem neuen Bezahlmodell probieren. Ausgelegt als ein Pilotprojekt hat der britische Gesundheitsminister im Juli 2019 angekündigt, ein Subskriptions-ähnliches Bezahlmodell („‘subscription’ style payment model“) ausprobieren zu wollen. Demnach sollen forschende Pharmaunternehmen im Voraus und nach dem Nutzen bezahlt werden, den das neue Antibiotikum für das staatliche Gesundheitssystem NHS erwarten lässt. Dies werde es für die Unternehmen attraktiver machen, die rund eine Milliarde Pfund für die Entwicklung eines neuen Medikaments zu investieren, weil sie auch bezahlt werden, wenn es nach Zulassung nicht großflächig in den Verkauf geht, sondern als Reserveantibiotikum gelagert wird, heißt es in der Pressemitteilung: „Aktuell werden Unternehmen nach der Menge von Antibiotika bezahlt, die sie verkaufen. Gleichzeit versucht das NHS ihren Gebrauch zu reduzieren, um antimikrobielle Resistenzen zu vermeiden.“ Knapper kann man das Antibiotika-Dilemma kaum beschreiben.
Die britische Pharmaindustrie begrüßt den Vorschlag: Phil Thomson, President Public Affairs bei GlaxoSmithKline, glaubt sogar, dass das neue Bezahlmodell „Game-Changing-Potenzial“ hat. Der Verband der britischen Pharmaunternehmen ABPI sekundiert: Dort hofft man, dass das Pilotprojekt „uns näher dahin bringt, die Probleme zu lösen, die Investitionen in die Forschung von Antibiotika so lange behindert haben.“ Die Unternehmen sind nun aufgefordert, erste Wirkstoffe zu benennen, die für den Piloten in Frage kommen.
Klar ist aber auch:
Das Modell wird nur funktionieren, wenn andere Länder mitmachen, wie die parlamentarische Staatssekretärin im britischen Gesundheitsministerium, Nicola Blackwood, erklärt: „Das Projekt ist ein wichtiger Schritt, aber es wird das globale Marktversagen nur adressieren, wenn andere Länder dasselbe tun.“
Neue Antibiotika? Nur ein Teil der Lösung
Und: Neue Antibiotika sind nur ein Teil der Lösung. Die cleversten Bezahlmodelle werden nicht das Problem lösen, dass sich die Forschung gegenüber den Bakterien in einem sehr schnellen Wettrennen befindet, bei dem erstere gerade ins Hintertreffen zu geraten droht. Weil jeder Einsatz dieser Arzneimittel zu Resistenzbildungen führen kann, muss ihr Gebrauch weiter eingeschränkt werden. Dabei hilft mehr Aufklärung über den richtigen Einsatz von Antibiotika; dabei helfen aber auch höhere Impfraten, weil sie Infektionskrankheiten und deren Folgebehandlungen vermeiden können.
Antibiotika-Resistenzen sind ein globales Problem; sie brauchen einen holistischen Ansatz. Aber ihre Vermeidung beginnt bei jedem Arztbesuch, in jedem landwirtschaftlichen Betrieb:
Der Gebrauch dieser Arzneimittel, ohne die eine moderne Medizin nicht möglich ist, muss auf das medizinisch Notwendige eingeschränkt werden. Nur dann haben die Forscher eine Chance, das Rennen gegen die Bakterien zu gewinnen.