Im Grunde ist es eine merkwürdige Praxis: Weil ein und dasselbe Medikament in einem Land Europas mehr kosten kann als in einem anderen, ist in der Europäischen Union ein schwunghafter, milliardenschwerer Handel mit Arzneimitteln entstanden. Unternehmen kaufen ein in der EU zugelassenes Mittel auf und verkaufen es nach behördlicher Genehmigung in dem Land, wo der Preis höher ist; sie bringen es „parallel“ zu dem Original auf den Markt – daher der Begriff Parallelhandel. Durch das Preisgefälle können sie es günstiger anbieten. Der Staat fördert dieses System ausdrücklich; die Importförderklausel verpflichtet Apotheken dazu, zu einem gewissen Anteil aus dem Ausland importierte Ware zu verkaufen.
Damit lässt sich erstens Geld verdienen (auf Seiten der Importhändler) und zweitens Geld sparen (auf Seiten der Krankenkassen): So kommt es, dass das sensible Gut Arzneimittel viele Millionen Kilometer auf europäischen Straßen verbringt. Das System ist schon lange umstritten – nicht nur, weil der bürokratische Aufwand hoch ist und die Einsparungen unterm Strich niemanden umhauen. Schwerer dürfte wiegen, dass dadurch Arzneimittel, die für die Versorgung von Menschen in bestimmten Ländern vorgesehen sind, von dort aufgrund von Preisunterschieden in Länder abfließen, wo es mehr Geld dafür gibt.
Der Parallelhandel im politischen Geschacher
Der Parallelhandel wird deshalb auch mit Versorgungsproblemen in Verbindung gebracht. Der Chor derer, die die Importförderklausel abschaffen wollen, ist in den vergangenen Jahren immer hörbarer geworden. Zuletzt sollte sie im vergangenen Jahr Geschichte werden, doch im politischen Geschacher landete sie dann doch wieder im Gesetz. Dort heißt es nun (§ 129 Abs. 1 SGB V): „Von der Verpflichtung zur Abgabe preisgünstiger importierter Arzneimittel ausgenommen werden biotechnologisch hergestellte Arzneimittel sowie zusätzlich antineoplastische Arzneimittel zur parenteralen Anwendung wegen ihrer besonderen Anforderungen insbesondere an die Lagerung und den Transport. Die Qualität und Wirksamkeit dieser Arzneimittel wird aufgrund höherer Transportrisiken bei langen Lieferwegen als gefährdet angesehen.“
Biopharmazeutika sind Arzneimittel und Impfstoffe, die mithilfe der Biotechnologie und gentechnisch veränderten Organismen in einem sehr aufwändigen Prozess hergestellt werden. Für viele Patienten mit komplexen Erkrankungen, wie z.B. Rheuma stehen sie schlicht für medizinischen Fortschritt. Aber sie sind auch so etwas wie die Mimosen unter den Arzneimitteln: Sie reagieren sehr empfindlich auf Umwelteinflüsse aller Art und sind in der Regel kühlpflichtig. Ob eine Lieferung von Biopharmaka bei ausgefallener Kühlanlage ein langes Sommerwochenende auf einer Autobahnraststätte verbracht hat, ist dem Produkt in der Regel nicht anzusehen.
Für Dr. Andreas Heigl, der beim deutschen Ableger des forschenden Pharmaunternehmens Servier die Gesundheitspolitik leitet, ist das zumindest ein Hinweis darauf, dass dem Gesetzgeber das gesamte System des Parallelhandels selbst nicht ganz geheuer ist. Allerdings scheint man bereit zu sein, das Risiko bei weniger empfindlichen Medikamenten (z.B. Tabletten) zu tragen. Nur: Heigls Analyse zeigt, dass gerade passiert, was nicht sein soll: Der Anteil der durch Europa geschipperten biologischen Arzneimittel steigt.
Vom Willen des Gesetzgebers unbeeindruckt: Die Importquoten steigen
„Der Teufel steckt in der Umsetzung“, sagt Heigl. Denn abgewickelt wird die Importförderklausel über einen Rahmenvertrag, den der Spitzenverband der Krankenkassen und der Deutsche Apothekerverband ausgehandelt haben. „Dort wurde die für lange Zeit gültige Importquote für Apotheker von fünf Prozent abgelöst durch ein Einsparziel von zwei Prozent bezogen auf den importrelevanten Markt“, so Heigl. „Dieses Einsparziel lässt sich aber nur erreichen, wenn vergleichsweise hochpreisige Importarzneimittel wie Biologika überproportional abgegeben werden.“ Er hat sich deshalb die Entwicklung der Importquoten für Biologika angeschaut, und zwar sowohl für die Originale als auch für die Biosimilars. Das sind die Nachahmerpräparate von aus dem Patent gelaufenen biopharmazeutischen Arzneimitteln.
„Die Importquote bei den Originalen ist seit Beginn des vergangenen Jahres weitgehend stabil. Hier macht der Anteil an importierten Biologika rund 4,5 Prozent aus – und zwar völlig unabhängig von der Regelung im GSAV.“ Aus Sicht Heigls ist dies an sich schon beachtlich – schließlich entspricht es nicht der Absicht des Gesetzes. „Auffallend ist aber, dass gerade seit Anfang 2020 die Importquoten für Biosimilars kontinuierlich ansteigen: Lag ihr Anteil im ersten Quartal 2019 bei rund vier Prozent, steuern sie in diesem Jahr auf einen Anteil von rund sechs Prozent zu.“ Soll heißen: Von einhundert abgegebenen Biosimilar-Packungen sind sechs über die Grenzen gekommen – Tendenz steigend. „Die in der Begründung zum Gesetz artikulierten Sicherheitsbedenken scheinen in der praktischen Umsetzung zu verpuffen“, sagt der Volkswirt.
Der Gesetzgeber muss nachjustieren
Heigl glaubt, dass der Rahmenvertrag nachjustiert werden muss, will der Gesetzgeber sein Ziel erreichen. Er vermutet, dass der dort zu findende Hinweis zum allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebot, nach dem alle Importarzneimittel per se als kostengünstig definiert sind, die Motivation zur vermehrten Abgabe importierter Biologika erhöht. Aus seiner Sicht muss aber auch der Gesetzgeber selbst noch einmal ran: So könnten z.B. in der Frage der Austauschbarkeit von biopharmazeutischem Original zu einem Biosimilar, über die der Arzt und ab 2022 auch der Apotheker entscheiden kann, Importe ausgeschlossen werden. Wirksam fände er auch eine Aufklärungspflicht gegenüber den Patienten:
„Wenn man der Meinung ist, dass man Importe biologischer Arzneimittel aufgrund von Sicherheitsbedenken nicht will, sie aber trotzdem stattfinden: Sollten die betroffenen Patienten das dann nicht wissen?“