
Die Zahlen sind nichts für schwache Nerven: Allein die Adipositas-Raten unter Kindern und Jugendlichen haben sich von 1990 bis 2022 um den Faktor 4 erhöht; die der Erwachsenen verdoppelt. Das geht aus einer Studie hervor, die im medizinischen Fachblatt The Lancet veröffentlicht wurde und für die die Daten von 220 Millionen Menschen aus 190 Ländern ausgewertet wurden. Weltweit sind demnach 159 Millionen Kinder und Jugendliche sowie 879 Millionen Erwachsene betroffen. „Dieser Trend, zusammen mit der abnehmenden Prävalenz von Unterernährung seit 1990, macht die Adipositas in den meisten Ländern zur häufigsten Form von Fehlernährung“, heißt es beim Lancet.
In Deutschland ist die Situation nicht besser: Laut Statista gelten 52,7 Prozent als übergewichtig. Von den Frauen gilt jede 8. (12,5 Prozent) als stark übergewichtig, bei den Männern ist es jeder 10. (9,5 Prozent). Das Robert Koch-Institut schreibt: „Adipositas ist ein Risikofaktor für viele Folgeerkrankungen wie Typ 2 Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einzelne Krebserkrankungen, Muskel- und Gelenkerkrankungen und geht mit einem höheren Risiko, frühzeitig zu sterben, einher.“ Dabei nimmt das Risiko für weitere Erkrankungen mit zunehmendem Schweregrad der Adipositas zu. „Adipositas und die Folgekrankheiten sind national wie international ein bedeutendes Public Health-Problem und eine große Herausforderung für das Gesundheitssystem: Die OECD-Länder geben ca. 8,4 Prozent ihrer Gesundheitsausgaben für die Behandlung von Erkrankungen, die in Zusammenhang mit Adipositas stehen, aus.“
Definiert wird Übergewicht über den Körpermasseindex (BMI, Quotient aus Gewicht und Körpergröße zum Quadrat (kg/m²)). Als „normal“ gilt ein BMI von 18,5 bis 24,9, übergewichtig ist man ab einem BMI von 25. Außerdem wird unterschieden zwischen Präadipositas (BMI von 25 bis 29,9) sowie verschiedenen Graden von Adipositas (ab einem BMI von 30).
Adipositas ist eine Epidemie

„Adipositas ist eine vielschichtige Erkrankung, die nicht allein auf eine ungesunde Ernährung und zu wenig Bewegung zurückgeführt werden kann“, schreibt das Bundeszentrum für Ernährung (BZfE). „So spielt offenbar auch die Ernährung der Mutter in der Schwangerschaft und vor der Empfängnis für die Entstehung eine wichtige Rolle. Kritische Lebensphasen sind die frühe Kindheit und die Jugend.“ Längst hat sie epidemische Ausmaße angenommen, längst ist sie nicht nur ein Problem reicherer Länder.
Adipositas ist so etwas wie der Klassiker unter den stigmatisierten Krankheiten. Übergewichtige Menschen leiden oft mehr unter der Stigmatisierung als unter den Folgen der Erkrankung. Worte wie „selbst schuld“ gehen schnell über die Lippen. Doch die Wissenschaft ist längst weiter: Starkes Übergewicht ist auch hormonell und genetisch bedingt (s. Pharma Fakten-Bericht: Stigmatisierung: Gegen das Mobbing kranker Menschen); außerdem können viele weitere Faktoren wie die sozioökonomische Lage mit reinspielen. Der Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe (VDBD) fordert deshalb, Adipositas „als komplexe Erkrankung“ anzuerkennen „und mit entsprechenden gezielten und strukturierten Maßnahmen“ zu bekämpfen, „um Folgeerkrankungen zu verhindern.“ Denn: „Adipositas versiebenfacht beispielsweise das Risiko für einen Prädiabetes oder einen Diabetes mellitus Typ 2 und gilt als Auslöser und Risikofaktor für mehr als 60 weitere Begleit- und Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck und Herzkreislauf-Erkrankungen.“
Adipositas behindert soziale und wirtschaftliche Entwicklung
Längst sind die Folgen der Adipositas-Epidemie zu einer sehr teuren Angelegenheit geworden, „eine Herausforderung, die die soziale und wirtschaftliche Entwicklung in der ganzen Welt untergräbt“, wie es im WHO-Bericht zu Übergewicht und Adipositas heißt. Dort geht man davon aus, dass…
- … sich die globalen Kosten für Adipositas und ihre Folgen auf 990 Milliarden US-Dollar summieren
- und sich gleichzeitig die globalen Kosten um 429 Milliarden US-Dollar reduzieren ließen, wenn es gelänge, die Prävalenz zwischen 2020 und 2060 um 5 Prozent zu verringern.

Die Welt kann es sich gar nicht leisten, nicht zu reagieren, findet die WHO. Die Realität aber ist eine andere: In keinem Land der Welt ist es bisher gelungen, dem Anstieg von Übergewicht Einhalt zu gebieten.
Der Masterplan der WHO sieht vor, mit Gegenmaßnahmen auf vielen Ebenen anzusetzen und die Menschen über die gesamte Lebensspanne zu erreichen. „Mögliche politische Maßnahmen wären zum Beispiel die Besteuerung von zuckergesüßten Getränken, Subventionen für gesunde Lebensmittel und eine eingeschränkte Vermarktung von ungesunden Produkten für Kinder“, schreibt das BZfE). „Außerdem sollte der Zugang zu Therapien bei Fettleibigkeit und Übergewicht erleichtert werden.“
Der WHO-Bericht zeigt auch: Einfache Maßnahmen können schnelle und deutliche Wirkung zeigen: Mexiko führte eine 1-Peso-pro-Liter-Steuer auf zuckergesüßte Getränke ein – das entspricht ungefähr einem 10-prozentigen Aufschlag; die Verkäufe sanken um 6 Prozent. Saudi-Arabien erließ eine 50-prozentige Steuer; der Verkauf der Getränke fiel um 35 Prozent. Andere Länder wie Großbritannien setzen auf die Reduktion von Zucker in den Getränken, statt die Verkäufe einzuschränken.
Adipositas: Zeit zu Handeln
Was Übergewicht als Krankheit so gefährlich macht: Die große Zahl der betroffenen Menschen, die weltweit schnell steigenden Zahlen und die lange Liste der Folgeerkrankungen, die – wie Diabetes Typ 2 oder Bluthochdruck zum Beispiel – längst selbst epidemische Ausmaße haben.

Immerhin: Ein Disease Management Programm (DMP) Adipositas soll in diesem Jahr in Deutschland noch kommen. Für VDBD-Geschäftsführerin Dr. Gottlobe Fabisch „ein wichtiger erster Schritt, Adipositas strukturiert zu therapieren, die Erkrankung zu enttabuisieren und den gesellschaftlichen Umgang damit zu verbessern. Äußerst bedauerlich ist allerdings, dass nach gegenwärtigem Stand die Ernährungstherapie auch im künftigen DMP Adipositas nicht zur Regelversorgung gehören wird.“ Die Erkrankung hat ihre Wurzeln oft schon viel früher im Leben: „Bereits im Kindes- und Jugendalter muss eine Ernährungskompetenz aufgebaut sowie gesundes Essen und ausreichend Bewegung in Bildungseinrichtungen gefördert werden“, heißt es beim VDBD. Um die Adipositas zu bekämpfen, bevor sie entstehen kann.
Weiterführende Links:
WHO-Pressemitteilung vom 1.3.24
Robert Koch-Institut: Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen in Deutschland, 2022
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