Auf dem Gesundheitskongress des Westens in Köln stellten Expert:innen das Projekt ALFie vor, das die Früherkennung von Alzheimer verbessern soll. Foto: Pharma Fakten
Auf dem Gesundheitskongress des Westens in Köln stellten Expert:innen das Projekt ALFie vor, das die Früherkennung von Alzheimer verbessern soll. Foto: Pharma Fakten

Alzheimer-Erkrankung: Früher diagnostizieren, besser behandeln

Das Jahr 2025 wird in die Geschichtsbücher eingehen: Erstmals erhält ein Medikament in Europa eine Zulassung, das an den Ursachen der Alzheimer-Krankheit ansetzt. Wirken können derartige Therapien nur, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt zum Einsatz kommen. Voraussetzung ist eine frühe Diagnose. Doch daran hapert es in Deutschland all zu oft. Auf dem Gesundheitskongress des Westens sprachen Expert:innen darüber, wie sich das ändern lässt – große Hoffnungen liegen auf einer digitalen Plattform mit dem Namen ALFie.
Prof. Dr. Frank Jessen, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uniklinik Köln. Foto: Pharma Fakten
Prof. Dr. Frank Jessen, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uniklinik Köln. Foto: Pharma Fakten

„Die Alzheimer-Erkrankung entwickelt sich im Gehirn sehr, sehr langsam – über Jahrzehnte“, konstatierte Prof. Dr. Frank Jessen, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uniklinik Köln. „Die ersten zehn bis 20 Jahre spürt man davon gar nichts“. Charakteristisch für Morbus Alzheimer sind bestimmte Eiweißablagerungen im Gehirn, die das Organ letztlich schädigen. Im Stadium der leichten kognitiven Störung verschlechtert sich die Gedächtnisorientierung – bis es schließlich in eine Demenz und eine schwere Pflegebedürftigkeit übergeht.

„Die Idee ist jetzt, die Krankheit in diesem Korridor der leichten kognitiven Störung zu erkennen“, so der Experte. Das heißt: Noch bevor eine Demenz entsteht. Gedächtnistests kommen hier zum Einsatz – außerdem lässt sich über sogenannte Biomarker im Labor die Pathologie nachweisen. „Das ist erforderlich – denn diese Therapien, die wir erwarten, wirken nur, wenn sie ganz früh gegeben werden.“

Medizinische Leitlinien: Scheitert es an der Umsetzung?

Doch es gibt viele Hürden: Patient:innen, deren Gedächtnisprobleme bagatellisiert werden; zu lange Wartezeiten bei Ärzt:innen und anderen Stellen im Gesundheitssystem; Sektorendenken sowie komplexe Strukturen, die Unklarheiten bei den Verantwortlichkeiten zur Folge haben; oder fehlende Vernetzung sowie unnötige Doppeluntersuchungen.
Für Prof. Dr. Jessen ist klar: „Wir müssen mit dem diagnostischen Prozess schneller werden.“ Aber wie? Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) haben die S3-Leitlinie zu Demenzen aktualisiert. Sie gibt Ärzt:innen konkrete Empfehlungen zu (früher) Diagnose und Behandlung an die Hand. „Es ist gut, dass sie da ist. Die Leitlinien, die wir in Deutschland haben, haben grundsätzlich eine gute Qualität, hohe Akzeptanz und Sichtbarkeit“, erklärte Prof. Dr. Jessen. Schwierig sei aber immer die Implementierung in der Praxis. Es gebe „Vernetzungsherausforderungen“. Hausärzt:innen, Fachpersonal aus Neurologie, Psychiatrie, Radiologie, Beratungsstellen und viele mehr: „Wann erfolgt welcher diagnostische Schritt durch wen? All das ist in der Leitlinie ja zunächst nicht definiert.

Hinzu kommt: „Bei den Hausärzten kennen etwas mehr als 50 Prozent der Kollegen und Kolleginnen die Leitlinie gar nicht“, sagte Neurologe Prof. Dr. Gereon Nelles, NeuroMed Campus Köln. Das sei das Ergebnis einer Befragung gewesen – ihn überrascht das nicht. Was er aber als „besorgniserregend“ einstuft: „Auch bei den Fachärzten – Neurologen und Psychiater – kennen fast 40 Prozent die Leitlinie nicht.“ Da müsse sich etwas ändern.

Alzheimer-Versorgung neu denken

Führende Expert:innen arbeiten gemeinsam an ALFie. Hier: Prof. Dr. Gereon Nelles und Prof. Dr. Özgür Onur. Foto: Pharma Fakten
Führende Expert:innen arbeiten gemeinsam an ALFie. Hier: Prof. Dr. Gereon Nelles und Prof. Dr. Özgür Onur.

Führende Expert:innen haben sich daher in einer interdisziplinären Arbeitsgruppe zusammengeschlossen – sie arbeiten gemeinsam an ALFie („Alzheimer – Leitliniengerechte Früherkennung in Koeln“). Das Projekt wird von der Lilly Deutschland GmbH ermöglicht und in Kooperation mit der Gesundheitsregion KölnBonn e.V. umgesetzt. Die Fachleute haben konkrete Empfehlungen formuliert, um die Versorgung der Patient:innen zu verbessern: Wichtig sind demnach Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote für alle an der Versorgung Beteiligten. Auch müssten Beratungsstellen für Betroffene und Angehörige bundesweit implementiert werden. Hausarzt-, Facharzt- und Krankenhausstrukturen sollten verknüpft, Behandler:innen besser miteinander vernetzt werden. Und überhaupt: Notwendig ist es, die Alzheimer-Versorgung von Beginn an digital zu planen.

Die Verantwortlichen von ALFie genügen sich nicht damit, „nur“ Empfehlungen zu erarbeiten. Sie haben eine Vision, die sie in die Realität umsetzen wollen: „Gemeinsam entwickeln wir einen standardisierten Versorgungspfad, der auf der aktuellen S3-Leitlinie Demenzen basiert. Damit soll eine frühzeitige und strukturierte Versorgung von Betroffenen und ihren Angehörigen sichergestellt werden“, heißt es auf der Website. Kern des Ganzen ist die Plattform „ALFie digital”. Sie vernetzt alle an der Alzheimer-Versorgung beteiligten Akteur:innen – Haus- und Fachärzt:innen, Beratungsstellen, Labore, Sozialdienste, Patient:innen und Angehörige. „ALFie steht für eine neue, sektorenübergreifende Zusammenarbeit, die Versorgungslücken schließt und durch digitale Innovation eine effektive, interdisziplinäre Betreuung ermöglicht“, ist online zu lesen.

ALFie soll Alzheimer-Versorgung strukturieren

Auf dem Gesundheitskongress erläuterte Prof. Dr. Nelles: „Patienten können von allen Richtungen – aus der Hausarztpraxis, aus der Beratungsstelle, aus anderen Gesundheitsberufen – direkt in das System eingeführt werden und sofort an der Diagnostik und Behandlung teilnehmen“. Schließlich darf eine fachgerechte Versorgung nicht davon abhängig sein, ob sich die Leistungserbringer zufällig persönlich kennen.

ALFie soll Alzheimer-Versorgung strukturieren. Foto: Pharma Fakten
ALFie soll Alzheimer-Versorgung strukturieren. Foto: Pharma Fakten

Behandler:innen hätten den Vorteil, „dass die Wege gewissermaßen vorgegeben sind. Die Plattform regelt, wer was zu welcher Zeit macht, wie die Empfehlungen aus der Leitlinie umgesetzt werden können, wo es den nächsten guten Facharzt für ein spezielles Problem gibt. Wo kriege ich den nächsten Termin für eine Hirnbildgebung, wo bekomme ich eine differenziertere neuropsychologische Testung?“ ALFie erleichtere und beschleunige „die Zuweisungswege“. „Das führt dazu, dass wir die Patienten besser und qualifizierter diagnostizieren und behandeln können.“

ALFie ist als Pilotprojekt konzipiert – modellhaft wollen die beteiligten Fachleute hiermit erproben, wie sich die Versorgung verbessern lässt. Doch im besten Fall wird es eines Tages Auswirkungen haben, die über den Raum Köln hinausgehen. „Wir sind jetzt in einer Phase, wo wir das System live haben. Wir können darauf zugreifen, die ersten Patienten reinnehmen und Erfahrungen sammeln, wie das angenommen wird, wie das funktioniert“, so Prof. Dr. Özgür Onur, Leiter der Spezialsprechstunde für Gedächtnisstörungen und Demenz am Uniklinikum Köln. Noch ist es technisch nicht möglich, alles zu vernetzen – „schön wäre es, wenn das irgendwann alles automatisch funktioniert, mit der elektronischen Patientenakte, mit den Praxisinformationssystemen“.

ALFiE: Von Vorteil für alle Beteiligten

Klar ist für Prof. Dr. Onur: „Es muss einfach sein. Es muss einen Mehrwert bieten.“ Überlastete Hausarztpraxen, begrenztes Personal und limitierte Ressourcen – ein System wie ALFie wird nur angenommen, wenn es möglichst simpel ist. „Die Idee ist, einen so attraktiven Mehrwert zu schaffen, […] dass das allein für die beteiligten Professionellen so überzeugend ist, dass sie sagen: Ja, da mache ich mit, weil es mir persönlich die Arbeit und die Kommunikation mit dem Patienten erleichtert“, bestätigte Prof. Dr. Jessen.

Dr. Christian Flügel-Bleienheuft und Änne Türke. Foto: Pharma Fakten
Dr. Christian Flügel-Bleienheuft und Änne Türke. Foto: Pharma Fakten

Vereinfachte Terminvergaben, klare Überleitung an die entsprechenden Stellen und gemeinsamer Zugriff auf die Patientendokumente: Die „strukturierten Wege“, die bei ALFie hinterlegt sind, machen es nicht nur einfacher, findet Internist Dr. Christian Flügel-Bleienheuft, Past-President Gesundheitsnetz Köln-Süd (GKS). Sie erzeugen auch „eine Sicherheit“ und verbessern am Ende die Qualität, „wovon alle etwas haben, vor allem die Betroffenen.“ Er hat zudem die Erfahrung gemacht, dass sich Patient:innen „besser aufgehoben“ fühlen, wenn sie interdisziplinär betreut werden. Potenziell kann das ALFie-System sogar Kosten für das Gesundheitssystem sparen, „indem Doppel- oder Dreifachuntersuchungen nicht stattfinden“, meint Prof. Dr. Onur.

Änne Türke, Koordination Regionalbüro Alter, Pflege und Demenz, resümierte: „Wir werden immer mehr ältere Menschen haben. Wir werden immer mehr Menschen mit kognitiven Problemen haben. Es wird nicht mehr Ärzte geben.“ Insofern gehe kein Weg daran vorbei, „Versorgung – sowohl im medizinischen Bereich als auch außerhalb der Praxistür – vernetzt zu denken. Wenn das nicht gelingt, werden Ressourcen verpulvert“, denkt sie. „Letztlich machen wir das für die Menschen, die betroffen sind, und die Angehörigen, damit sie Zeit gewinnen, um ihr Leben, das auch mit der Diagnose noch viele Jahre geht, gut leben zu können. Dafür stehen wir alle parat – und niemand schafft das allein.“

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