
Sie arbeiten für die forschende Pharmaindustrie. Warum ausgerechnet Pharma?
Dr. Dorina van der Mey: Nach der Schule war mir klar: Ich möchte Pharmazie studieren. Zum einen fasziniert mich die Kombination aus den verschiedenen Naturwissenschaften und der Medizin. Zum anderen will ich dazu beitragen, die Arzneimittelversorgung der Menschen zu verbessern. Denn trotz aller Fortschritte gibt es noch viele Bereiche, in denen ein ungedeckter medizinischer Bedarf besteht: Krebsleiden, für die es noch keine Heilung gibt; Herzprobleme, die sich nicht gut genug einstellen lassen. Daher wollte ich in die Forschung und Entwicklung gehen, um therapeutische Lücken zu schließen und Betroffenen neue Hoffnungen zu geben. Diese Chance bietet mir meine Arbeit bei der Pharmaindustrie. Die industrielle Forschung und Entwicklung ist sehr vielfältig: Sie geht von der chemischen Entwicklung des Arzneistoffs, über die präklinische bis hin zur klinischen Entwicklung und beinhaltet noch weitere Fachgebiete. Und: Die Pharmaindustrie bietet interessante Arbeitsmodelle – mit Teilzeit, mit Homeoffice – und viel Flexibilität. Neben guten Angeboten, was die Vereinbarkeit von Karriere und Familie angeht, gibt es gerade bei großen Unternehmen zum Beispiel auch die Möglichkeit eine Zeit lang ins Ausland zu gehen. So kann man den Beruf an die eigene Lebensphase anpassen. In globalen Unternehmen ist eine globale Zusammenarbeit mit vielfältigen Kollegen und Kolleginnen aus allen Teilen der Welt essentiell.
Sie sind „Due Diligence Expert Preclinical Development“. Was ist Ihre Aufgabe?
Van der Mey: Unter dem Begriff „Due Diligence“ versteht man in der Industrie allgemein einen Prozess der gründlichen Durchsicht. Bei der Forschung und Entwicklung geht die Pharmaindustrie zahlreiche Kollaborationen ein: zum Beispiel mit kleineren Firmen, die eine Substanz in der frühen Entwicklung haben und nun einen Partner suchen, der die notwendigen Ressourcen hat, um sie vorantreiben und durch alle regulatorischen Prozesse bis zur Zulassung bringen zu können. Wir arbeiten aber auch mit anderen großen Pharmaunternehmen zusammen oder mit akademischen Spin-offs. Bevor ein Vertrag mit einer externen Firma zustande kommt, braucht es Due Diligence Teams. Die Expertinnen und Experten aus diesen Teams prüfen, was der potenzielle Partner bieten kann, welche Daten zu einer Substanz vorliegen und wie man das jeweilige Projekt gemeinsam am besten zum Erfolg führen könnte. Ich selbst bin dabei für den Bereich präklinische Entwicklung zuständig – also für alles, was vor den klinischen Phasen mit einem Wirkstoffkandidaten passiert. Ich bewerte zum Beispiel Daten aus Tier- und Zellmodell-Studien und überlege, wie ein gemeinsamer Entwicklungsplan mit der Partnerfirma aussehen könnte.
Was treibt Sie tagtäglich in Ihrer Arbeit an?

Van der Mey: Für Forschung und Entwicklung braucht es einen langen Atem. Es kann frustrierend sein, wenn sich Hindernisse auftun, die ein Projekt zum Scheitern bringen. Doch umso motivierender ist es, wenn sich schon in frühen Studien zeigt, dass die Patienten, die mit einem Wirkstoffkandidaten behandelt werden, einen besseren Therapieerfolg haben als die Vergleichsgruppe. Ein besonderer Glücksgriff ist es, wenn man ein Forschungsprojekt über Jahre von einer frühen Entwicklungsphase bis zur Zulassung begleiten kann – und miterleben darf, wie es in Form eines neuen Arzneimittels in die Apotheke und zu den Patienten kommt. Bei Bayer gibt es einen schönen Spruch: „Treat the untreatable. Offer hope. Cure Disease.“ Genau das ist mein Antrieb: Neue Behandlungsmöglichkeiten für Krankheiten schaffen, die bislang nicht oder nicht gut genug behandelbar waren – und den Patienten neue Hoffnung geben. Wir arbeiten dazu crossfunktional mit sehr vielen verschiedenen Menschen mit unterschiedlichem Background zusammen – und haben alle das gleiche Ziel. Wir wollen Forschung vorantreiben und versuchen, für die Patientinnen und Patienten, den besten Wirkstoff zu finden und diesen sicher sowie effizient in die Versorgung zu bringen.
Weitere Interviews aus der Serie „Ausgerechnet Pharma? Die Menschen und ihre Jobs“ lesen Sie hier.
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